Soul Food

Elektrisch reisen nach Italien. Vom Weinviertel über Civitavecchia nach Cagliari. Die Routenführung machen lohnende Gasthäuser und Schnellladestationen.

Text von Eva Rossmann/Foto: Mauritius

Es gibt sie noch, die Abenteuer. Und nicht immer sind jene am lohnendsten, die man sucht. Das reicht natürlich weit über kulinarische Erlebnisse hinaus. Aber beides zu verbinden, nämlich das Reisen und das Essen, hat Tradition. Es gibt ja sogar einen Reifenhersteller, der auf die Idee kam, sich an Restauranttipps zu versuchen. Im Jahr 1900 existierten in Frankreich rund dreitausend Automobilisten, dafür kaum Straßenkarten und noch weniger Menschen, die sich mit den neuen Gefährten auskannten. Also stellten André und Édouard Michelin Tipps zum Umgang mit dem Auto, Werkstätten, Batterieladestationen und Benzindepots zusammen – die klassische Tankstelle war noch nicht erfunden. Ab 1923 wurden Autofahrer zusätzlich mit Hotel- und Restaurantempfehlungen versorgt. Der Rest ist Geschichte. Und Parabel dafür, dass auch heute Abenteuer im Zusammenhang mit neuer Automobilität und Essen locken.

Freilich darf man sich nicht von gewissen Motorjournalisten (die männliche Form ist nicht zufällig gewählt) abschrecken lassen. Sie steigen mal kurz in ein E-Auto und schreiben dann erstaunt über die super Beschleunigung und die ach so kurze Reichweite. Nach acht Jahren persönlicher Elektromobilität kann man dem einiges hinzufügen, vor allem aber, dass viel mehr möglich ist, als die meisten Benzinbrüder ahnen.

Wir machen uns also auf vom Weinviertel nach Civitavecchia, der alten Hafenstadt bei Rom. Von dort aus soll es mit der Fähre nach Cagliari gehen. Unser KIA E-Soul hat eine 64 Kilowattstunden-Batterie. Es ist September, die Temperatur liegt bei dreiundzwanzig Grad, also auch noch ideale Bedingungen. Nach 230 Kilometern lassen wir Graz hinter uns. Dort gäbe es das wunderbare Hotel Augarten mit den nettesten aller Rezeptionistinnen, superfeinem Frühstück und gleich drei Ladestationen in der Tiefgarage, beim nächsten Mal werden wir wieder anhalten. Die Südautobahn hat inzwischen mehr Schnellladestationen als es Wörter mit drei L gibt. Aber unser Soul packt bei diesem Wetter auch über die Autobahn locker 400 Kilometer. Ganz leer wollen wir allerdings nicht werden (ja, wir sind vorsichtige Abenteurer), also steuern wir die Griffen-Rast an. Nur dass es nach Graz auf die Pack und damit ziemlich bergauf geht. Wir sehen, wie der Verbrauch von sechzehn Kilowattstunden auf siebzehn und dann auf neunzehn steigt. Restreichweite: siebenundvierzig Kilometer. Und wir rechnen: Sollte sich ausgehen, auch wenn der Energiebedarf weiter steigt. Automatisch fährt man etwas langsamer, sucht den optimalen Kurvenradius – oder lässt ihn suchen, weil diese Assistenzsysteme können das. Dann der Packsattel, und ab da geht’s bergab und mit der Reichweite wieder hinauf. Dreiundsiebzig Kilometer angezeigte Reichweite, als wir die Ausfahrt nehmen. Wunderauto.

