Sardinien, aber echt.

Kulinarische Spurensuche in Sardinien. Unsereins freut sich über alles von Schaf und Ziege, aber auch über Pizza mit Seeigelinnereien, Spaghetti con la bottarga oder einfach genialen Karfiol im Ganzen.

Text von Eva Rossmann Foto: Mauritius

Natürlich suchen wir immer die originale Küche, und wir schmunzeln über die Touristen (das sind immer die anderen), die selbst an den ­verführerischsten Plätzen nach Schnitzel fragen. Schon beim Vorbeifahren wird überlegt, welches Lokal „gut aussieht“, nicht elegant oder gar groß, sondern so, als ob dort auch die Einheimischen gerne essen würden.

Kein Wunder, dass wir uns sofort in Sardinien verliebt haben. Am Beginn stand dieses wunder­bare Literaturfestival im Bergdorf Gavoi, bei dem sich alles nicht nur um Bücher der verschiedensten Gattungen, sondern auch um die passende kulinarische Begleitmusik dreht. Da es nur zwei – übrigens ausgezeichnete – Trattorien gibt, stellen die Bewohner einfach Tische und Bänke vor ihre Steinhäuser und servieren, was sie haben. Hauchdünnes knuspriges Pane carasau, Purpuzza, dieses klein geschnittene Schweine- oder Lammfleisch, das in milden Essig eingelegt und später in einer schweren Pfanne in Olivenöl gebraten wird. Eine Spezialität der Barbagia, die man in den Küsten‑gegenden gar nicht kennt. Würste und natürlich die aromatischen Schaf- und Ziegenkäse der Insel.

Als wir letztes Jahr durchs Landesinnere gefahren sind, hingen Leintücher aus den Fenstern. Wir vermuteten einen alten Brauch, vielleicht so etwas wie „Knut“ in Schweden, auch wenn das mit den fliegenden Christbäumen zur Umsatzpolitur eines Möbelhauses erfunden wurde. Doch die Tücher waren Teil einer Protestaktion der Hirten. Denn der überwiegende Teil der Schafmilch geht „nach Italien“ (Sarden verstehen sich nicht als Italiener), dort wird daraus Pecorino Romano gemacht. Nur, dass die Hirten von den unzumutbar niedrigen Milchpreisen kaum leben können.

Unsereins freut sich über die Schafe und Ziegen. Es gibt sie, außer in den Retorten-Resorts im Norden, mehr oder weniger überall. Manchmal auch auf der Straße oder dekorativ auf mit Gras bewachsenen Kreisverkehrsinseln. Es fühlt sich einfach ­anders an, wenn man die Schafe quasi persönlich kennt und Käse bei den Hirten kauft. Wobei. Die sind keine Mitarbeiter der Fremdenverkehrsbüros. Bei ihnen riecht es entsprechend, man stapft über unbefestigte Wege Baracken entlang, bis einen zwei der großen weißen Hirtenhunde entdecken. Sie haben auch noch wenig von Gästebetreuung gehört, beißen zwar nicht, aber sehen aus, als würden sie es können. Dafür der Käse: Gereiften oder weniger gereiften gibt’s, dazu noch eine Sorte nur aus Ziegenmilch. Und Ricotta ­salata. Alles im ganzen Laib, also viel zu viel, aber kann man zu viel guten Käse haben? Der Hirte trägt Jeans, die hinreichend Tierkontakt hatten, und ein T-Shirt, auf dem ABBA steht. Seit wir die prähistorischen Wasserheiligtümer der Insel kennen, ist nicht mehr klar, ob das mit der bekannten Musikgruppe zu tun hat. Denn auf sardisch heißt „abba“ Wasser.

