Prag Kulinarisch

Zeitgemäße, leichte Regionalküche ist in Prag immer noch eine Seltenheit, aber immerhin zu haben. Daneben gibt es eine Gasthausszene, die vor allem mit einem vielfältigen Bierangebot punktet.

Text von Hans Mahr

Wenn ich einmal älter bin, dann werde ich vielleicht so etwas wie das Café Hawelka aufmachen. Und wie der legendäre Herr Hawelka ein paar Leuten, die ich kenne, den Kaffee ­servieren!“ So spricht kein nostalgischer Exil-Österreicher, sondern ein dynamischer Prager Gastronom, der sein Geschäft in Österreich gelernt hat und heute das beste Restaurant Tschechiens führt.

Nein, das wunderschöne Prag ist nicht für seine Gourmettempel bekannt. Nein, hier hat man mehr für Bier als für Wein übrig und mehr für eine fette Ente als für eine fein ziselierte Hochküche. Und außerdem ist Essen und Trinken in Prag nach wie vor eher eine Frage der Quantität als der Qualität. Ein Mann kämpft sein nunmehr zwanzig Jahren gegen den Trend: Tomáš Karpíšek, schlank und drahtig und somit das Gegenteil des herkömmlichen, nicht nur böhmischen Klischee-Kochs. Der junge Tomáš sammelte seine ersten Erfahrungen als Chefkoch im Hotel Forster im Stubaital. Mit 23 Jahren ging er aus Österreich in seine Heimat zurück, um – wie er mit einem Lachen sagt – der „berühmteste Koch Prags zu werden“. ­Erfolgreich wurde er aber als Geschäftsmann, sein ­Imperium umfasst heute vierzehn Restaurants, Gasthäuser und Cafés. Selbst kocht er nicht mehr, er lässt andere kochen. Und zwar auf hohem Niveau.

Mit einem ganz besonderen Restaurant hat er sich seinen Gourmet-Traum verwirklicht: La Degustation Bohême Bourgeoise ist der komplizierte Name, der ausdrücken soll, dass man sich hier voll auf eine verfeinerte böhmische Küche spezialisiert hat und alles in Miniportionen serviert. Das kleine Lokal mit vierzig Sitzplätzen wurde gerade renoviert – heller, freundlicher, gemütlicher ist es geworden. Fine Dining hat heutzutage auch etwas mit Wohlfühlen und weniger mit steifen Kellnern und noch steiferen Servietten zu tun.

Das La Degustation hat einen Stern bei Michelin, eines von zwei ausgezeichneten Lokalen in der ganzen tschechischen Republik. Darauf sind sie stolz hier – und das zu Recht. Das große Menü hat elf Gänge, aber keine Angst, die Portionen sind von der Größe her eben eine „Degustation“. Praktisch alles stammt aus der Gegend, von regionalen Fleischhauern und Bauern. Nur der Trüffel kommt aus Italien. Eine Kostprobe: Ziegenkäse mit Roten Rüben und Kren, Wels mit Kohlrabi und Dille, ein Stück Zander mit Kohl und Spinat, Schweineohren mit Pilzen, Rindszunge mit Birne und Senf und zum Schluss Powidl mit Topfen.

Und um die tschechische „National“-Verkostung vollkommen zu machen, gibt’s dazu nur tschechische Weine, die meisten aus Mähren, ganz nahe an der ­österreichischen Grenze, sozusagen aus Weinviertel Nord. Ganz billig ist der Spaß allerdings nicht – für tschechische Verhältnisse sogar verdammt teuer. 125 Euro fürs große Menü und 78 Euro fürs Wein-Pairing kann sich der ausländische Geschäftsmann leichter leisten als das tschechische Publikum. Übrigens, nicht nur speziell für die Fastenzeit, sondern ganzjährig für alle diejenigen, die generell dem Alkohol abhold sind, serviert man im La Degustation auch ein Juice-Pairing, mit knapp 30 Euro deutlich wohlfeiler. Die elf verschiedenen Juices sind manchmal etwas gewöhnungsbedürftig, aber immer ­interessant. Da werden nicht nur Trauben und Johannisbeeren entsaftet, sondern auch Kohl­rabi, Sellerie, Kohl, Kastanien, Kartoffeln und Walnüsse. Alles im Keller selbst gepresst.

Nur 300 Meter weiter befindet sich das zweite Lokal, das den gastronomischen Ruf der Prager retten will. „Sie ernähren sich ausschließlich von Enten und Spanferkeln“, hatte der boshafte Gastrokritiker Wolfram Siebeck vor einiger Zeit angemerkt.

Im fröhlich-lauten Field dagegen hat sich Chef Radek Kašpárek eine puristische böhmische Küche ausgedacht, sozusagen „back to the roots“ – und das ist durchaus wörtlich gemeint. Alles, was auf tschechischen Feldern wächst, wird originell zu Fisch und Fleisch kombiniert. Kürbis und Äpfel zu den Schnecken, Sonnenblumenkerne und Knoblauch zum Bries, Kohlrabi zum Zander und Karfiol zum Lamm.