Die Schnellladestation ist frei. Ladestationen sind so gut wie immer frei, aber trotzdem gibt’s da so ein gewisses Aufatmen. Die Sache mit den Ladekarten ist kein Problem mehr, die meisten Anbieter haben sich zusammengeschlossen, auch über die Grenzen hinweg. Und wer die Karte vergessen hat, nimmt einfach die App. In etwas weniger als einer Stunde sind wir auf 80 Prozent Leistung, sagt uns das Display. Wir machen ­zufrieden Pause. – In einer Autobahnraststätte? Die Mochoritschs sind anders. (Und das nicht nur, weil sie ­eigentlich anders heißen, nämlich Jernej.) Sogar Josef Viehhauser sollte hier aufkochen, das ist leider Corona zum Opfer gefallen, aber Reinhard Gerer und andere Top-Leute waren schon zu Gast bei den hiesigen „Kochlegenden“-Events. Noch einmal: In einer Autobahnraststätte? Nein. In einer Restaurant-Rast neben der Autobahn wird der Beweis geliefert, was alles geht – wenn man es will und gerne macht. Gemüse aus eigenem Betrieb, Biofleisch von Bauern, Fische aus Istrien, man lebt die Alpe-Adria-Region. Sollen wir Cevapcici (die schmecken wie früher bei den besten Balkan­-Köchinnen) oder doch bloß ein Schinkenbrot nehmen? Wobei: „Bloß“ ein Schinkenbrot ist hier ganz falsch. Nicht nur wegen der Portionsgröße. Wer „richtig“ essen will, bekommt übrigens vorher eine Suppe und nachher ein Dessert – einfach so. Kein Wunder, dass hier auch die Einheimischen einfallen. Und die sind, das weiß jeder, der in der Gastronomie ein bisschen etwas anderes macht, am schwersten zu überzeugen. Wir sind gestärkt, nehmen im Markt ein paar Flaschen Mocho-Wein mit, versprechen den hausgemachten Würsten, sie am Retourweg nicht zu vergessen, und stellen entzückt fest, dass unser Auto zu fünfundachtzig Prozent geladen ist. Die zweihundertelf Kilometer nach Risano sind ein Klacks. Beschwingt vorbei an Villach, da ist die Schnellladestation in einem dieser Einkaufskonglomerate und gleich beim McDonalds, aber selbst der Teufel frisst nur zur Not Fliegen.

Dass es dann wieder bergauf, durch zahlreiche Tunnel und an zu jeder Jahreszeit anders spektakulären Bergen vorbei durchs Kanaltal bergab geht – auch das erlebt man im Elektroauto irgendwie unmittelbarer. Wir freuen uns, dass die Klimaanlage so wenig Strom verbraucht, unser Auto beim Stop-and-go-Ver­kehr selbst fährt und nicht stinkt und biegen vor Udine in die friulanische Landschaft. Irgendwann werden wir länger bleiben, diesmal nur für eine Nacht, was bei der Casa Orter doppelt schade ist. Doch macht nicht auch dieses leise Bedauern, einen besonderen Ort wieder verlassen zu müssen, den Reiz am Reisen aus? Großzügiges Landhaus aus dem neunzehnten Jahrhundert, liebevoll gestaltete Zimmer, Parkanlage. Ladestation gibt es hier zwar keine offizielle, aber natürlich dürfen wir anhängen, sagt Roberto. Er kann übrigens auch kochen. Und wie. Jedes Mal rätseln wir, warum er noch immer ein Geheimtipp ist, aber für uns ist es eh besser. Wir nehmen das Überraschungsmenü und sind fasziniert von den fein komponierten Geschmackszusammenstellungen und Konsistenzen, dem unangestrengt kreativen Umgang mit allem, was im Meer und am Land der Umgebung daheim ist. Dass Roberto hin und wieder bei einem Verwandten mitarbeitet, erklärt seine Finesse nur zum Teil, auch wenn dessen Küche zu den zehn besten Spaniens zählt. Seine Frau Annalisa und er waren übrigens als Profimusiker auf der ganzen Welt unterwegs, aber das ist eine der Geschichten, die man selbst herausfinden sollte, wir nämlich wollen weiter.

Am nächsten Tag Zwischenstation in Barberino di Mugello. Weil es dort gleich zwei Schnell­ladestationen von ENEL gibt. Dieses Barberino ist oberhalb von Florenz. Und Mugello kommt einigen vielleicht bekannt vor, weil auf der Rennstrecke heuer sogar ein Formel-1-Rennen über die Bühne ging. Als wir hier zum ersten Mal geladen haben, gab es ein wenig Stress. Wir haben bei der Superschnellladestation angehängt, sie soll bis zu einhundert Kilowatt die Stunde bringen. Aber irgendwie war ihr das wohl zu viel, und der Ladevorgang ist immer wieder abgebrochen. Am anderen Ladepunkt hat ein Tesla gesaugt. Da beginnt man zu rechnen. Ist es besser, es weiter zu probieren oder zu warten, bis der Tesla wegfährt? Sollen wir lieber eine der drei passenden Stationen in Florenz suchen? Müssen wir für Florenz einen der nicht ganz unüblichen Staus einplanen? Irgendwann hat es dann doch geklappt mit dem Laden. Und alles ist sich ausgegangen. Heute nehmen wir gleich die 50-KW-Station. 277 Kilometer sind es bis zum Hafen von Civitavecchia, in einer Stunde haben wir üppig Energiereserve und dazwischen Zeit, in der Osteria de Bengodi zu essen. Nein, die Umgebung ist nicht schön. Autobahnabfahrt, Parkplätze, eines dieser italienischen Plattenbau-Hotels und Lokale im Irgendwo. Aber der Duft. Wir sind im Kernland der Bistecca alla Fiorentina, Schwaden von köstlichstem holzkohlengerillten Rindfleisch ziehen über die zubetonierten Flächen. Im Bengodi kann man sich aussuchen, welches Fleisch der schwertätowierte Grillmeister auf den Rost wirft: Chianina, Black Angus, Limousine, Croata, alle Rückenstücke liegen im Ganzen in der Vitrine. Sie werden in einem Stahlkorb mit noch glühender Kohle darunter serviert, die kleinsten Teile haben mehr als einen Kilo, also gut, wenn man sich Zeit nimmt und genießt. Für solche, die wie wir auf der Durchreise sind, gibt’s freilich auch eine Tagliata mit Rucola und Grana um wohlfeile sechzehn Euro. Was kommt, ist perfekt medium-rare gebraten, zart und trotzdem mit vollem Rindfleischgeschmack, und, aber das ist Nebensache, mehr als eine ausgewachsene Portion. Nichtmissionarische Vegetarier (die anderen halten es hier, siehe Fleischduft, nicht aus) werden mit Pasta belohnt, einem aus dem jungen Team kann man dabei zuschauen, wie er hinter einer Glasscheibe (die gab es schon vor dem Virus) Tortellini produziert.

