Die Rückkehr des Königs

Der Blauflossen-Thunfisch zählt zu den edelsten Speisefischen überhaupt. Noch vor wenigen Jahren galten seine Bestände im Mittelmeer als bedroht. Jetzt wird er dort wieder gefischt und von lokalen Spitzenköchen verarbeitet. Genießen sollte man ihn nur mit Bedacht und angemessener Zurückhaltung.

Text von Georges Desrues/Fotos von Georges Desrues

In ihrer sizilianischen Heimat Catania zählt Familie Testa zu den ehrenwertesten der Stadt. Seit mindestens 200 Jahren gehen die Testas ihrem Gewerbe nach, ja sogar eine Straße ist nach ihnen benannt. „Seit Generationen fahren wir zur See, um den Blauflossen-Thunfisch zu fangen“, sagt Pippo Testa, Comandante und aktuelles Familienoberhaupt, „stets waren alle männlichen Nachkommen in unserer Familie Fischer – und sind es bis heute.“ Dabei hat vor wenigen Jahren nicht viel gefehlt, und es wäre vorbei gewesen mit der langen Familien­tradition. Damals nämlich, gegen Ende der 2000er-Jahre, galt der Blauflossen-Thunfisch im Mittelmeer als vom Aussterben bedroht. Fangverbote wurden verhängt, die Kutter blieben in den Häfen. Auch jener der Testas. „Die Probleme begannen freilich schon früher“, erinnert sich Pippo Testa, „damals gab es noch keine Fangquoten, jeder fischte, so viel er wollte. Zuerst rasselten die Preise in den Keller, dann blieb der Thunfisch aus.“

Heute allerdings, beteuert der Kapitän hinter seiner dichten Sonnenbrille, sei die Situation eine völlig andere. Dank dem jahrelangen Fangverbot hätten sich die Bestände erholt, es darf wieder gefischt werden. Allerdings nur unter äußerst strikten Auflagen. „Der Thunfischfang ist wohl die am strengsten regulierte und kontrollierte Art der Fischerei überhaupt“, sagt der Comandante, während seine Söhne und Neffen und alle sonstigen Mitglieder der Mannschaft eifrig dabei sind, den familieneigenen Fischkutter Atlante mit Lebensmitteln und Getränken zu beladen.

Seit 200 Jahren fischt die ehrenwerte Familie Testa Thunfische vor ­Sizilien. Derzeitiges Familienoberhaupt ist Pippo Testa (ganz rechts).

Es ist Ende Mai. Wie jedes Jahr ziehen seit ein, zwei Wochen die Thunfischschwärme vom Atlantik kommend durch die Straße von Gibraltar und in Richtung Sizilien, um im wärmeren Mittelmeer zu laichen. Seit Menschengedenken werden sie in Sizilien, aber auch Spanien, Südfrankreich und Sardinien sehnsüchtig erwartet und gefangen. „Unsere Vorfahren sahen in den jährlich auftauchenden Schwärmen ein Geschenk des Himmels, das etliche Familien über Monate mit Nahrung versorgte“, erzählt der Fischer Testa. Um sie zu fangen, entwickelten die Anrainer komplexe Reusensysteme, in Italien „mattanze“, in Spanien „almadrabas“ und in Frankreich „madragues“ genannt.

Inzwischen haben die althergebrachten Reusen weit­gehend ausgedient. Gefangen wird der Thunfisch heute mit Booten und Netzen und in Italien nur mehr von Mitte Mai bis Mitte Juni. Gerade einmal 21 italienische Kutter erhielten dafür die Lizenz; und jeder davon eine Quote ­zugesprochen, die er nicht überschreiten darf. „Außerdem fährt auf jedem einzelnen ein Kontrolleur der ICCAT (International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas) mit, der das Geschehen überwacht“, sagt Pippos Neffe Dino Testa. Wie lange die Atlante auf See bleiben wird, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. „Wenn die Quote erfüllt ist, kehren wir zurück an Land“, so Dino, der im Familienbetrieb für technische Innovationen zuständig ist. In dieser Funktion hat er den Fischkutter auf den neuesten Stand gebracht und zudem im vergangenen Jahr ein Projekt der Thunfischveredelung gestartet.