Wir haben so einiges gelernt in Sardinien. Da ist die Sache mit den Agriturismi. Früher ließ einen die Gastfreundschaft der Bauern auf Reisen durchs Land überleben. Man aß, was auf den Tisch kam. Wo könnte man der wahren sardischen Küche näher sein? Jetzt eben zu einem fixen Preis und vorab buchbar. Wie bei ­jeder Liebe ist man zu Beginn geneigt, manches zu verklären. Wie haben uns Wurst und eingelegtes Gemüse begeistert, auch die zwei Sorten Pasta mit demselben Sugo hatten wohl Tradition. Außerdem ist jedes Schwein anders, also kann auch nicht jedes Maialetto knusprig sein. Überhaupt, das Maialetto: Es bildet den Höhepunkt im „menu“ jedes Agriturismo. Immer. Sardisches Schweinchen, über Holzkohle gegrillt. Das kann köstlich sein, vor allem, wenn es wirklich frisch zubereitet wird. Freilich: Die Bauern essen es nicht täglich. Und auch die anderen Gerichte sind eher das, was sich Touristen als typisch ­erwarten, als tatsächlich Alltägliches. Gastronomie mit Retrocharme, meist nicht übel und manchmal trotzdem anders. Wie im Sarrabus, im Hinterland von Muravera. Festessen am 1. Mai, Donatella und Alberto haben uns mitgenommen. Vier oder fünf Stunden an langen Tischen, die Frauen des Hauses kochen, Innereien-Ragout, Pasticcio mit Käse und Wildem Spargel, alle möglichen gefüllten Teig­taschen, ja, auch Maialetto, noch aromatischer war die gegrillte Ziege. Es lohnt sich eben zu suchen – und die richtigen Freunde zu haben.

Wobei man die echte sardische Küche natürlich am besten im privaten Rahmen erleben kann. Kann schon sein, dass uns Maria, die Kunsthistorikerin, und Ettore, preisgekrönter „poeta“, auch ein wenig testen wollten. Ein halber gekochter Lammschädel. Man bricht ihn mit den Händen auf, um zum feinen Fleisch an den Wangen zu kommen. Nun gut, Ernest hält die Verwendung von Besteck für einen zivilisatorischen Fortschritt. Und dann das Auge. Das ist irgendwie … etwas anderes als Hirn. Trotzdem. Wir haben es sogar auseinandergeschnitten. Was unsere Freunde nicht getan hätten. Aber geteiltes Aug ist bloß ein halbes Aug. Es hat übrigens vor allem nach dem köstlichen „brodo“ geschmeckt. Apropos Test: Da gibt es etwas, das dank YouTube-Videos hinreichend bekannt ist: Casu marzu – sardischer Pecorino mit den Larven der Käsefliege. Die kleinen Maden geben ihm ein ganz besonderes Aroma. Vergesst die Internetgerüchte. Er „stinkt“ nicht mehr (und nicht viel anders) als andere gereifte Käse. Auch dass ­einem die Maden entgegenspringen, haben wir noch nicht erlebt. Unsere Casu marzu wurden von den Maden offenbar schon wieder verlassen. Ein wenig davon auf einem Stück Pane carasau ist mehr als eine Mutprobe. Es schmeckt. Und viel ­davon isst niemand in Sardinien.

Das ist eine der Weisheiten des Landes: un po’ di tutto. In den sardischen Bergen werden die Menschen ganz besonders alt. Fragt man Hundert­jährige nach ihrem Geheimnis, antworten sie gerne genau damit: ein bisschen von allem. Wenig Fleisch, etwas Wurst, Käse, Bohneneintöpfe, Pane carasau in warmer Molke, die beim Käsemachen entsteht, aufgeweicht, die berühmten Kartoffeln um Gavoi, frisches Gemüse und ein Gläschen Cannonau, der würzige, feurige Rotwein.

An der Küste sind das Leben und auch die Küche anders. Wobei uns ein begnadeter alter Koch erzählt hat, dass es Speiselokale am Meer noch nicht lange gibt. Sein Großvater hatte eine Hafenkneipe in Cagliari. Als er auf die Idee kam, auch Essen ­anzubieten, hielten ihn die Leute für verrückt. Die Fischer hatten kein Geld für so etwas, und die Stadtleute wollten nicht so nah am Wasser essen. Sein Vater war so übermütig, sogar Fische und Meerestiere zu servieren – er wäre fast pleitegegangen. Er konnte erst nach dem Krieg mit ­einem traditionellen Lokal im Hafen gutes Geld machen.

