Feinkost­legenden

„Darf’s ein bisserl mehr sein?“ Die typische Floskel an der Feinkosttheke kann an manchen Adressen ­durchaus zur Existenzfrage werden. Aber man lebt nur ein Mal, und wer bei diesen legendären Delikatessläden einkauft, hat den Genuss in jedem Fall auf seiner Seite.

Text von Georges Desrues/Foto: Rolf Nobel/Visum/picturedesk.com

In früheren Zeiten, es ist noch gar nicht so lange her, galten Feinkostläden als eine Art Tor zur großen weiten Welt. Sie boten rare, in der eigenen Heimat nicht oder kaum erhältliche Delikatessen, die man in vielen Fällen auf Reisen kennengelernt hatte oder jemand verwandter oder bekannter von solchen Reisen mitbrachte. Darunter für da­malige Verhältnisse so Exotisches wie etwa Rohmilchcamembert, Schinken vom Iberischen Schwein, Büffelmozzarella aus Kampanien oder Bitterorangenmarmelade aus England. Dann kam die EU und später Internet, und plötzlich war fast alles so gut wie überall beziehungsweise per simplem Mausklick erhältlich. Für etliche der in vielen Fällen alteingesessenen Häuser begannen wirtschaftlich schwierige Zeiten, die manche von ihnen nicht überlebten. Besonders hart traf es jene, denen es nicht gelang, sich rechtzeitig auf den Onlinehandel einzustellen. Doch abschreiben sollte man den realen Feinkosthandel noch nicht. Viele meinen, dass sich die Branche lediglich in einer Übergangsphase befindet und dass es nicht mehr allzu lange dauern wird, bis die Verbraucher zurückkehren werden, um mit dem geschulten Personal an der Käsetheke einen perfekt gereiften Époisses auszuwählen; um zwischen üppig gefüllten Regalen mit bunten Konserven von Kamtschatka-Krabben oder Seeteufelleber zu lustwandeln und zu stöbern, wie man in einer Buchhandlung stöbert. Und um die Sinnlichkeit der Lebensmittel auch tatsächlich mit allen Sinnen wahrzunehmen – wie das in den hier präsentierten legendären Feinkostläden nach wie vor möglich ist.

Rom, Roscioli salumeria con cucina

Der Betrieb der Familie Roscioli ist viel mehr als nur das beste Feinkostgeschäft in ganz Rom, nämlich auch Bäckerei, Pizzeria, Café, Vinothek, Cocktailbar und, vor allem, eines der besten Restaurants der Stadt. Man sitzt ziemlich eng zwischen Regalen und Kunden und isst exzellente Salumi und Käse sowie Speisen der traditionellen römischen Küche, allen voran nach dem Lehrbuch zubereitete Pastagerichte wie Cacio e pepe, Amatriciana, Grisa oder Carbonara, die italienweit als Referenz gelten.
www.roscioli.com

Mailand, Peck

Der Feinkostladen Peck nahe dem Mailänder Dom ist genau so wie die Stadt Mailand selbst – oder wie sie sich selbst gerne sieht. Nämlich schick, stylish, exklusiv und nicht leicht erschwinglich. Die Auswahl ist gar nicht so wahnsinnig groß, dafür äußerst gepflegt und mit sehr viel Liebe und Gespür für Ästhetik angerichtet und ausgestellt. Angeschlossen sind ein Restaurant, ein Bistro, ein Café und noch einige weitere Outlets. Dass der Espresso an der Bar kaum mehr kostet als anderswo, zählt zu den sympathischsten Aspekten der italienischen Kaffeekultur.
www.peck.it

Paris, Galeries Lafayette Gourmet

Genau wie die namhaftesten „maisons“ im Bereich Mode sind im bekanntesten Kaufhaus von Paris auch einige der angesehensten Charcutiers, Käse-Affineurs, Fleischhauer, Bäcker und Patissiers vertreten. Darunter etwa Pierre Marcolini oder Spitzenkoch Alain Ducasse mit ihren jeweiligen „chocolateries“; der Patissier Pierre Hermé ist mit seinen süßen Versuchungen vor Ort, ebenso der Pasteten-König Gilles Vérot; der Star-Bäcker Thierry Meunier sowie der „Metzger der Stars“ Yves-Marie Le Bourdonnec. In einigen Fällen kann man den Mitarbeitern dieser illustren „Handwerker des Geschmacks“, wie die Franzosen sie nennen, bei der Erzeugung ihrer raffinierten Delikatessen auch zusehen.
www.gourmet.galerieslafayette.com

