Am schönsten Ende der Welt

Text von Hans Mahr Foto von The Sugar Club

Zu Besuch bei den Antipoden. Die Landschaft war immer schon beeindruckend. Im Norden Sandbuchten und heiße Quellen, im Süden Fjorde und Gletscher und überall Schafe, Schafe, Schafe. Für Naturfreunde ein Eldorado, während die Liebhaber von gutem Essen und Trinken bis vor einigen Jahren etwas zu kurz gekommen sind.

Ich erinnere mich an meinen ersten Neuseeland-Besuch vor dreißig Jahren. Kein Blick zurück im Bösen, aber die Fische waren meist bis zur ab­soluten Trockenheit verbraten, dafür gab’s praktisch ­rohes Lammkarree vom Rost – und die Qualität des Weines war enden wollend. Geschmacklich bewegten sich die Neuseeländer damals noch sehr im Windschatten ihrer englischen Eroberer. Mit anderen Worten: Wegen des Essens und Trinkens ist niemand um die halbe Welt herum zu den Antipoden gereist.

Das hat sich dramatisch geändert. Im Zuge des kulinarischen Aufschwungs in Australien hat sich auch die neuseeländische Küche von der Tradition gelöst und ist heute – neben heißen Quellen und Fjorden – ein guter Grund für den Besuch am anderen Ende der Welt. Deshalb soll es in dieser Story auch weniger um Landschaft und mehr um die kulinarischen Reize gehen.

Ganz ehrlich, leicht hatte sie es nicht, die neuseeländische Nouvelle Cuisine. Die Traditionsküche der Maoris, der Ureinwohner, ist keine wirklich beeindruckende. Das Dämpfen von Speisen in einem Erdloch sieht zwar ganz lustig aus, bringt aber kaum geschmackliche Höhe­punkte. Später kam dann die englische Küche ins Land, mit Bohnen- und anderen Eintöpfen. Erst die neueren Zuwanderer, die Asiaten – aus ­China, Japan und Indien – und die Europäer – vor allem aus Italien und Spanien – haben die dröge Kulinarik aufgefrischt. Und aus all diesen Einflüssen ist die pazifische Küche entstanden.

Verkosten kann man sie am besten in den zwei großen Städten der Nordinsel, in Auckland und Wellington. Beide liegen am Meer, daher steht die Fischküche ganz im Vordergrund. Nach mehr als zwanzig Stunden Flug heißt es, sich in Auckland zu akklimatisieren und die zwölf Stunden Zeitunterschied in den Griff zu bekommen – ideal für einen relaxten kulinarischen Bummel durch die Hafenstadt. Am besten fängt man im Harbourside an, wo gegenüber die großen Kreuzfahrtschiffe anlegen. ­Alles, was sich im Meer bewegt, kommt hier auf den Tisch: Austern, Muscheln, Krabben, Calamari und der frischeste Fisch nach dem Grundsatz „in der Früh geangelt, mittags ausgeliefert, abends auf dem Tisch“.

Wer’s etwas einfacher haben will, pilgert ins Swashbucklers am Yachthafen. Die Prawns kommen halbkiloweise, und der Fisch kommt ent­weder als Ganzes, gekocht, gebraten oder asiatisch verfeinert als Filet auf den Teller. Noch etwas rustikaler geht’s am Auckland Fish Market zu. Dort findet man zwar nur „kleine Gastronomie“, dafür macht es aber riesigen Spaß, das große Angebot an Seafood reihum zu verkosten.

Ein Geheimtipp versteckt sich im 53. Stock des Sky Towers, einem der Wahrzeichen von Auckland. Der Sugar Club zählt zu den drei besten ­Restaurants Neuseelands. Und das zu Recht. Zum Spiny crayfish mit ­Safrannudeln und dem Reh mit Wassermelone und Cashewkernen kommt noch der Ausblick – und zwar auf zwei Meere gleichzeitig, links das Tasmanische Meer und rechts der Pazifische Ozean. So viel Ausblick kann selten ein Restaurant irgendwo auf der Welt bieten.

Doch eine Warnung: Auckland ist nett, gemütlich und im wahrsten Sinne des Wortes schläfrig. Die meisten Restaurants nehmen Bestellungen nur bis 19.30 Uhr an, und um 21, 21.30 Uhr am Abend ist’s auch schon vorbei. Sperrstunde.

