Die Hallen der Deli-Welt

Markthallen sind nicht nur wichtige Nahversorger, sie sind oft auch architektonische Kleinode und nicht zuletzt echte Touristenmagneten. A la Carte präsentiert ein Best-of für ihre kommenden Reiseplanungen.

Text von Georges Desrues Foto: Magnus Elgquist

Mutter aller Markthallen war mit Sicherheit der Pariser Großmarkt, nach dem Schriftsteller Émile Zola auch „Bauch von Paris“ genannt, ein prachtvolles Ensemble von Pavillons aus Stahl und Glas, entworfen von Architekt Victor Baltard, das Anfang der 1970er-Jahre modernen Hygienevorschriften weichen musste – und zum Bedauern vieler komplett geschleift wurde. Zu dem Zeitpunkt galten Markthallen im Allgemeinen schon als überholt und wurden von Supermärkten verdrängt. Darum ist es vermutlich müßig, darüber zu klagen, dass viele dieser Hallen heute mehr Touristen als Einheimische empfangen, da viele von ihnen ohne die Touristen wohl gar nicht überlebt hätten beziehungsweise heute profane Supermärkte wären. Hier einige der spektakulärsten in Europa.

Venedig, Mercato di Rialto Pescheria

Der vielleicht am wenigsten touristische Ort im unter Touristenströmen ächzenden Venedig ist die famose Fischmarkthalle am Rialto-Markt. Und das, obwohl sie in unmittelbarer Nähe
der bei Selfie-Jägern so beliebten gleichnamigen Brücke liegt. Das Gebäude im Stil der venezianischen Gotik stammt aus dem beginnenden 20. Jahrhundert und ist damit viel jünger, als es den Anschein hat. Männer und Frauen in Gummistiefeln und -schürzen bieten eine eindrucksvolle Vielfalt an Fisch und Meeresfrüchten zu, für venezianische Verhältnisse, erstaunlich moderaten Preisen, die von auskennenden Einheimischen und Wirten gekauft werden. Davor legen Boote an und ab, die große Mengen an lokaler und importierter Ware anliefern. Das alles unter den gierigen Blicken der Möwen.
Sestiere San Polo, 122, Venedig

Valencia, Mercado Central de Valencia

Der Mercado Central in der Heimatstadt der Paella ist in gewisser Weise die Kathedrale unter den Markthallen. Mehrere Dachkuppeln, zahlreiche Säulen, die Glasfenster und Eisenverstrebungen verleihen ihr ein Erscheinungsbild, das stark an die nahe Lonja de la Seda erinnert, die Seidenbörse aus dem 15. Jahrhundert. Und so gilt die Halle in Valencia als ein Parade­beispiel der lokalen Spielart des Jugendstils und für dessen Bezugnahme auf die Architektur der Gotik. Ihr weitläufiges Inneres beherbergt über tausend Verkaufsstände, auf denen sich Meeresfrüchte, Wurstwaren, Früchte und Käse und in zunehmendem Maße auch Souvenirs türmen.
mercadocentralvalencia.es

Helsinki, Vanha kauppahalli/Alte Markthalle

Die finnisch Vanha kauppahalli und schwedisch Gamla Saluhallen genannte Halle ist ein prächtiger Ziegelbau aus dem Jahr 1888, für dessen Planung sich der lokale Architekt Gustaf Nyström von Beispielen in südlicheren Gefilden inspirieren hat lassen. Vielleicht hatte er deshalb auf die Heizanlage vergessen, die erst 1969 eingebaut wurde. Womit anzunehmen ist, dass es sich bis dahin und zumindest in den Wintermonaten um eine Art „Tiefkühlkost-Markt“ handelte. Heute kommen Einheimische wegen der wohlsortierten Auswahl an französischen Käsen und italienischen Wurstwaren, Besucher indessen eher wegen der Elch-Filets, Rentier-Keulen und geräucherten Fische wie dem famosen Wildfanglachs aus der Ostsee.
vanhakauppahalli.fi

Paris, Marché d’Aligre

In einer Großstadt wie Paris, die mit Freiluft-Wochenmärkten gesegnet ist wie keine zweite, haben es Markthallen entsprechend schwer. Dennoch wurden in den letzten Jahren einige
der alten Hallenkonstruktionen renoviert beziehungsweise reaktiviert. Darunter der hübsche überdachte Teil des Marché d’Aligre am gleichnamigen Platz. Das Gebäude stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts und trägt den offiziellen Namen Halle Beauvau. Teile davon fielen im Jahr 2015 einem Brand zum Opfer und mussten renoviert werden. Das Angebot ist durchaus attraktiv, was auch daran liegt, dass das Viertel um den Place d’Aligre als das Zentrum der kulinarisch bekanntlich höchst anspruchsvollen Hipster-Szene gilt und hier (Craft)Bier-Pubs, (Natur)Wein-Lokale, (Filter)Kaffee-Bars sowie einige der angesagtesten Restaurants (Septime, Table), beheimatet sind.
Marché Beauvau, Place d’Aligre, 75012 Paris

Stockholm, Östermalms Saluhall

Das prachtvolle Backsteingebäude mit seiner verspielten Fassade und den ­zahlreichen Türmchen und Giebeln stammt aus den 1880er-Jahren und wurde im Vorjahr nach ausgiebigen Renovierungsarbeiten wiedereröffnet. Dass man in Schweden ist, erkennt man allein schon an den zahlreichen schwedischen Fahnen, die aus den meisten Ständen ragen. Aber auch an den für die Stadt so typischen Anstrengungen, sich als Foodie-Destination zu etablieren. So wurde etwa auch ein überdachter Hof mit Restaurants errichtet, über den man direkt in das im vergangenen Mai eröffnete Hotel Villa Dagmar gelangt.
ostermalmshallen.se