Daran beteiligt ist auch Ciccio Sultano, der wohl angesehenste Spitzenkoch Siziliens. Bekannt ist der Betreiber des Zwei-Sterne-Restaurants Duomo in der Stadt Ragusa (und des Pastarama im Wiener Ritz-Carlton) nicht zuletzt dafür, dass er mit den besten Lebensmitteln arbeitet, die sich auf der sonnenverwöhnten, fruchtbaren und vom Ionischen wie Tyrrhenischen Meer umspülten Insel finden. Darunter freilich auch der Blauflossen-Thunfisch. „In Sizilien essen wir Thunfisch seit dem Neolithikum, das beweisen Malereien aus einer Höhle in Levanzo“, sagt der Küchenchef, „die Jahre des Fangverbots waren also eine absolute Ausnahme in der Geschichte unserer Insel.“

Jetzt verarbeitet der Koch den wertvollen Fisch also wieder. In seinem Restaurant etwa, indem er alte sizilianische Rezepte ausgräbt und neu interpretiert, wie im Fall des Tonno abbuttunatu. Dabei handelt es sich um eine Tranche des Fischs, die er mit Käse und Kräutern spickt. Anstatt sie nach herkömmlicher Art zu schmoren, brät er sie nur kurz an. Und auch für die neue Kollektion an exklusiven Konserven bedient sich Sultano bei althergebrachten lokalen Rezepten. Wie etwa im Fall der Buzzonaglia di tonno, darunter versteht man die weniger gepriesenen schwarz-rot-färbigen Teile des Thunfischfleischs, die der Koch mit Tomaten, Fenchel, Oliven und Kapern zu Pastasauce verarbeitet und in Gläser füllt. Edlere Teile wie die Bauchlappen werden freilich auch eingedost, mit hochwertigem sizilianischen Extra Vergine Olivenöl aufgegossen und in hübschen türkisen Verpackungen zu sehr stolzen Preisen verkauft.

Ein ganzes Stück weiter westlich am Mittelmeer, in der andalusischen Stadt Cádiz, arbeitet auch Ángel León wieder mit dem Blauflossen-Thunfisch, den sie hier Atun rojo nennen. Und genau wie der Sizilianer Sultano kooperiert auch León, bekannt als El jefe del mar – also der Küchenchef beziehungsweise „Chef“ des Meeres –, mit einem Fischereibetrieb, der ihn einerseits mit dem Frischfleisch des Fischs beliefert und andererseits Dosen ­erzeugt. Und schließlich beruft sich auch León auf die lokale Tradition des Thunfischfangs. Bei der Zubereitung geht er allerdings neue Wege. „Wir haben Monate gebraucht, bis wir den Jamón del mar endlich hingekriegt haben“, sagt der Betreiber des Drei-Sterne-Restaurants Aponiente bei Cádiz, während er dünne Scheiben absäbelt von einem luftgetrockneten Thunfischbauch, der in einem Schinkenspanner steckt.

Jar­rete, also Stelze, ein Schwanzstück, das aufrecht zu Tisch kommt.

Der Jamón del mar, also Schinken des Meeres, ist freilich eine spektakuläre Delikatesse. Die durchzogenen Scheiben zergehen auf der Zunge, der Geschmack ist genauso komplex wie lang ­anhaltend – und der beste Beweis dafür, dass guter Fisch nicht frisch sein muss. Gleichfalls spektakulär ist die „Stelze“ vom Thunfisch, die im Aponiente serviert wird. Sie besteht aus einem Teil des Schwanzes, das aufrecht auf einem Servierwagen zum Tisch kommt und gekonnt tranchiert wird. Trotz der aufs Borstentier verweisenden Wortwahl (Schinken, Stelze) ist man bei León wie auch Sultano weit entfernt vom „Schwein des Meeres“, wie der Thunfisch am Mittelmeer einst genannt wurde.