Da geht es in der Hauptstadt Wellington, eine Flugstunde oder sieben Autostunden gen Süden, schon etwas lebendiger zu. Und auch deutlich kreativer. Hier befindet sich das Epizentrum der neuen neuseeländischen Küche, und Chef Paul Hoather ist sozusagen der personalisierte Urknall des kulinarischen Aufschwungs. Anfang der 90er-Jahre eröffnete er sein erstes Gourmetrestaurant, servierte Gemüse aus dem eigenen Garten und ausschließlich Fisch und Fleisch aus der Gegend: „Wir wurden damals noch viel zu stark von der alten englischen Küche beeinflusst, aber schön langsam haben sich die internationalen Trends – frisch, lokal und ohne Schnörkel – durchgesetzt.“

Heute hält er bei Restaurant Nummer drei, dem Whitebait, direkt am noblen Yachthafen. Genauso schnörkellos wie das Essen ist auch die Einrichtung, puristisch und praktisch. Eigentlich könnte man auch wunderbar auf der Terrasse sitzen, aber der in Wellington unaufhörlich blasende Wind lädt eher zum Verweilen drinnen ein. Wo man rohe Garnelen mit weißem Pfirsich, in Sauvignon blanc geräucherten Lachs und Languste mit fermentierten Tomaten genießen kann. Für mich eindeutig die beste Seafood-Küche Neuseelands.

Wer’s etwas konservativer angehen will, der besucht das eher steife, aber gute Logan Brown, einen Klassiker seit zwanzig Jahren, wo ebenfalls nur neuseeländische Produkte auf den Tisch kommen. Und wer trotz des nahen Meeres nicht auf Fleisch verzichten will, ist im Hippopotamus im fünften Stück des Hotels QT Museum mit Blick aufs Meer bei Beef und Lamm gut aufgehoben.

Sie wollen tatsächlich – trotz Geschmackswarnung – die originale ­Maori-Küche kennenlernen? Dann müssen Sie zwischen Auckland und Wellington in Rotorua bei den heißen Quellen Station machen. In dem Maori-Dorf Whakarewarewa (stimmt so!) werden noch wie einst heißes Wasser und Wasserdampf für die Essenszubereitung verwendet. Das Gemüse hängt in einer Holzbox im heißen Pool, und das Fleisch dünstet im Dampf. Ehrlicherweise: mehr Spaß als große Kochkunst. Die bietet eher der Maori-Chef Charles Royal, der seine neugierigen Kunden mit in den neuseeländischen Busch nimmt, um einheimische Kräuter und Gemüsesorte zu ernten und dann auch original zu verkochen. „Am Schluss gibt’s ein Hangi-Fest, bei dem im Erdofen gekocht wird, und wir singen Maori-Lieder am Lagerfeuer!“, preist Chef Royal seine Maori-Sause an. Na ja, ein bisschen touristisch, aber wem’s Spaß macht …

Auf der Südinsel dreht sich kulinarisch alles mehr ums Trinken als ums Essen. In den letzten dreißig Jahren hat sich Neuseeland dank des einzigartigen Klimas – nicht zu heiß, nicht zu kalt, immer feucht – zu einem Weinland erster Klasse entwickelt. Die Sauvignon blancs und die Pinot noirs schlagen bei internationalen Verkostungen immer öfter sogar ihre französischen Kollegen. Und beim Preis-Leistungs-Verhältnis ohnehin. Namen wie Cloudy Bay oder Villa Maria sind heute auf jeder Speisekarte zwischen Wien und New York zu finden.

Man glaubt es kaum, aber zwei Österreicher waren an diesem neuseeländischen Weinwunder maßgeblich beteiligt. Den Steirer Hermann Seifried verschlug’s schon in den 70er-Jahren nach Neuseeland, er verliebte sich in eine Einheimische und blieb dort. „Ich komme aus einer Obstbau-Familie in der Südsteiermark, und deshalb habe ich in Neuseeland mit Apfelwein begonnen“, blickt der 72-Jährige zurück. „Aber die Obstbäume haben wir bald durch Weinstöcke ersetzt – und heute produ­zieren wir vier Millionen Flaschen!“ 70 Prozent davon gehen in den Export. Applaus für den Steirer, der mitgeholfen hat, neuseeländische Tropfen weltweit auf die Weinkarten zu bringen.

