Bondage-Streetfood

In Italien stärkt man sich angeblich immer schon mit Porchetta, in letzter Zeit aber immer öfter und immer lieber. Eine Spurensuche nach den Erfolgsgeheimnissen eines gerollten Schweinebratens.

Text von Florian Holzer/Foto GettyImages

Aldo Iacomoni, Walter Iacomoni, Giuliano Di Goro und Gino Mencuccini muss man kennen, denn diese vier Männer sind weltberühmt. Also zumindest in Monte San Savino in der südlichen Toskana sind sie weltberühmt, dort fabrizierten sie am 13. Juni 2010 nämlich die – wie von der Guinness-Rekord-Kommission bestätigt – längste Porchetta der Welt. In einer wirklich eindrucksvollen Länge von 44 Metern und 93 Zentimetern, gefertigt aus 65 Schweinen, mit einem knappen Kilometer Spagat zusammengebunden, mit 130 Kilo Salz, Pfeffer und Gewürzen aromatisiert und über 300 Kilo Holzkohle geröstet. Nicola Genobile aus Torrevecchia Teatina in den Marken war an diesem Tag jedenfalls ein gebrochener Mann, sein nur zwei Jahre zuvor aufgestellter Porchetta-Rekord mit einem 22 Metern langen 935-Kilo-Rostbraten gehörte damit der Vergangenheit an, Vergessenheit wurde sein Schicksal.

Die Italiener nehmen Porchetta sehr, sehr ernst. Der früher in Mittelitalien gerne auf Messen, Märkten und Dorffesten gereichte Rosmarin- und Knoblauch-würzige Schweinerollbraten mit typischerweise dem Kopf vorne dran erlangte in den vergangenen Jahren enorme Popularität, entwickelte sich vor allem in Rom zu einer der beliebtesten Streetfood-Varianten, fand schließlich auch in Norditalien seine Freunde und fehlt – mittlerweile von sämtlichen italienischen Fleischverarbeitern im großen Stil hergestellt – in keiner Alimentari-Vi­trine mehr. In Rom wurden voriges Jahr angeblich 550 Tonnen Porchetta gegessen, das südlich von Frascati gelegene Nest Ariccia hat für ihre Porchetta sogar ein IGP-Siegel erwirkt, und etwa vierhundert Ortschaften in Latium, der Toskana, Umbrien und den Marken streiten erbittert darüber, wer der eigentliche Ursprungsort des köstlichen Schweinebratens ist. Und dieses eine große Ölgemälde von Leonardo da Vinci, auf dem im Hintergrund angeblich eine Porchetta abgebildet ist, können die italienischen Porchetta-Historiker leider nicht in dem Ausmaß untersuchen, wie sie das gerne würden. Das Bild befindet sich nämlich im Privatbesitz der englischen Königin.

Markus Dormayer, Fleischhauer aus Langenzersdorf bei Wien, löst mit seinem scharfen Messer ­gewissenhaft die Keule von der Schweinehälfte. In der Früh hat das Tier noch gelebt, „schlachtwarm“ verarbeite er das Fleisch für die Porchetta am liebsten, sagt er, da lösten sich die Teile leichter. Und gelöst muss hier einiges werden: Zuerst schneidet er den Lungenbraten aus dem Rippenbogen, danach trennt er Wirbelsäule und Rippen vom Schlachtkörper und schneidet den vorderen Schopfbraten ab. Übrig bleibt ein etwa 50 cm langes und 35 cm breites Rechteck aus Bauchfleisch mit Karree, sieben bis acht Monate alt sollten die Schweine sein, meint Dormayer, da hätten sie genau richtig Speck angesetzt, nicht zu viel und nicht zu wenig.

Bis vor fünf Jahren habe er von Por­chetta noch nie etwas gehört, erzählt der junge Fleischhauer. Die umtriebige Pizza- und Aperitivo-Pionierin Maria Fuchs (Pizza Mari’, Cin Cin Buffet) habe ihn dann aber damit beauftragt, eine herzustellen. Weißer Pfeffer, Salz, Knoblauch, Salbei, Rosmarin, Maria Fuchs diktierte, wie sie die Porchetta gerne hätte, „und wenn’s die Maria sagt, dann mach ich’s so“.