„Barberino“?, haben italienische Freunde wissend gelächelt. „Natürlich, und der Ortskern ist sogar sehr nett. Es gibt hier auch wunderbare Steinpilze.“ Nein, wir lieben diesen Stopp nicht bloß so, weil es hier mitten in der Toskana keine Auslands-Touristen gibt, wir sind ja selbst … Reisende, nehmen noch einige Säckchen der hausgemachten Cantuccini mit und freuen uns auf die letzte Etappe. Gleich nach Florenz geht’s runter von der Autobahn, Schnellstraße Richtung Siena, da fühlt sich unser ­E-Soul besonders wohl. Wir fahren an der neuen und trotz der Größe so geschmackvollen Cantina von Antinori vorbei – hier müssen wir unbedingt einmal Halt machen –, bestaunen von Weitem die berühmten Städtchen auf den Hügeln, lachen über Schweine, die über ein abgeerntetes Maisfeld toben, und stellen herzlos fest, dass die sicher auch sehr gut schmecken. Hier sind wir mit maximal neunzig Stundenkilometern unterwegs, wer zu schnell fährt, den bestraft die örtliche Polizei drakonisch. Kein Problem, wenn einige dicke Schlitten drängeln und an uns vorbei müssen. Buon divertimento!, wie man hier sagt.

Wer übrigens glaubt, unsere Reise wäre auf der Fähre, jedenfalls, was den kulinarischen Teil angeht, vorüber, der täuscht sich. Denn die Moby Dada hat nicht nur Selfservice und Bar, sondern auch ein echtes Restaurant. Es ist wie immer so gut wie leer. Dabei gibt’s richtig gute Weine, ein unbeschreibliches Kellner-Ballett – unsere plausibelste Theorie ist, dass es sich um ein Zeugenschutzprogramm für Mafia-Informanten handelt, die von einem Jacques-Tati-Fan ausgebildet wurden – und eine ambitionierte Speisekarte, deren Endergebnis allerdings ein bisschen davon abhängt, welcher Koch an Bord ist. Jedenfalls kann man sich bei einer Flasche Vermentino di Gallura auch darüber unterhalten, wohin Oreste Romagnolo verschwunden ist. Er stand bis vor Kurzem als beratender Küchenchef und Pappkamerad vor jedem der Bordrestaurants der Tirrenia-Flotte. Unsere Fragen an die Kellner lösen Gekicher aus. „In Pension?“, fragt der eine. „Ins Meer gefallen?“, vermutet der andere. Schicksal so manchen Kochs, der sich als Supervisor einer Kette oder gar von Systemgastronomie versucht hat. Keiner nimmt einen ernst. Wir allerdings nehmen, während unser Soul im Bauch des Schiffes döst, noch einen Mirto. Man muss sich schließlich vorbereiten auf Sardinien. Das Ankommen. Und die Genüsse dort.

Hotel Augarten
www.augartenhotel.at

Mochoritsch Griffen Rast
www.mochoritsch.at

Casa Orter
www.casaorter.it

Osteria de Bengodi
www.osteria-de-bengodi.eatbu.com

Moby Dada
www.mobylines.de

Eben erschienen

Eva Rossmann: Vom schönen Schein. Mörderische Geschichten.
Folio Verlag, August 2020.
18 Euro, ISBN 978-3-85256-816-4
www.folioverlag.com