Paris, La Grande Épicerie

„Épicerie fine“, wortwörtlich übersetzt „feine Gewürzhandlung“, nennen die Franzosen ihre exklusivsten Feinkostläden. Zu diesen zählt mit Sicherheit jener des historischen Kaufhauses Le Bon Marché, dessen unglaublich vielfältiges Angebot einen eindrucksvollen Überblick auf den gewaltigen landwirtschaftlichen Reichtum Frankreichs ermöglicht: circa ein Dutzend unterschiedliche Freiluft-Hendln in allen Größen und Farben, Fisch aus Atlantik sowie Mittelmeer, Schinken und Würste aus den Pyrenäen und den Alpen, dazu Käse von überall.
www.lagrandeepicerie.com

New York, Dean & DeLuca

Wenn man in New York von Feinkost spricht, dann meint man in der Regel Lebensmittel aus Italien. Was wohl der hohen Zahl an italienischstämmigen Einwohnern der Stadt geschuldet ist. Im Jahr 1977 eröffnete einer davon, nämlich Giorgio DeLuca, gemeinsam mit Joel Dean das inzwischen legendäre Geschäft im Stadtteil SoHo. Neu für die Stadt waren damals nicht nur Produkte wie der Balsamico-Essig und der Radicchio, die hier erstmals angeboten wurden, sondern auch das für einen derart exklusiven Laden völlig ungewohnte Interieur im coolen Industrie-Design.
www.deandeluca.com

London, Harrods

Böse Zungen behaupten, dass die Marke Harrods in Sachen Lebensmittel in erster Linie für hübsche Verpackungen steht. In der Tat sind es in der Regel entzückende, häufig typisch britisch-altbacken wirkende Säckchen, Döschen und Schächtelchen, in die hier die Lebensmittel gepackt werden. Was aber nichts daran ändert, dass die sehenswerte Food-Abteilung des ehrwürdigen Londoner Kaufhauses an der Brompton Road, das inzwischen im Besitz des Emirats Katar ist, eine der eindrucksvollsten und bestsortierten der Welt ist.
www.harrods.com

London, Fortnum & Mason

Das Kaufhaus an der Piccadilly ist etwas stärker auf Feinkost spezialisiert als sein Konkurrent Harrods. Sein größtes Atout ist allerdings, dass es als der Queen liebstes Kaufhaus gilt. Eröffnet wurde es 1707 von William Fortnum, einem Bediensteten der damaligen Königin Anne. Berühmt und beliebt sind die Hampers, also die exklusiven Geschenkkörbe des Hauses. Außerdem sollen hier die Scotch Eggs erfunden worden sein, jene hart gekochten Eier, die zuerst mit Wurstbrät umwickelt und danach paniert werden – wohl eine der bedeutendsten Beiträge Britanniens zu den Delikatessen dieser Welt.
www.fortnumandmason.com

Turin, Eataly

Mit dem ersten, im Jahr 2007 in Turin eröffneten Eataly-Markt in Turin hat der Unternehmer Oscar Farinetti eine regelrechte Nische gefüllt. Anstatt durch Exklusivität vermarktete man sich über zeitgemäßere Werte wie Nachhaltigkeit, Regionalität, Handwerk, Verantwortlichkeit und Solidarität mit den Bauern und Erzeugern. Die Rechnung ging auf, und so ist der Nobel­supermarkt heute in etlichen Städten der Welt präsent, in einigen, wie etwa in New York, sogar mit zwei Filialen.
www.eataly.net

Madrid, Mantequerías Bravo

Ursprünglich handelten Mantequerías mit Milchprodukten (Mantequilla = Butter). Mit der Zeit wandelte sich der Begriff und steht im Spanischen heute für Feinkosthandlungen. Die vermutlich berühmteste unter ihnen ist jene, die Señor Bravo vor knapp hundert Jahren im Viertel Salamanca eröffnete; und die bis heute von seinen Nachfahren betrieben wird. Spezialisiert ist das prachtvolle Geschäft naturgemäß auf iberische Wurst- und Schinkenwaren feinster Güte, aber auch auf spanische Käse und Weine sowie auf rare Importprodukte wie Kaviar, Foie gras und englischen Senf. Angeschlossen ist auch eine Kaffeerösterei.
www.mantequeriasbravo.com