Und Markus Dormayer lernte. Etwa, dass es natürlich interessant wäre, das Filet mitzurollen, nur wäre die Porchetta dann zu dick, könnte nicht mehr gut verschlossen werden. „Eigentlich ist das Schwein genau so konstruiert, dass man gut eine Porchetta daraus machen kann.“ Klar könne man auch größere Schweine nehmen oder Spanferkel, bei denen die beiden Hälften nicht getrennt werden und damit quasi eine Doppel-Porchetta entsteht. Aber: „Man braucht halt auch einen Ofen, wo das dann hineingeht.“

Seine Kundschaft in Langenzersdorf sei offen für Neues, sagt Dormayer, immerhin habe man sich schon vor Jahren einen Namen mit kreativen Blunzen-Kreationen gemacht. Etwa ein Mal im Monat beschickt der Fleischhauer den Ofen mit dem italienischen Schweinebraten, und wenn er ausverkauft ist, gibt’s zwei Wochen Pause, „damit die Leut’ wieder einen Hunger darauf kriegen“.

Nachdem das Prinzip der Por­chetta – Schwein entbeinen, würzen, einrollen, braten – nicht allzu kompliziert ist, nimmt man an, dass sie schon seit langer Zeit so gemacht wird. In Norcia führt man ins Treffen, schon zur Römerzeit als Kompetenzzentrum für Schweinezucht und -verarbeitung bekannt gewesen zu sein, was den Ursprung der Porchetta in Umbrien also nur logisch machen würde. Im Latium beruft man sich porchettamäßig auf die Etrusker, und in den Marken wiederum wurden bei Ausgrabungen einer Nekropole der Picener, eines Volks, das im dritten Jahrhundert vor Christus in die Römer aufging, Reste von Schweineknochen gefunden. Archäologen vermuten, dass die Schweine bei Festivitäten im Ganzen und am Spieß gebraten wurden – was der nahe gelegene Ort Campli als Trumpfkarte im Porchetta-Ursprungsstreit auszuspielen versucht.

Tatsächlich war die kleine Gemeinde Ariccia aber die erste, die das Kult-Potenzial des gerollten Schweinebratens für sich entdeckte: Schon seit 1950 wird im Dorf ein Porchetta-Festival abgehalten, seit 1962 lässt man sich das sogar von Santa Apolónia als Schutzpatronin segnen. Da hatten die italienischen Behörden quasi gar keine andere Wahl, als der hiesigen Porchetta den IGP-Status zu verleihen.

Bei Pöhl am Naschmarkt gebe es die Porchetta eigentlich immer schon, sagt Christian Pöhl. Schon vor mindestens 25 Jahren importierte sein Vater italienische Feinkost von Villani aus Modena, einem Erzeuger, der sich schon früh auf die Herstellung regionaltypischer Wurstwaren aus ganz Italien spezialisierte, darunter eben auch eine Porchetta. Was früher freilich etwas schwieriger war als heute, erinnert sich Pöhl. Schinken und Wurstwaren unterlagen – heute unvorstellbar! – einem Kontingent, und das Traditionsunternehmen Piccini besaß quasi ein Monopol auf Importe aus Italien. Weshalb die schmalen Kontingente meistens mit leicht (und ertragreich) zu verkaufenden Produkten wie Prosciutto und Mortadella ausgeschöpft wurden, eine Porchetta ging sich trotzdem manchmal aus.

Bei einer Urlaubsreise vor ein paar Jahren entdeckte Christian Pöhl in den Marken dann aber die „andere“ Porchetta, die „Event-Porchetta“: Imbissstände, bei denen es nichts anderes gibt als Porchetta, die dort lauwarm unter großem Hallo vom ganzen Stück ins Panino (idealerweise das weiße Sauerteig-Hartweizenbrot aus Genzano) oder aufs Papier gesäbelt wird und dabei einen absolut unwiderstehlichen Duft aus gebratenem Schwein, Knoblauch und Kräutern verströmt.

Das wollte er in Wien auch haben. Und ließ sich 2018 erstmals von Giuliano Cariani aus Montefalco in Um­brien so eine echte Porchetta mit Kopf vorne dran liefern: 68 Kilo umbrischer Schweinebraten, der da spektakulär mitten am Naschmarkt aufgeschnitten wurde. „Am Mittwoch zu Mittag haben wir mit dem Verkauf begonnen, am Donnerstagnachmittag war sie weg. Dijonsenf dazu, ein Glas Wein, und geht schon!“ In der ersten Woche jedes Monats wurde so ein umbrisches Bratschwein angeliefert, mit September diesen Jahres wird diese erfreuliche Tradition fortgesetzt.

