Bauch geht fremd

Mit dem Bauch sind wir Kosmopoliten. Aber wie

Attila Dogudan

funktioniert das Miteinander der Nationen im Alltag? Gelebtes Cross-over in der Gastro-Szene.
Texte von Christian Grünwald, Claudia Schemerl-Streben & Angelika Deutsch
Fotos: Phillip Horak
Keine Scheu vor fremder Kost: Burger, Kebab, Pasta, Pizza, Wok und Sushi. Die internationale Fusionsküche ist in Österreich ein gelebter Alltagsfaktor, da kennen wir keine Berührungsängste mit anderen Nationalitäten. Unser Ernährungsalltag ist geprägt von Speisen, die ihren Ursprung anderswo haben.
Wenn es aber über den Tellerrand hinausgeht, funktioniert unsere Gesellschaft häufig nicht ganz so harmonisch. Neben vielen wunderbaren Beispielen der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Kulturen und Bevölkerungsgruppen, gibt es auch zahlreiche traurige Beispiele der Verweigerung, Verständnis und Akzeptanz lassen mitunter zu wünschen übrig.
Do & Co-Chef Attila Dogudan beschäftigt in seinem Konzern zu manchen Zeiten rund 2.000 Mitarbeiter aus etwa 15 Nationen. Für ihn ist klar, dass unterschiedliche Kulturen einen erheblichen Mehrwert erbringen. "Allein deshalb brauchen wir in unserer Gesellschaft Menschen von anderswo. Unser Essen hat Geschichte, ist garniert mit Anekdoten aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie. Insofern sollte das Thema Zuzug ja eigentlich keines sein."
Was bei der Diskussion über Einwanderung in unser Land durch die unsensible Law-and-Order-Mentalität oft vergessen wird, ist der ganz praktische Faktor im Alltagsleben. Egal, ob Gesundheitswesen, Gastronomie, Hotellerie oder Verkehr, keines der reichen Länder auf dieser Erde würde ohne Migranten auch nur einen Tag funktionieren. Politiker fordern gerne plakativ Integration, aber: Ist Integration nur eine Bringschuld der Migranten?
Attila Dogudan geht mit den Menschen verschiedener Kulturen in seinem weltweit operierenden Konzern mit viel Fingerspitzengefühl um. "Ich analysiere die Stärken und Schwächen der Menschen. Im Idealfall lässt man sie das tun, was sie daheim auch gut und gerne machen. Es wäre sinnlos zu versuchen, die Mitarbeiter zu nivellieren. Die Gleichmacherei würde bloß jedem seine Individualität rauben." Generalisierungen seien ohnehin nur selten zutreffend.
Die Österreicher agieren mehrheitlich nicht sehr mobil. "Wer immer nur dableibt, gerät leicht in eine Selbstgefälligkeit. Man steht im Ausland ganz anders auf dem Prüfstand, muss eigene Routinen überdenken, sich Kritik aussetzen und seinen eigenen Qualitätslevel neu definieren." Ähnliches ortet er bei Mitarbeitern aus anderen Ländern. "Na, klar sind sie zumeist konzentrierter und noch eifriger bei der Sache. Man hat keine Lobby, muss noch mehr auf alles achten." Das gilt natürlich auch in unternehmerischer Hinsicht: "Wenn wir als österreichischer Konzern im Plaza in der New Yorker 5th Avenue in einiger Zeit einen kleinen ,Demel‘ eröffnen, dann entwickelt man in dieser Umgebung noch mehr Präzision und zugleich Demut vor dem ganzen Projekt. – Ein Gefühl, das man dann auch wieder in der Heimat neu anwendet."
Dogudan schätzt es, dass viele Österreicher im Dienstleisterbereich absolute Topleute sind. "Wir brauchen in diesem Geschäft Persönlichkeiten, Menschen mit Ecken und Kanten, mit Profil. Diese Leute verstehen es, Beziehungen zu den Gästen aufzubauen, eben Gastgeber zu sein. Und wenn du dann mit so einer Truppe in den Krieg ziehst, ist es eine Hetz."
Attila Dogudan selbst erlebte Migration von beiden Seiten. "Ich kam mit 11 von Istanbul nach Wien. In der Schule war ich immer der Türk. Allein schon wegen der Sprache, die ich zwar durch die Erziehung meiner Mutter rudimentär beherrschte, aber in den Feinheiten natürlich nicht." Gerade darum ist für Dogudan die Forderung nach einem verpflichtenden Sprachkurs für Migranten etwas völlig Normales.
Als er dann vor einigen Jahren nach Istanbul ging, um das Airline-Catering für "Turkish Airlines" zu übernehmen, erlebte er damals das Ganze als über 40-jähriger Topmanager von der anderen Seite. "Meine Türkischkenntnisse waren auf dem Niveau eines 12-Jährigen und die Verhandlungen bis zum endgültigen Vertrag waren brutal hart, weil mir das Wirtschaftsvokabular mit all seinen Feinheiten fehlte." Mit dem Erfolgsnimbus im Rücken fiel natürlich vieles leichter. "Wenn man gute Leistung mit entsprechendem Detailfanatismus bietet, ist man bald akzeptiert. So sind sie dann in einem Land auf ,ihren Österreicher‘, im anderen Land auf ,ihren Türken‘ stolz", schmunzelt Dogudan.
Wenn sich Migranten beruflich selbstständig machen, so erfüllen sie in der Regel eine Art Scharnierfunktion zwischen Landsleuten und Österreichern. Und nicht selten passiert das über einen Gastronomiebetrieb. Besser kann Integration gar nicht stattfinden.
Dass besonders in der Gastronomie tatsächlich noch echte Tellerwäscherkarrieren möglich sind, davon ist Attila Dogudan felsenfest überzeugt: "Du kannst in dieser Branche mit eigener Kraft und mit null Geld enorm viel erreichen. Natürlich kann man das Karriereausmaß nicht bis ins Letzte beeinflussen, aber meine heutige Führungsebene im Konzern beweist, dass es möglich ist. Da haben viele als Studenten begonnen und sich über Garderobe und Service schrittweise raufgearbeitet." (cg)