Madrid, El Corte Inglés

Im größten und berühmtesten Kaufhaus Spaniens, das als Schneiderei begann („Der englische Schnitt“), befindet sich auch die größte Auswahl an Delikatessen im ganzen Land. Darunter etwa ein Dutzend unterschiedliche Schinken vom iberischen Schwein, die per Hand geschnitten werden. In einigen Filialen wurde der Delikatessenhandel mit einer Art Food-Hall ergänzt und das Ganze Gourmet Experience genannt. Die sehenswerteste unter diesen ist sicher jene im letzten Stock der Filiale in der noblen Calle de Serrano, wo einige Stände von Starköchen betrieben werden, darunter die Dreisterner David Muñoz und Jordi Roca. Das Ganze mit Dachterrasse und atemberaubendem Ausblick über die Hauptstadt.
www.elcorteingles.es

Hamburg, Alsterhaus

Dass auch die wohlhabende Handelsstadt Hamburg über ein repräsentatives Kaufhaus mit exklusiver Lebensmittelabteilung verfügt, scheint nur allzu logisch. Eröffnet wurde es im Jahr 1912 als Warenhaus Hermann Tietz. Das Angebot der Feinkostabteilung in der vierten Etage umfasst naturgemäß alles, was man gemeinhin unter Luxus so versteht, darunter Austern aus Frankreich, Irland und Sylt, Hummer aus Kanada und der Bretagne und ein eigenes Geschäft nur für Trüffel. Restaurants gibt’s freilich auch, darunter eines, das Sushi serviert und eine Terrasse mit spektakulärem Blick auf die Alster bietet.
www.alsterhaus.de

München, Feinkost Käfer

Zum Feinkost Käfer haben viele Wiener ein ähnliches Verhältnis wie zur Fußballmannschaft Bayern München, handelt es sich doch in beiden Fällen um etwas, für das man die kleinere und angeblich provinziellere bayerische Hauptstadt beneidet. Eröffnet wurde das Geschäft in der schicken Prinzregentenstraße in den frühen 1930er-Jahren. In Familienbesitz ist es trotz kontinuierlicher Expansion bis heute. Auf über tausend Quadratmetern werden unzählige Käsesorten und Wurstwaren, Weine aus aller Welt, exklusives Konfekt sowie Kaffee aus eigener Rösterei präsentiert. Alles in allem eben ein Angebot, wie es sich in dieser Vielfalt und Qualität nur selten wo findet.
www.feinkost-kaefer.de

Tokio, Isetan Shinjuku

Untergebracht ist Isetan Shinjuku, der Flagship-Store der Isetan-Kaufhauskette, in einem eleganten Tokioter Gebäude aus dem Jahr 1933 im Stil des Art dé­co. Im Untergeschoß, auf Japanisch „Depashika“, befindet sich die eindrucksvolle und exklusive Lebensmittel­abteilung, in der man an zahlreichen Theken für Europäer Exotisches, aber auch Vertrautes verkosten kann. Take-away-Gerichte können auch im hübschen Garten am Dach des Gebäudes gegessen werden. Gleich darunter, im siebten Stock, liegt der Food-Court mit seinen 16 Lokalen, von denen eines, das Tsukiji Miyagawa Honten,ausschließlich Gerichte mit Aal anbietet.
www.cp.mistore.jp/global/en/shinjuku.html

Berlin, KaDeWe

Den Begriff „Westen“ im Namen trug das Kaufhaus bereits bei seiner Eröffnung im Jahr 1905, also viele Jahre bevor es zu einer Trennung Berlins in einen West- und Ostteil kam. Die im sechsten Stock untergebrachte, schier gigantische Feinkostabteilung – hier wird sie „Feinschmeckeretage“ genannt – gilt als eine der größten und bestsortierten der Welt. Laut Homepage gibt es 30 Gourmet-Bars und arbeiten hier 150 Köche. Brot, Gebäck, Feingebäck und Torten werden in der eigenen Bäckerei beziehungsweise Patisserie gebacken. Nach einem Innenumbau durch das Büro des niederländischen Stararchitekten Rem Koolhaas wurde das stolze Berliner Kaufhaus erst im vergangenen Oktober neu eröffnet.
www.kadewe.de