Über Bauernbrot und Bauernschläue

Bauernbrot gilt gemeinhin als Synonym für besten authentischen Brotgenuss aus ländlicher Kleinmanufaktur. Aber was ist Bauernbrot eigentlich wirklich?

Text von Alexander Rabl/Fotos Michael Reidinger

Man sagt: „Lass uns ein kleines Fest feiern, ich habe Trüffel!“ Man sagt nicht: „Lasst uns ein kleines Fest feiern, es gibt Bauernbrot.“ Und dennoch hat dieses Brot mit teuren Schweizer Uhren ebenso etwas gemeinsam wie mit den begehrten hässlichen Erdknollen. Es gibt nämlich mehr davon, als es wirklich gibt. Barbara van Melle, Brotbäckerin aus Leidenschaft und Buchautorin, sagt: „Ernst gemeintes Bauernbrot wäre eigentlich aus Getreide aus eigenem Anbau.“ Das sei im Osten Weizen, und je alpiner die Region wird, dominiert der Roggen. „Der Begriff Bauernbrot ist für Konsumenten undurchschaubar“, sagt sie. „Ich bin selbst schon in Bäckereien in Kärnten gestanden, die aus Backmischungen Brot gebacken haben, welches dann vom Bauern abgeholt und am nächsten Bauernmarkt als Bauernbrot angeboten wurde. Nur weil jemand am Markt ein Bauernbrot verkauft, bedeutet das nicht, dass in dem Brot bäuerliche Tradition und Sauerteig drinnen sind.“

Denn Hefe habe eigentlich in einem Bauernbrot nichts verloren. „Bauernbrot ist der Tradition gemäß ein Sauerteigbrot, denn Roggen ist nur mit Sauerteig backfähig. Heute backen viele mit Hefe, was nicht traditionell ist und mit dem Verfall der Backkultur zu tun hat.“

Bauernbrot ist der Tradition nach Frauensache. Die Bäuerinnen backen seit Generationen für den Eigenbedarf, für Familie und Freunde, manchmal für einen mit dem Hof verbundenen Gastbetrieb. Sehr selten gibt es das Brot auch zu kaufen. Die Rezepte werden von den Müttern und Schwiegermüttern an die Töchter und Schwiegertöchter weitergegeben. Die Einsamkeit der Bauernhöfe, die das Backen des eigenen Brotes notwendig machte, ist Vergangenheit. Doch in vielen Gegenden Österreichs hat sich die Tradition des selbst gebackenen Brots erhalten, nicht aus Notwendigkeit, sondern aus Liebe zum Handwerk.

„Meine Mutter stand jeden Tag um drei Uhr auf, um das Brot zu backen“, erzählt Erika Müller, die für die Gäste der Forelle am Weissensee mehrmals in der Woche Bauernbrot nach ihrem Rezept sowie Dinkelbrot bäckt. Acht Uhr morgens in der Küche, noch ist der Betrieb kaum spürbar. Erika Müller hat am Nachmittag des Vortags aus Sauerteig, etwas Wasser und Roggenmehl einen Teig angesetzt. Der Vorteig ruht seither in der Rührmaschine, in einem Topf aus Metall, welcher ungefähr dreißig Zentimeter Durchmesser hat. Früher knetete Erika Müller den Brotteig mit den Händen. „Der Teig lebt“, sagt sie. Es duftet angenehm nach Roggen, nussig und würzig. „Meinen Sauerteig habe ich seit zirka fünf Jahren“, sagt Erika Müller, „genau weiß ich es gar nicht.“ Neben dem Roggenmehl kommt bei Frau Müller noch Biomehl aus Waldstaude in den Vorteig, und zwar fünf Stunden vor dem Backen, dazu noch etwas Wasser, ein genaues Rezept hat sie nicht. Die Wasserbeigabe und das Rühren des Teigs passieren nach Gefühl. Ihre Gewürzmischung: Koriander, Kümmel, Fenchel und Anis.

„Ich möchte Harmonie, ich will nicht, dass da ein Gewürz vorschmeckt.“ Ein paar Löffel Gewürze kommen in den Teig und natürlich Salz. Außerdem etwas Schabzigerklee, den Frau Müller vor Kurzem ein Gast mitgebracht hat. „Man könnte auch etwas Dinkel oder Weizen dazugeben, denn der Roggen hat an sich zu wenig Kleber. Manchmal mache ich das.“ Während der Vorteig einfach angerührt wird, wird der Teig jetzt geknetet. Dann darf er wieder rasten. Etwas Malz noch dazu. Die Rührmaschine arbeitet. Erika Müller hilft mit der Hand nach, damit sich Vorteig und Mehl perfekt mischen. Mit dem Finger überprüft sie, ob der Teig richtig ist. „Bevor die Rührmaschine kam, habe ich das mit der Hand gemacht. Da hat man das absolute Gefühl.“

Erika Müller erzählt von ihrer Mutter, die am Selbstversorgerbauernhof auf einer Alm im Gailtal arbeitete, wo sie aufwuchs. „Die Mutter hatte keinen Sauerteig, wie ich ihn heute habe. Sie nahm vom aktuellen Teig ein Stück, ließ es trocknen und fügte es dann dem Brot am nächsten Tag hinzu.