Chris Steiner

Schon in seiner Jugend hat sich Chris Steiner für Tanz interessiert. Neben seinem Studium verbrachte er jede freie Minute in den Trainingsräumen der Pineapple-Studios in London und später am Broadway-Center in New York, um dort hobbymäßig, aber auf professionellem Niveau tanzen zu können. Als zukünftigen Job sah er seinen Hang zur Bewegung nicht. Wien sollte eine von vielen Stationen einer einjährigen Weltreise in Jahr 1987 werden. Sechs Wochen Aufenthalt waren geplant.

Inzwischen sind daraus 21 Jahre geworden. Neben dem Tanzstudio „move on“, das Chris Steiner seit zwei Jahrzehnten erfolgreich betreibt, hat er vor eineinhalb Jahren das Grindbeisel Amerling in Mariahilf übernommen und nach langwieriger Umbauphase als „Keke’s“ ein afrokaribisches Lokal eröffnet. In die Gastronomie einzusteigen hatte einen rein egoistischen Grund: „Ich werde nicht jünger (sein Alter wollte er nicht verraten, aus Angst, seine Schüler würden dann vielleicht keine Kurse mehr bei ihm belegen) und ich muss meinen Körper fit halten. Da ich die Bewegung habe, kann das also nur über die Ernährung gehen. Die afrikanische Küche ist genau das, was mir guttut. In Afrika und in der Karibik wird mit nichts anderem gekocht als mit purem Wasser. Aus! Es werden keine Saucen dazugegeben oder Zucker. Ich wollte wieder back to the roots, zum Arme-Leute-Essen. Zum Beispiel Bohnen, der Nährwert von Bohnen ist extrem hoch. Aber auch der von vergessenen Getreidesorten wie Quinoa und Amaranth. Dazu Huhn oder Garnelen und Gemüse wie Avocado – that’s it. Wir kochen vielleicht ein bisschen scharf. Aber es scheint gut anzukommen.“ Dass die Move-on-Schüler nach dem Kurs nicht nur wegen des ausgewogenen Essens in das Szenelokal eintrudeln, ist längst kein Geheimnis mehr: „Am Anfang hatten wir nur zwölf Cocktails. Jetzt sind es 150, und die Leute trinken sich durch die Karte rauf und runter. It’s amazing!“
Probleme bezüglich seiner Hautfarbe hatte Steiner so gut wie nie. Der Rhythmus aus Ghana, der Name aus Deutschland (irgendwo in seinem Stammbaum findet sich ein deutscher Missionar) und die Bildung aus Wales haben ihn zu einem Kosmopoliten gemacht, den man als solchen auch anerkennt. Ob er sich in Österreich zu Hause fühlt? „Ich habe meine Tochter, meine Freunde und mein Business hier. Nach zwanzig Jahren ist es schwer, Nein zu sagen. Natürlich fliege ich immer wieder gerne nach Wales. Und auch Ghana wieder zu entdecken, das ist
ein unbeschreibliches Gefühl. Ich kann auf drei verschiedenen Plätzen der Welt leben. Und das ist etwas Wunderbares.“ (css)