Jetzt sind sich die Speisekarten der Küstengegenden ziemlich ähnlich: wunderbare Dinge für ­unsereins, Zuppa di cozze oder Spaghetti con la bottarga, und die Fische sind so gut wie immer auf den Punkt gebraten. Aber inzwischen freuen wir uns doch über alle, die ­etwas mehr oder eben anderes bieten. So wie das Mammai an der Küstenstraße zwischen Cagliari und Villasimius. Dort mischt man in nahezu stylischer Atmosphäre Traditionelles mit Einflüssen von bald wo. Dazu kommen die Felsenaustern und roten Gamberi der Insel sowie Weine aus der unmittel­baren Umgebung. Richtig essen kann man dort übrigens nur in der Wintersaison. Wenn die Feriengäste mehr werden, übersiedelt man ums Eck ins größere ­Tegamino Bianco, dort gibt’s dann auch hervorragende Pizza. Die braucht man nicht bloß für Touristen, sondern auch für die vielen Sarden, die im Sommer in ihre Zweithäuser am Meer ziehen. Gut muss sie eben sein. Das Le Camelie ist da allerdings eine harte Konkurrenz, auch wenn es lange nicht einmal ein Schild vor der Türe hatte. Pizza, hauchdünn, knusprig, in der Saison sogar mit „ricci“, dem frischen Inneren von Seeigeln.

Die Sarden sind verrückt nach ihren „ricci“. Im Winter kann man sie an kleinen Ständen direkt am acht Kilometer langen Stadtstrand von Cagliari, dem Poetto, genießen. Einzigartiger Geschmack nach Meer. Was die Hauptstadt selbst angeht, so gibt es dort auch eine Fressgasse samt keilenden Kellnern, die Via Sardegna. Nicht mit uns! Dann haben uns Elena und Andrea ins Lillicu eingeladen. Sie haben Menu turistico bestellt. Wir waren fassungslos. Bis wir aßen. An langen Marmortischen, mit fröhlich wachsendem Geräuschpegel, was für ein Fritto misto! Und dann die Erklärung: Natürlich nimmt man das fixe Menü, es ist gut, preiswert, immer frisch. Und schon wieder ein Vorurteil weniger.

Wer es ruhiger mag, kann ja einige Kilometer aufs Land fahren. Dort gibt es Erstaunliches zu entdecken. Zum Beispiel den Starkoch-gehypten, im Ganzen gegarten Karfiol. Wir kennen ihn als traditionelles sardisches Gericht. Er wird übrigens nicht zuerst gekocht, sondern einfach mit Meersalz, einem Spritzer Wein und gutem Olivenöl in einem geschlossenen Tontopf bei großer Hitze, auch im offenen Feuer, gebacken. Oder Cordula, nicht verwandt mit der ­namens Grün. Es handelt sich um Lamm­innereien, auf einen Spieß gesteckt, mit Lammdärmen umwickelt und gegrillt. Das gibt’s immer wieder im Sa Tuedda. Dort wird die Spei­sekarte jeden Tag auf eine Tafel ­geschrieben. Sie lehnt nahe dem Eingang, darüber ein Hinweis auf Sardisch: Mach ein Foto und setz dich nieder! Nur weil die Signora traditionell kocht, weiß man doch um die Vorteile des Handyzeitalters. Ihr Mann serviert und erklärt mit Hin­gabe auch die sardischen Ausdrücke für Kalbsbries, zartes Pferdesteak oder, weniger exotisch, frittierte Sardinen. Hierher kommen Arbeiter, die nach Cagliari pendeln, Familien aus dem Dorf, wissende Feinschmecker. Denn ohne das Sa Tuedda zu kennen, kommt man schwer auf die Idee, hier Halt zu machen, außer … man ist eben auf Spurensuche und hat dazu noch ein bisschen Glück. Beim Gehen wünscht uns der Wirt „a si birri“, heißt auf Wiedersehen.

Sa Tuedda
Via San Salvatore, 14,
09040 Settimo San Pietro

Trattoria Lillicu
Via Sardegna, 78, 09124 Cagliari

Mammai
Via Tirso, 2, 09045 Quartu Sant’Elena

Le Camelie
Via Leonardo Da Vinci, 205,
09045 Quartu Sant’Elena

Sarrabus
Località S’Ollasteddu, 09043 Muravera

Osteria Borello
Viale Repubblica, 104, 08020 Gavoi

Sardinien, aber echt.