Und so ging es jeden Tag. Dazu brauchte es aber etwas Hefe, weil der Sauerteig selbst zu schwach war. Die Mutter hatte auch kein Vollkornmehl so wie ich, sondern feines Mehl, Roggen und Weizen. In der Nacht, wenn ich munter wurde, war die Mutter oft um drei Uhr Brot backen.“ Die Brotreste werden gemahlen, im Ofen gebacken und kommen dann noch einmal in den Teig, aus dem das frische Brot gebacken wird. „Bei uns wird kein Brot weggeworfen, man kann aus allem etwas machen.“ Nicht die Mutter hat Hannes Müllers Mutter das Brotbacken beigebracht: „Erst als ich am Weissensee war, wir unsere Kinder hatten und die Kinder groß waren (und Hannes einer der besten Küchenchefs des Landes wurde), spürte ich das Verlangen, Brot zu backen. Ich habe es mir dann irgendwie auch selbst beigebracht, bin oft gescheitert, bis es so weit war, dass es mir geschmeckt hat. Leider konnte ich meine Mutter nicht mehr befragen.“ Nach vier Stunden Ruhezeit wird der Teig in verschiedene, gleich große Laibe geteilt und wieder kräftig mit der Hand geknetet. Danach formt Erika Müller längliche Striezel und bettet sie in Körbe. Es ist zwölf Uhr mittags. Nun hat der Teig unter der Wärmelampe nochmal zwei Stunden Zeit. Um zwei Uhr ist der Ofen heiß. Drei Stunden später ist das Brot fertig gebacken und nur noch handwarm. Die Oberfläche der Brotlaibe erinnert an das wettergegerbte Holz alter Balkone. Kostprobe: Brot mit Butter – köstlich. In ein paar Tagen wird es noch besser schmecken, werden Teig und Gewürze miteinander zur Hochform auflaufen. Erika Müller: „Das Brot hält jetzt bis zu zehn Tage.“

Die Familie Reitbauer machte Bauernbrot in Ostösterreich beliebt, als man dort noch von Fabriksbrot aus Backmischungen lebte. Motto: Hauptsache billig. Viele Jahre ließen sich Heinz Reitbauer senior und Margarethe Reitbauer ihr Pogusch-Brot von drei Bäuerinnen backen, die rund um das Steirereck am Pogusch wohnten.

Birgit Reitbauer erinnert sich an die Zeit am Pogusch: „Wenn unsere Bäuerinnen am Donnerstag geliefert haben, gab es das noch warme Brot, und Heinz und ich stürzten uns auf das Brot, schnitten uns ein Scherzerl herunter und hörten erst auf zu essen, als es uns zu viel war und der Magen zwickte.“ – Das Brot noch lauwarm essen, hat da der Arzt nicht irgendwann einmal tadelnd den Kopf geschüttelt? „Doch die Arbeit mit den Bäuerinnen wurde mit der Zeit kompliziert. Viele hörten auf zu backen, gleichzeitig stieg die Nachfrage, deshalb habe ich eines Tages beschlossen: Wir backen unser Brot ab jetzt einfach selbst“, erzählt Birgit Reitbauer. Sie ließ sich das Backen zeigen, belegte mehrere Kurse in Kärnten im Rosental, in Paris und in London. 120 Kilo Brot sind es in der Woche, die Birgit Reitbauer in ihrem Nebenberuf als Brotbäckerin verantwortet.

Das gemeinsam formulierte Ziel am Pogusch sei natürlich Sauerteigbrot. Und jetzt erfahren wir auch, warum Bauernbrot meistens fester ist als beispielsweise das Brot nach dem Vorbild der Pariser Boulangerie Poilâne. „Es ist der Roggen, der ist schwerer und nimmt mehr Wasser auf, das Brot bleibt länger haltbar und saftig.“ Birgit Reitbauer setzt einen halben Tag vor dem Backen den Sauerteig an, dann benötigt sie viel mehr Wasser, als wenn sie den Teig mit Weizen zubereiten würde. Beim Weizen brauche man viel weniger Wasser, so Birgit Reitbauer, dafür sei das Brot dann auch nach ein paar Tagen viel trockener.