Wenn Chef Kašpárek auf Schäumchen und anderen dekorativen Firlefanz verzichten würde, wäre er eine echte Konkurrenz zum La Degustation. Aber Kašpárek ist im Hauptberuf Fernsehkoch, bekannt geworden durch opulente Kochsendungen; da zählt, wie wir wissen, die Dekoration oft mehr als der Geschmack. Leider hält ihn sein Fernseh-Engagement auch öfters von der Arbeit im eigenen Lokal ab – aber der Gast kann beruhigt sein, er hat einen sehr talentierten Souschef engagiert.

Auch im Field versucht man, den tschechischen Wein zu promoten. Fünfzehn verschiedene stehen auf der Karte, die besten sind ein Veltliner vom Gut Lahofer und ein origineller Blanc de ­Pinot Noir, beide aus der Gegend von Znaim, da schmeckt man das Weinviertel. Beim tschechischen Rotwein bittet selbst der freundliche Sommelier um Nachsicht: „Da nehmen wir vielleicht etwas Italienisches, da sind wir noch nicht so weit …“

Bevor wir uns der eher prototypischen tschechischen Landesküche mit Bier und Ente nähern: Natürlich kann man in Prag auch passabel „ausländisch“ essen. Das beste American Steak gibt’s bei George Prime Steak in der Altstadt. Dazu kalifornische Weine und fürs Geschäftsessen ein Extrazimmer mit „Captain’s Table“ und exklusiver Betreuung durch den Küchenchef höchstpersönlich. In Zdenek’s Oyster Bar findet man das beste Seafood der Stadt. Und wer auf die Cucina Italiana nicht verzichten möchte, geht ins La Finestra, wo man Enten-Tortellini, Risotto mit Jakobsmuscheln und einen perfekten ­Seeteufel aufgetischt bekommt. Oder ins romantische Divinis, dort werden bei Kerzenlicht Ossobuco und Kalbsbäckchen serviert.

Asiatisches kann man in der Riesenhalle des SaSaZu Clubs genießen (na ja, „genießen“ ist bei diesem Lärmpegel vielleicht zu hoch gegriffen). Hier pflegt man eine adaptierte Hakkasan-Küche mit Sushi und Sashimi, mit Röllchen und Spießchen, ganz ordentlich, nicht mehr. Oder man geht ins Spices im Hotel Mandarin Oriental, wo es das alles zumindest eine Klasse besser (und ruhiger) gibt.

Aber ganz ehrlich, worauf freut man sich trotz aller Gourmet-Allüren kulinarisch am meisten, wenn man nach Prag fährt? Zugegeben, auf ein ordentliches Bierlokal. Es muss ja nicht immer Fine Dining sein, und der tschechische Wein ist ohnehin erst am Anfang seiner Entwicklung. Aber eine Warnung ist angebracht: Die meisten der bekannten Lokale haben sich in den letzten Jahren immer mehr zu Touristenfallen entwickelt. Vor dem berühmten Gasthaus Švejk, benannt nach dem braven Soldaten Schwejk, oder vor der gar nicht uncharmanten Bierhalle des U Fleků laden die Busse Heerscharen von Touristen ab, die dann mit Begeisterung überteuertes Pilsener bestellen.

Wir sollten also wählerisch sein. Und das muss man bei geschätzten 150 Bierkneipen in Prag auch. Da hilft nur Rat von Einheimischen. Die Prager Freunde Alan und Martin einigen sich schließlich nach längerer Diskussion auf dreimal alt und einmal neu. Vier Gasthäuser, die es lohnt, bei einem Prag-Besuch zu besuchen.
Nummer 1: die Bierstube U zlatého tygra, also „Zum Goldenen Tiger“, im Herzen der Prager Altstadt existiert seit genau 200 Jahren. Sie war schon immer ein Treffpunkt der Dichter und ­Denker, in der kommunistischen Zeit ein demokratisches Widerstandsnest. Der eine oder andere Freund des Prager Frühlings wurde direkt vom Biertisch zum Hauptquartier der Geheimpolizei eskortiert, erzählt man sich heute noch. Václav Havel hat seinen amerikanischen Präsidentenfreund Clinton dort verköstigt, und auch die heutigen Politchefs führen ihre Gäste am liebsten zum „Goldenen Tiger“. Gemütlich und originell: ein herrlich süffiges Pilsener um 1,50 Euro für den halben Liter, ein Prager Schinken um 3 Euro und ein Schweinskotelett um 5 Euro. Herz (und Brieftasche), was willst du mehr?

Mehr Biersorten vielleicht? Dann ist man im Zlý časy richtig. Mehr als vierzig Biersorten gibt’s vom Zapfhahn, auf drei Etagen – und trotzdem spürt man die ­typisch tschechische Gasthausatmosphäre. Allerdings, wegen des Essens sollte man nicht hingehen, da passt der Name Zlý časy – „Böse Zeiten“: Bierkäse aus Olmütz und kleine Steak Tartar sind der Höhepunkt der Küche und dienen weniger dem Geschmack als der Fülle des Magens, um doch noch ein weiteres Bier zu kippen.