Keke’s
Amerlingstraße 15, 1060 Wien,
Tel.: 0699/10 02 91 00

Ayumi Kondo

Mit sieben Jahren hatte die kleine Ayumi Kondo schon eine aufregende Reise mit der transsibirischen Eisenbahn in Richtung Europa zurückgelegt, die fünf Jahre später in Österreich geendet hat. Ihr Vater Tsuneyasu Kondo eröffnete gerade das erste japanische Restaurant in Wien, eines von drei Restaurants, die die Familie Kondo auf drei europäische Städte verteilt betrieb. Die Locations waren top: Kuhdamm in Berlin, Piccadilly Circus in London und Weihburggasse in der Wiener City. Das „Tokyo“ mit meterlanger Sushitheke und acht gelernten Köchen aus Tokyo galt als authentisches japanisches Restaurant. „Mindestens 30 Fischsorten wurden angeboten, vom Yellow-Fin-Thunfisch bis zur Dorade.“ Zwei Jahre später kam der Ölschock und das Repräsentationslokal für Delegationen aus dem Fernen Osten und österreichische Politiker musste zusperren. Heute führt Kondos Vater den Fernostmarkt Nippon Ya in der Faulmanngasse. Vor zwanzig Jahren war die Skepsis der Österreicher groß: „Wir haben nur Glasnudeln, Bambus- und Sojasprossen aus der Dose verkauft. Roher Fisch ging gar nicht.“

So wie in Japan jährlich die Kirschblüte gefeiert wird, ist dort auch die Frische von Produkten eine Tugend: Während der Österreicher ein notorischer Restlverwerter ist, der alles am liebsten dreimal verkocht, ist die Frische in Japan oberstes Gebot. „Wenn wir Fisch kaufen, muss er iki iki (= lebendig) aussehen.“ Eine Denkweise, die sich hierzulande langsam durchsetzt: „Der Geschmack der Österreicher hat sich enorm geändert. Früher war Sushi ein absolutes No-No. Heute ist es genauso ,in‘ wie mit Stäbchen zu essen.“ Als sich Ayumi Kondo entschieden hat, den pulverisierten giftgrünen Spitzengrüntee Matcha in Wien einzuführen, war ihr etwas mulmig: „In Japan war’s ein Hype. Dort habe ich eine kleine Kette entdeckt, die statt Kaffee nur Matcha serviert hat. Ob’s in Wien gehen würde, war völlig offen. Aber ich wollte es wissen.“ Vor eineinhalb Jahren hat Ayumi Kondo den kleinen stylishen Teeladen „Cha No Ma“ aufgesperrt, in dem sie nicht nur grünen Tee verkauft, sondern ihn auch nach traditioneller japanischer Zeremonie zubereitet. Und die Resonanz der Wiener ist enorm: Von 100 Kunden sind nur zwei Japaner. Alle anderen sind Österreicher, die neben Matcha Latte, Grüntee mit geschäumter Biosojamilch, und Matcha Smoothie, die Sommervariante mit Crushed Ice, regelrecht süchtig auf den japanischen Snack Onigiri, Reisecken in Noriblättern, sind. (css)

Cha No Ma
Faulmanngasse 7, 1040 Wien,
Tel.: 01/587 94 06

Pawan Batra

Eine Affinität zur Gastronomie hatte der gebürtige Inder Pawan Batra schon in seiner Jugend. Nach der Matura wurden sofort die besten Hotelfachschulen der Welt ausfindig gemacht. „Für mich kamen Adressen in den USA, der Schweiz und Österreich in Frage.“ Gelandet ist Batra in Wien, wo er heute nach einer Blitzkarriere als Barkeeper in der „Skybar“ gemeinsam mit seiner Frau das indische Restaurant „Nirvana“ betreibt.