Ein paar Jahre nach dem Steirer hat sich ein Salzburger auf den Weg nach „drüben“ gemacht: Rudi Bauer, in Gumpoldskirchen zum Winzer ausgebildet, hat sich ebenfalls auf der Südinsel niedergelassen. „Damals, in den 80er-Jahren, wurde in ganz Neuseeland auf 6.000 Hektar Weinbau betrieben – heute sind es 40.000“, erzählt er. Auch er blieb wegen der Liebe. Seine Sue Ellen ließ ihn nicht mehr los und das Winzergeschäft auch nicht. Eine Stunde entfernt von der Adventure-Metropole Queenstown (dort wurde das Bungee Jumping erfunden), in Central Otago, kaufte er sich „ein paar steile Hänge mit nix drauf, nur viele Hasen in der Gegend“. 2001 wurde der erste Jahrgang geerntet – Pinot noir und Pinot gris. Heute gehört sein Quartz Reef Estate zu den angesagtesten Winerys. Und wer will (und das zahlt sich aus), kann seine Weine heute sogar bei Spar im alten Austria kaufen.

Ob bei Seifried in Nelson am Meer, bei Quartz Reef am Lake Dunstan oder bei Cloudy Bay im berühmten Marlborough District – so freundliche Winzer und so unkomplizierte Verkostungen habe ich nirgendwo auf der Welt erlebt. Um zehn bis 15 Euro kann man überall an Spitzenweinen nippen und eine Kleinigkeit essen, bei Cloudy Bay frische Austern von der Küste und ein Beef Tatar aus heimischem Rind.

Weil sich im Marlborough District die bekanntesten Produzenten und damit die meisten weinbegierigen Touristen aufhalten, findet man dort auch die besten Restaurants. Zwei davon rittern um den Titel des besten auf der Südinsel. Im Hans Herzog Estate im noblen Winzerhaus kostet das fünfgängige Menü 80 Euro und die Weinbegleitung dazu 40 Euro. Dafür gibt’s Gänseleber mit Granny-Smith-Kaviar, einen pazifischen Blue Moki mit Ingwer und Zitronengras und neuseeländisches Lamm in Trüffelsauce. Dass bei der Weinbegleitung auch ein Hirtzberger Singerriedel angeboten wird, erfreut den Österreicher – und sicher auch den Franz.

Auch das konkurrierende Arbour ist mitten im Weingarten gelegen. Ähnliche Preise, ähnlich kreative „Nouvelle Cuisine“: Clams und Miesmuscheln in Buttermilch, Oktopus in Joghurtcurry und Rinderbacken plus Rinderzunge mit schwarzem Knoblauch. Welches der beiden Spitzenrestaurants wirklich besser ist, muss der Gast selbst entscheiden, beide sind einen Besuch wert.

Den Abschluss eines Neuseeland-Trips bildet meist das lebhafte, vorher bereits erwähnte Queenstown. Dort kann man nicht nur einen Abstecher zu Paradewinzer Rudi Bauer machen, sondern auch samt Familie jede Art von Abenteuer bestehen – nicht nur das berühmte Bungee Jumping (mit der höchsten Fallhöhe der Welt), sondern auch Zip Lining (mit 60 km/h am Seil zu Tale) oder wilde Schlauchbootfahrten durch Fluss-Schluchten (plus 360-Grad-Spins mit Achterbahn-Feeling).

Wer danach trotz Adrenalinschubs auch noch kulinarisch etwas erleben will, ist bei Eichardt’s, im True South direkt am schönen Lake Wakatipu oder im Fishbone in der Stadt gut aufgehoben. Und ein Geheimtipp: In der Winery auf der Hauptstraße kann man achtzig Weine glasweise verkosten, mit ein paar Tapas dazu, damit sich der Alkohol nicht so schnell bemerkbar macht.

Wie sagt der österreichische Wein-Pionier Rudi Bauer so richtig? „Neuseeland ist Natur pur – Landschaft, Meer, Berge, Schafe, Wale, wunderschön. Aber auch der Wein ist heute eine der wirklichen Attraktionen Neuseelands.“ Da hat er Recht, der Rudi. Und das wird doch wohl einen 22-Stunden-Flug rund um die Welt wert sein …