Weniger Bier, aber besseres Essen bietet das Pivovarský dům, eine Mikro-Brauerei, in der täglich acht bis zehn verschiedene Biersorten zubereitet werden. Natürlich gibt es das bekannte ­Lagerbier, dunkel oder hell, aber auch einige exotische Spezialbiere: Weichsel-Bier, dunkles Kaffee-Bier, Bananen-Bier (Weizen mit Bananenaroma) oder gar das dunkelblaue Heidelbeer-Bier. Muss man nicht haben, aber eine originelle Bierverkostung ergibt das allemal. Die Gebratene Ente oder die Schweinsstelze (alles unter 10 Euro) liefern dazu die notwendige Grundlage, um tatsächlich alles verkosten zu können.

Nummer 4 der Bierkneipen ist ein Geheimtipp in der Altstadt. Das Katr gibt sich modern und rustikal zugleich, mit hellen, sauberen Tischen und freundlicher Bedienung, was in derartigen Gasthäusern – das muss man offen sagen – nicht überall der Fall ist. Und ebenso untypisch: Hier wird nicht nur hervorragendes Pilsener Bier vom Fass gezapft, die 1-a-Weinkarte verhilft auch Nicht-Biertrinkern zum Genuss. Wer will, kann sein eigenes Steak auf dem Tischgrill braten, oder er delektiert sich an gut zubereiteten Spezialitäten: von der Schweinssülze über Räucherwürste oder Gänseleber bis zum Wildschweingulasch. Nicht gerade diättauglich, das stimmt. Aber wer tags zuvor die Miniportionen im La Degustation oder im Field konsumiert hat, darf auch mal über die Stränge schlagen. Denn, wie fasst es Restaurateur Tomáš Karpíšek zusammen: „Es wird uns nicht gelingen, aus den Tschechen ein Volk von Vegetariern zu machen.“ Aber vielleicht eines, das sich schön langsam von seinen Wurzeln löst und Qualität der Quantität vorzieht. Beim Trinken. Und beim Essen.

PS: Für nichts ist die böhmische Küche mehr bekannt als für ihre süßen Nachspeisen: Mohnnudeln, Zwetschkenknödel, ­Palatschinken. Um die „palačinky“ und die süßen „knedlíky“ ist es allerdings heutzutage in Prag schlecht bestellt. Jedes ­bessere Gasthaus in Wien hat da mehr zu bieten. Daher ein weiterer Appell an die Prager Freunde: Besinnt euch auf eure Tradition und legt bei den Nachspeisen ordentlich zu. Schließlich habt ihr sie doch erfunden …

Bohême Bourgeois
Haštalská 18
110 00 Prag 1
Tel.: +420 222 31 12 34
www.ladegustation.cz

Field
U milosrdných 12
110 00 Prag 1
Tel.: +420 222 31 69 99
www.fieldrestaurant.cz
George Prime Steak

Platnéřská 19
110 00 Praha 1
Tel: +420 226 20 25 99
www.georgeprimesteak.com

Zdeněk’s Oyster Bar
Malá Štupartská 636/5
110 00 Praha 1
Tel: +420 725 94 62 50
www.oysterbar.cz

La Finestra
Platnéřská 13
110 00 Praha 1
Tel: +420 222 32 53 25
www.lafinestra.cz

Divinis
Týnská 21, 110 00 Prag
Tel.: +420 222 32 54 40
www.divinis.cz

SaSaZu Club
Bubenské nábř. 306
170 04 Prag
Tel.: +420 284 09 74 55
www.sasazu.com

Spices Restaurant & Bar
459, Nebovidská 459/1
118 00 Prag 1
Tel.: +420 233 08 87 77
www.mandarinoriental.de

Restaurants
U zlatého tygra
Husova 228/17
110 00 Prag 1
Tel.: +420 222 22 11 11
www.uzlatehotygra.cz

Zlý časy
Čestmírova 390/5
140 00 Prag
Tel.: +420 723 33 99 95
www.zlycasy.eu

Pivovarský dům
Ječná/Lípová 15
120 44 Prag 2
Tel.: +420 296 21 66 66
www.pivovarskydum.com

Katr
Vězeňská 859/9
110 00 Prag
Tel.: +420 222 31 51 48
www.katrrestaurant.cz

Die besten Hotels

Mandarin Oriental

Nebovidská 459/1
118 00 Prag 1
Tel.: +420 233 08 88 88
www.mandarinoriental.de

Four Seasons
Veleslavínova 1098/2a
110 00 Prag 1
Tel.: +420 221 42 70 00
www.fourseasons.com

Augustin
Letenská 12/33
110 00 Prag
Tel.: +420 266 11 22 33
www.augustinehotel.com

Boutique-Hotels

Josef

Rybná 693/20
110 00 Prag
Tel.: +420 221 70 01 11
www.hoteljosef.com

Hoffmeister

Pod Bruskou 144/7
118 00 Prag
Tel.: +420 251 01 71 11
www.hoffmeister.cz

U Zlaté / Golden Well

U Zlaté studně 166/4
118 01 Prag 1
Tel.: +420 257 01 12 13
www.goldenwell.cz