Ohne Deutschkenntnisse wollte der ehrgeizige Inder aber nicht ins Land einreisen. Im Goethe-Institut in Mumbai belegte er einen Intensivkurs. Neben Theorie wurden deutsche Filme und Zeitungen wie Frankfurter Allgemeine und Süddeutsche rezipiert. Mit 21 Jahren kam Batra nach Österreich, besuchte die Hotelfachschule in Bad Ischl und absolvierte etliche Praktika. „Eine harte Schule. Du musst von der Rezeption über Housekeeping bis Roomservice einfach alles machen.“ Der Durchbruch kam im Jahr 2001: Batra bekam ein Jobangebot in der „Skybar“. „Es war etwas komplett Neues, auf einem ganz anderen Niveau. Ich habe ganz klein im Service angefangen und erst später an der Bar. Ich habe nie auf die Uhr gesehen – ich trage bis heute keine –, weil Zeit nicht der wichtigste Faktor ist, sondern, ob sich der Gast wohl fühlt. Es ist viel schwieriger einen Gast zufriedenzustellen, als
ihn zu verlieren.“ Batra arbeitete sich bis zur Position als Barmanager hoch, dann gab es keine Aufstiegsmöglichkeiten mehr. „Aufstehen, Zähne putzen, arbeiten und schlafen gehen, das ist kein Leben für mich. Ich brauche ständig eine neue Herausforderung.“

Ein eigenes Restaurant war schon immer sein größter Traum. 2005 wurde er wahr: „Ich wollte authentische Küche in moderner Atmosphäre anbieten. Jeder verbindet Indien mit Kitschelefant und Schärfe. Aber so ist es nicht. Indien ist farbenfroh, indisches Essen nicht scharf, sondern würzig. Die Leute sollen wissen, wie indisches Curry wirklich schmeckt. Ich will meine Gäste in die indische Küche einführen. Ich kann ja auch keinen Cosmopolitan servieren, wenn der Gast keinen Screwdriver kennt, denn die Basis ist Wodka.“ In Österreich sind Pawan und seine Frau Vundra Batra immer fair behandelt worden. „Wir haben so viel von diesem Land bekommen. Es war immer unser Wunsch, dass wir dafür etwas aus Indien anbieten. Das ist unser Dankeschön.“ (css)

Nirvana – The Indian Restaurant
Rotenturmstraße 16–18, 1010 Wien
Tel.: 01/513 30 75,
www.restaurant-nirvana.at

Brüder Gökhan und Erkan Umar

Wer am Naschmarktstand Nr. 76–79 einkauft, der kann sich sicher sein: Der Schmäh rennt. Dafür sorgen die beiden Brüder Gökhan und Erkan Umar aus Istanbul, die hier schon seit Jahren als die besten Fischhändler gelten. Geplant war die Fisch-Karriere nicht. Gökhan war Student, sein Bruder gerade arbeitslos und das einzige konkret formulierbare Ziel die Selbstständigkeit. Durch Zufall erfuhren sie, dass ein Fischstand am Anfang des Wiener Naschmarktes frei wurde. Als Bedingung für die Übernahme mussten dort weiterhin Flossentiere verkauft werden. Einziges Hindernis: „Wir hatten keine Ahnung von Fisch“, lacht Erkan, dessen Piratenkopftuch zu seinem Markenzeichen geworden ist. Freunde und Bekannte warnten noch vor der umliegenden Konkurrenz, aber die Brüder ließen sich nicht beirren und setzten ihr ganzes Kapital aufs Spiel: „In Wirklichkeit haben wir von den Mitbewerbern gelernt. Wir kannten gerade einmal die Fische aus dem Marmara-Meer und Lachs, aber sonst?“ Ein Mitarbeiter einer Fischkette kam jeden Tag nach Geschäftsschluss und erklärte ihnen, wie es geht. „Vorher wussten wir nicht, mit welchen Messern wir schneiden sollen oder wie man die Haut abzieht. Erkan Umar lacht: „Einmal hat eine Dame zwei Forellen bestellt. Gökhan sagte: ‚ja, gerne‘. Dann wollte sie die beiden Fische filetiert haben. Er sagte ‚kann ich nicht‘.“ Für ihre erste Bestellung mussten sich die Umars Geld ausborgen. „Ich werde es nie vergessen. Wir haben um fast 25.000 Schilling Ware eingekauft!“