Denn obgleich man den Fischern und Küchenchefs gerne glauben will, dass die Spezies heute nicht mehr gefährdet ist, nur mehr nachhaltig gefangen wird und als Lebensmittel in diesen Gegenden sowieso lange Tradition hat, so bleiben doch ein paar Bedenken. Denn gerade der Blauflossen-Thunfisch ist ein wahres Wunder der Natur und eines der eindrucksvollsten Tiere, das in den Weltmeeren überhaupt vorkommt. Ein von der Evolution zur Perfektion geformter Jäger, der über vier Meter lang und 600 Kilo schwer werden kann. Dank seiner Stromlinienform ­erreicht er Geschwindigkeiten von bis zu 70 km/h. Zudem zählt er zu den wenigen Fischen, die der Thermoregulation fähig sind, was ihm ermöglicht, auch in kühleren Gewässern zu jagen.

Abgesehen davon, rangiert der Raubfisch (so wie alle Thunfischarten) ganz oben auf der Lebensmittelpyramide, ernährt sich also von großen Mengen an kleineren Fischen wie Sardinen und Makrelen, die Menschen genauso gut essen können. Der Spitzenplatz in der Nahrungskette sorgt auch dafür, dass sein Fleisch stärker mit Quecksilber belastet ist als jenes kleinerer Fische. All das sind gute Gründe, die Spezialität, wenn überhaupt, dann nicht allzu häufig und nur mit dem nötigen Respekt zu essen. Womit der Thunfisch in exklusiven Restaurants wie jenen von León oder Sultano wohl am besten aufgehoben ist. Genau wie in deren ­exklusiven Konservenkollektionen, die so teuer sind, dass sie sich sowieso kaum ­jemand allzu oft leisten wird.

Strenge Auflagen für Thunfischfang
Von den acht Arten Thunfisch, die es gibt, ist der Blauflossen-Thunfisch, auch Roter Thunfisch genannt, jene, die am größten werden kann und deren dunkelrotes Fleisch unter allen das am meisten gepriesene ist. Vor allem in Japan ist man regelrecht verrückt danach und auch bereit, ­absurde Preise dafür zu bezahlen. Bis vor wenigen Jahren galt die Spezies im Mittelmeer als vom Aussterben bedroht. Nach einem mehrjährigen Fangverbot hätten sich die Bestände heute wieder erholt, ­sagen zumindest die Mitglieder der ICCAT (International Commission for the Conservation of Atlantic Tunas), die sich zu einem möglichst nachhaltigen Fang verpflichtet haben. Inzwischen kommt nur mehr ein kleiner Teil der im Mittelmeer gefangenen Blauflossen-Thunfische auch auf den europäischen Markt. Der Großteil des Fangs indessen wird in Käfigen gehalten, bis zu drei Monate gemästet und danach nach Japan exportiert. Die Käfighaltung ist ­kontroversiell, Kritiker sehen darin eine drohende neue Gefährdung der Bestände, denn in Gefangenschaft vermehren sich Thunfische nicht. Womit die Exemplare in den Käfigen für die Vermehrung und ­Erhaltung der Spezies verloren sind. In die beliebten Dosen kommt Roter Thunfisch heute übrigens nur mehr sehr selten. Diese enthalten in der Regel das Fleisch vom Gelbflossen-Thun, häufig im Indischen Ozean gefangen, oder aber von Bonito, auch Skipjack genannt.

Duomo
Ciccio Sultano
www.cicciosultano.it

Aponiente
Ángel León
www.aponiente.com

Testa Konserven
Sizilien
www.testaconserve.it

Petaca Chico
Almadraba-Konserven,
Andalusien
www.petacachico.es