Der Weg zu Roswitha Huber führt über eine kleine Bergstraße, die letzten dreihundert Meter sind nicht asphaltiert, neben der Straße grasen die Kühe. Wegen Milch oder Käse fährt keiner zu Roswitha, die als Lehrerin nach Rauris kam, und hier auf einmal die Berufung zu einer anderen Mission verspürte. Statt Rechnen und Schreiben wollte sie den Kinder das Brotbacken beibringen. Das ist jetzt mehr als ein Vierteljahrhundert her. Sie gründete die Backschule am Berg (schule-am-berg.at), richtete einen kleinen schönen Raum zum gemeinschaftlichen Teigkneten ein und ist seitdem weit über die Grenzen des Pinzgaus bekannt. Gekommen sind zum Lernen dann nicht nur Kinder, sondern auch viele Erwachsene. Gerade findet ein Brotbackkurs eines deutschen Bestsellerautors statt, der über Roswitha ein Buch geschrieben hat. Auf über 1.600 Metern ist man per du. Wer bei Roswitha einen Brotbackkurs bucht, kann sich dafür eine Woche Zeit nehmen. Die Stube des 500 Jahre alten Hofs, den Roswitha einst übernommen und restauriert hat, verströmt Wärme und Behaglichkeit. Geprägt wird der Raum vom etwa 250 Jahre alten Holzofen, der in die Wand eingebaut ist. Das Brot wird aber nicht im Haus gebacken, sondern davor, in einem neuen Backofen, der so schön gebaut ist, als wäre er eine kleine Kapelle. Andächtig warten Roswithas Schüler, bis das Brot, dessen Teig sie selbst geknetet haben, aus dem Ofen kommt. Roswitha erzählt: „Früher hatte hier jeder Hof sein Getreidefeld, und es hatte auch jeder seine kleine Getreidemühle. Auch weil Bauer A nicht mit der Mühle von Bauer B malen wollte, in der sich vielleicht Reste des Getreides von B befanden.“ Dann erzählt sie von einem Bauern aus Rauris, dem ein Stück Brot das Leben in der Kriegsgefangenschaft in Russland gerettet hatte. Aus Dankbarkeit und Respekt hatte er als Letzter im Ort sein Getreidefeld behalten und bewirtschaftet. „Der Teig braucht Zeit – wer bei mir einen Backkurs besucht, lernt unter anderem das.“ Ein Roswitha-Schüler ist für Gebäck aus der Supermarkt-Backstube für immer verloren. „Die Bäcker sind mir dankbar, sagen sie, denn bei mir lernen die Menschen, welcher Aufwand hinter gutem Brot steckt.“ Wenn Brot in den Alpen das Thema ist, muss auch erwähnt werden, dass Brot in der kirchlichen Liturgie eine wesentliche Rolle spielt. Entsprechend mythenbeladen ist Brot in Gegenden, wo mehr große und kleine Kirchen zu finden sind als Getreidemühlen. Dass Letztere seltener zu sehen sind, ist einigen gründlich arbeitenden Hochwässern zu danken und der Tatsache, dass die mit Wasser betriebenen Mühlen naturgemäß näher an kleinen Flüssen und Bergbächen gebaut waren als Kapellen und Klöster. Glaubenssache ist jedenfalls auch das Thema Bauernbrot. Dieser rar zu findenden Delikatesse eine Messe zu lesen, dafür ist es zu früh, aber, wie Barbara van Melle sagt: „Viele Bauern mussten – wie auch viele Bäcker – erst wieder das Brotbacken lernen.“ Immerhin: Die Lust und das Interesse am Backen sind nicht nur in den Städten, sondern auch in den Bergen so groß wie schon seit Jahrzehnten nicht. Bauernbrot ist eine autochthone Spezialität, sofern es sich um echtes Bauernbrot handelt und nicht um ein Produkt der Bauernschläue.


Lesachtal
In kleinen Bauernläden gibt es das Lesachtaler Brot der Bäuerinnen zu kaufen. Slow-Food-Presidio, Sie verstehen! Details unter
www.lesachtalerbrot.at


Obauer
Das Obauer-Bauernbrot kommt von einer Bäuerin in Werfenweng, die ihr Rezept wohl ins Grab ­mitnehmen wird. Man kann es in Werfen in der Metzgerei Obauer kaufen, allerdings ist die kleine Menge oft ausverkauft. Also früh aufstehen. Oder im Online-Bauernshop direkt bestellen:
www.obauer.com/de/shop/products


Steirereck
Hier gibt es das Pogusch-Brot.
www.steirereck.at


Kasses
Von den in Wien gehandelten Broten erinnert in Duft und Würze (Fenchel, Anis) am ehesten das Thayabrot vom Waldviertler Bäcker Kasses an die Bauernbrote aus den Alpen, allerdings handelt es sich dabei um Weizenbrot.
www.kasses.at


Itzlinger’s
Das Sauerteig-Roggenbrot dieser Bäckerei ist zwar kein echtes Bauernbrot, aber geschmacklich sehr nahe dran.
www.tzlingers.at

Was es am Bauernhof halt so gab: Wasser, Mehl aus selbst angebautem Korn, Salz und Gewürze. Sauerteig war früher obligat.