Aus den Quereinsteigern wurden Profis, die zu den besten Fischhändlern der Stadt zählen und Meeresgetier erstklassiger Qualität aus Ländern wie Italien, Griechenland, Holland, Dubai und dem Oman nach Österreich importieren. An die 30 Fischsorten, von Goldbrasse über Red Snapper bis Steinbutt, werden bei den Umars angeboten, davon über zehn aus Wildfang. Was ihren Erfolg ausmacht? „Wir sind ehrlich. Wenn ich sage, ‚das ist ein frischer Fisch‘, dann ist er es auch. Ich kann nicht sagen ‚er ist frisch aufgetaut‘.“ 2004 eröffneten die beiden Charismatiker neben ihrem Fischshop ein Restaurant. Einiges ging am Anfang schief. „Der erste Koch hat Stunden für eine Suppe gebraucht, der nächste drei bestellte Fische nicht durchgebraten.“ Seither steht Gökhan Umar hinterm Herd. „Wir haben keine Schickimicki-Küche. Es gibt Fisch, gegrilltes Gemüse – fertig.“ Für ihre Gastfreundschaft werden Gökhan und Erkan Umar von Kunden, Marktstandlern, Gourmetkritikern und Spitzenköchen geschätzt. Ob sie in Österreich glücklich sind? „Wir sind glücklich am Naschmarkt.“ (css)

Umar – Fischshop und Restaurant
Naschmarkt Stand 76–79, 1040 Wien
Tel. Restaurant: 01/587 04 56
Tel. Shop: 01/585 21 77
www.umarfisch.at

Mansur Memarian

„Ich träume auf Deutsch, im Iran würde ich mich als Tourist fühlen und bei Fußballspielen weiß ich nicht, zu wem ich halten soll. Ich bin nirgendwo.“

Mansur Memarian war zwölf und der Iran-Irak-Krieg auf dem Höhepunkt, als ihn die Eltern ins Flugzeug setzten und nach Deutschland zum älteren Bruder schickten. Der Wunsch, Koch zu werden, entstand schon während der Schulzeit, der Familie zuliebe versuchte er sich kurz an einem Wirtschaftsstudium, begann aber 1996 eine Kochlehre in der „Villa Medici“ in Krefeld. Was ihm während der Lehrzeit und den späteren Jahren als Commis in allerbesten Häusern widerfuhr, sind typische Beispiele für offene Häme, vor der selbst hochdekorierte Küchenchefs nicht Halt machen. Mit einer Herkunft wie der seinen, sagt Memarian, stehe man noch ein Stückchen weiter unten in der Hierarchie als andere. Er erinnert sich an Sätze wie: „Hast du das bei deiner Mutter in der Höhle gelernt?“ Ein wie ein General agierender Küchenchef artikulierte gar: „Sie wissen, was ich vor 40 Jahren mit Ihnen gemacht hätte!“ Der schwer erträglichen Unterminierung von oben und dem Mobbing von unten vermochte er nur durch Fachwissen und vermehrten Arbeitseinsatz Grenzen zu setzen. „Denn“, so Memarian, „eine solche Situation turnt auch an.“ Der Wendepunkt kam durch den Aufstieg zum Souschef. Nach Stationen in den besten Häusern Deutschlands – etwa im „Hummer-Stübchen“ in Düsseldorf, im „Schloss Hugenpoet“ bei Essen und im „Jagdhof Glashütte“ – wurde Innsbruck für ihn zur neuen Herausforderung: Er wagte als Küchenchef einen Neuansatz, ohne sich an bestehende Sterne lehnen zu können.

Und das in Tirol. Hier war er nicht nur Ausländer, sondern auch Deutscher – ein untrüglich negatives Vorzeichen. Die Gäste sahen ihn zunächst irritiert an, wenn er aus der Küche kam, als wollten sie sagen: „Uh, ein schwarzer Mann! Der hat mein Essen gekocht?“ Inzwischen aber heißt es: „Ich gehe zu Mansur“ und nicht „ins Pavillon“ – ein hart erkämpfter Erfolg, aber Kämpfer mag man hierzulande offenbar. Und so konnte der charismatische junge Koch eine sehr persönliche Beziehung zu seinen Gästen aufbauen. Sein Rezept: „Qualität und lockere Stimmung – denn wir Köche sind ja keine Propheten!“ Gibt es neben diesem Erfolg noch etwas, das er sich wünscht? „Bessere Akzeptanz durch die alteingesessenen Kollegen“, sagt er. Und so träumt er von vielfältigen Kooperationen, um die etwas starre Gastronomieszene zu beleben. (ad)

Der Pavillon
Rennweg 4, 6020 Innsbruck
Tel.: 0512/25 70 00
www.der-pavillon.at

Haya Molcho

In seiner Kindheit ist der blauäugige, blonde Lockenkopf neugierig durch das enge Gassengewirr der Suks von Tel Aviv gelaufen und hat die berauschenden Gerüche des Orients und die Multikultur des Marktes in sich aufgesogen. Inzwischen ist aus dem kleinen Mädchen eine Frau geworden, die zufrieden, aber nicht weniger wissbegierig mit offenen Augen durchs Leben geht und in ihrem eigenen Lokal am Wiener Naschmarkt lustvoll mit Gewürzen hantiert: Haya Molcho ist zu ihren Wurzeln zurückgekehrt.