Die lange Geschichte der Porchetta, ihre weite Verbreitung in ganz Italien und schließlich das Ringen um regionale Identitäten führte dazu, dass inzwischen tatsächlich recht viele Varianten des köstlichen Schweinerollbratens existieren. Industrielle Hersteller neigen dazu, das Fleisch vor der Verarbeitung zu pökeln, was für eine rosige Farbe sorgt und die Haltbarkeit erhöht. Die einen handwerklichen Porchettai rollen die seitlichen Abschnitte vom Schopf mit ein, die anderen lassen das bleiben. Die einen verpassen dem Karree noch einen „Schmetterlingsschnitt“ und rollen es separat, die anderen sparen sich die Mühe. Den tatsächlichen Unterschied macht aber die Würzung beziehungsweise Füllung aus. Salz, Pfeffer und Knoblauch sind unbestritten, bei den Kräutern wird’s dann schon differenzierter. Beim gehackten Rosmarin ist man sich noch einig, beim wilden Fenchel schon weniger, der ist westlich des Apennins obligatorisch, in den Marken dafür selten. In manchen Orten wird auch noch Schinken in die Porchetta eingerollt, in anderen Salsiccia-Brät, in wieder anderen Stückchen von Leber und Milz. Und manchmal sogar noch Sauerkirschen und Mandeln, oh heilige Santa Apolónia!

Bei der Wahl des Schweins dürfte zwar eher das Alter als die Rasse entscheidend sein, Roman Schober aus Gars am Kamp hat nach Versuchen mit diversen Schweinen aber dennoch das Schwäbisch-Hällische für die Porcella-Porchetta als das geeignetste erkannt.

Dabei haben die Porcella-Betreiber Miriam Strobach und Gregor Einetter, die seit 2013 in Kooperation mit dem Waldviertler Fleischhauer unter ­anderem edle Stücke von Turopolje-Schwein und Waldviertler Blondvieh versenden, die Porchetta gar nicht in Italien kennengelernt, sondern auf ­einem Food Market in New York. Ihr Online-Fleischversand war damals gerade in Planung, man beschloss, dass Porchetta gut ins Programm passen würde und begab sich auf Fact-Finding-Mission nach Rom. Die dort angetroffene „puristische“ Version – Salz, Pfeffer, Knoblauch, Rosmarin, Fenchel und Olivenöl – wurde dann im Waldviertel nachgebaut. „Wir merkten aber recht schnell, dass die Zubereitung doch recht fordernd ist und vor allem ewig dauert“, weshalb Strobach, Einetter und Schober ­beschlossen, eine Art Convenience-Porchetta her­zustellen, also eine vorgegarte, die man nur noch 1,5 Stunden ins Rohr schießen und dann mit der Grillfunktion etwas anknuspern lassen muss.

Schober rollt die Waldviertler Bio-Porchetta in zwei verschiedenen Größen, zu drei und zu sieben Kilo. „Aber für das Großformat braucht man schon einen etwas größeren Ofen“, so Einetter. Ist die Versand-Porchetta ein Nischenprodukt im Sortiment? Nein, durchaus nicht, ein Mal pro Woche werde der würzige Rollbraten mindestens bestellt, je mehr gefeiert wird, desto häufiger. Ob es angesichts dieser Nachfrage auch mal Varianten, also mit Leber/Milz, mit Brät oder mit Sauerkirschen/Mandeln geben werde? Durchaus denkbar, sagt Gregor Einetter.

Nachdem sich Italien seit geraumer Zeit im Porchetta-Fieber befindet, wird Porchetta jetzt übrigens auch aus anderen Tieren gemacht. Porchettino heißt das dann, dafür werden Lamm, Kaninchen, Karpfen und ja, auch Stachelschwein rollgebraten. Mal sehen, wann es die erste österreichische Stachelschwein-Porchetta gibt …

Fleischerei Dormayer
Wiener Straße 1, 2103 Langenzersdorf,
Tel.: 02244/22 52
www.dormayer.at

Pöhl am Naschmarkt
Naschmarkt-Stand 167, 1060 Wien
Tel.: 01/586 04 04
www.poehl.at

Porcella
www.porcella.at

Porchetta Cariani
06036 Montefalco, Italien
Tel.: +39/0742/37 98 16
www.cariani.it