Porto, Mercado do Bolhão

Ein Besuch des größten Markts in Portugals zweitgrößter Stadt gestaltet sich ein wenig wie eine Zeitreise. Ältere, von oben bis unten in Schwarz gekleidete Damen bieten Kräuter und Knoblauch an, aber auch lebendige Kaninchen und Hühner. Es gibt Blumen, Fleisch und Frischfisch und die hervorragenden lokalen Wurstwaren. Zudem auch allerhand Innereien, für die Porto berühmt ist und die ihren Einwohnern den Spitz-namen „tripeiros“ einbrachte, was – frei übersetzt – so viel wie „Kuttler“ bedeutet. Nur für den für Portugal emblematischen Stockfisch muss man in eines der umliegenden Geschäfte ausweichen, wo er in unterschiedlichsten Qualitäten angeboten wird. Unbedingt beachtenswert sind die Werbungen aus dem 19. Jahrhundert, die, im Stil von Azulejos, auf Keramikfliesen an den Wänden prangen. Zurzeit wird das Gebäude im Stil des Neoklassizismus renoviert und soll Anfang 2022 neu eröffnen.
mercadobolhao.pt

Florenz, Mercato Centrale

Dass der Florentiner Zentralmarkt auch bei Touristen sehr beliebt ist, liegt in erster Linie an den zahlreichen Ständen, die hier traditionelle toskanische Speisen zu äußerst vernünftigen Preisen anbieten. Darunter natürlich und in erster Linie der sensationelle emblematische Lampredotto, ein gekochter Blättermagen, der in einer Art Semmel daherkommt. Besondere Beachtung verdient ein ziemlich großflächiger Stand namens Da Nerbone, der neben besagtem emblematischem Sandwich auch allerhand klassische toskanische Suppen und Eintöpfe anbietet. Entworfen wurde die Ende des 19. Jahrhunderts eröffnete Halle von Architekt Giuseppe Mengoni, der auch für die berühmte Mailänder Galleria Vittorio Emanuele II verantwortlich zeichnet.
mercatocentrale.com

Lyon, Halles de Lyon Paul Bocuse

Von zweierlei Dingen sind die Lyoneser restlos überzeugt. Nämlich, dass der 2018 verstorbene Paul Bocuse der beste Koch aller Zeiten war; und dass man nirgendwo auf der Welt besser isst als in Lyon (und schon gar nicht in Paris). Darum ist es auch kein großes Wunder, dass die Stadt im Jahr 2006 beschloss, ihre größte Markthalle nach dem berühmten Sohn der Stadt zu benennen, der damals noch lebte und einst hier Stammkunde war. Im Jahr 2016 erhielten dann die einzelnen Gänge die Namen der legendären „Mères Lyonnaises“, jener Restaurant-Betreiberinnen, die den Ruf der Stadt als Kapitale des guten Essens begründeten. Darunter die geradezu mythische Mère Brazier, bei der Bocuse in die Lehre ging. Sie war nicht nur die erste Frau, die drei Michelin-Sterne verliehen bekam, sondern auch der erste Mensch, der das zeitgleich in zwei Restaurants schaffte. Die Architektur der Markthalle stammt aus den 1970er-Jahren
und ist somit weniger aufregend als jene historischer Pendants an anderen Orten. Dafür ist das Angebot an Würsten, Pasteten, Käsen, Geflügel etc. tatsächlich eines der eindrucksvollsten Frankreichs – und damit der Welt.
halles-de-lyon-paulbocuse.com

Cork, English Market

Dass eine Markthalle in Irlands zweitgrößter Stadt „Englischer Markt“ heißt, liegt beruhigenderweise nicht daran, dass hier Lebensmittel aus England angeboten werden. Viel mehr stammt der Name aus der Zeit der britischen Besatzung, als die einheimischen Iren ihre Märkte im Freien und bei Wind und Wetter abhalten mussten, während die englischen Herrschaften ihre
Einkäufe unter schützendem Dach tätigten. Die Halle mit ihrem ornamentalen Eingang und den hölzernen Dachverstrebungen wurde im viktorianischen Stil der Mitte des 19. Jahrhunderts erbaut und 1980 nach einem Brand renoviert. Heute ist der Markt einer der wenigen Orte in Irland, an dem man noch traditionelle Speisen wie in Milch gekochte Rinderkutteln oder Drisheen (Blutwurst) kaufen beziehungsweise essen kann.
corkcity.ie/en/english-market

Barcelona, Mercat de la Boqueria

Zugegeben: Die Boqueria ist eine der schönsten Markthallen Europas. Allerdings ist das Touristengedränge inzwischen so groß, dass zumindest jemanden, der den Markt noch in den 1980er-Jahren kannte, zwangsweise die Nostalgie packt. Vor einigen Jahren wurde sogar eine Regel eingeführt, die besagt, dass Gruppen über 15(!) Personen nicht gleichzeitig hinein dürfen. Das ursprüngliche Gebäude stammt aus der zweiten Hälfte des 19. Jahr­hunderts und wurde im beginnenden 20. Jahrhundert im flamboyanten katalanischen Jugendstil erneuert. Heute wird hier viel Ortsfremdes wie Hot Dogs, Smoothies und Burritos angeboten, und es betreiben auch einige spanische Starköche hippe Restaurants und Tapas-Bars. Folglich empfiehlt es sich, zeitig am Morgen zu kommen, wenn noch so etwas wie echtes Markttreiben herrscht.
boqueria.barcelona