Haya Molcho ist rumänischer und französischer Abstammung. Aufgewachsen neben dem schönsten Viertel Tel Avivs, gemeinsam mit Jemeniten und Marokkanern, war das multikulturelle Mischmasch der Nationen prägend für die Küche zu Hause: „Gastfreundschaft war Thema Nummer eins bei uns. Wenn wir eingeladen haben, war der Tisch brechend voll.“ Das Kochen hat der kleinen Haya keine Ruhe gelassen. Tanten und Großeltern durfte sie schon mit sechs Jahren eifrig in der Küche helfen. Ihre ersten gastronomischen Erfahrungen konnte Molcho mit ihrem Mann – Regisseur und Pantomime Samy Molcho – sammeln, den sie auf seiner siebenjährigen Tournee durch die ganze Welt begleitet hat. „Ich war überall in den Küchen und habe angefangen mitzukochen. Die Faszination für die verschiedenen Kochstile rund um den Globus spiegeln sich heute in Molchos Cateringunternehmen FoodArt wider, das sie seit acht Jahren mit Joshua Elbaranes betreibt. Mit ihm bringt sie Thailand, Indien oder Marokko nach Österreich. Die Stärke von FoodArt ist die Inszenierung: „Für einen marokkanischen Abend wird eine lange Tafel in gold und weiß, mit Granatäpfeln und handgefertigten, weiß glasierten Tajines gedeckt. Es stimmt einfach jedes Details“, sagt die Powerfrau stolz. Auch das Szenelokal „Tewa“ am Naschmarkt wird durch Molchos Leidenschaft geprägt. „Ich habe die unterschiedlichsten Nationen bei mir in der Küche. Bei uns stehen jemenitische Gerichte genauso wie indische oder afrikanische auf der Karte. Natürlich ist das manchmal problematisch, weil die Gäste sich eine Kontinuität erwarten. Aber die gibt es hier bewusst nicht. Ich will, dass meine Leute das kochen, womit sie aufgewachsen sind. Ich will, dass sie die Farben ihrer Herkunft in die Küche bringen.“ Eine Metapher für Molchos Rezept für Frieden auf der Welt. Sie wünscht sich Offenheit für Neues, Akzeptanz für Fremdes. „Ein Schwarzafrikaner oder ein Türke muss nicht böse sein. Nimm ihn als Mensch wahr, nimm seine Kultur wahr und sei nicht skeptisch. Dann haben wir ein Problem weniger.“ (css)

Tewa Naschmarkt
Stand 672, 1040 Wien,
Tel.: 0676/847 74 13 00,
www.tewa672.at
FoodArt
Schlenthergasse 17, 1220 Wien,
Tel.: 0664/ 256 25 75, www.foodart.at

Mingming Fang und Dr. Zhao

Die Geschichte liest sich wie das Drehbuch für einen Hollywoodfilm. Eine TV-Journalistin und ein Wirtschaftsprofessor aus Shanghai wandern nach Österreich aus und sperren im Suburb Wiens ein Chinarestaurant auf, das drei Jahre später als das beste Österreichs gilt. Der gefeierte Koch und Meister der Shanghaiküche ist Autodidakt Dr. Zhao.

Mingming Fang und Jian Zhao sind Kinder der Kulturrevolution. Die politisch angespannte Lage in China hat die beiden nach Österreich getrieben, wo sie 1993 ein Restaurant in der Prager Straße in Floridsdorf eröffneten. Berührungsängste gab es keine, der Chinese am Eck war Ende der 1980er Jahre bereits fixer Bestandteil der Gastroszene. Die beiden engagierten einen chinesischen Koch und wollten zeigen, dass es auch etwas anderes als Acht Schätze und Schweinefleisch süßsauer gibt. Bald hing der Küchensegen schief. Der Chefkoch flüchtete vor der strengen Herrin und Jian Zhao verkündete: „Jetzt bin ich dran.“ Eine Horrorvorstellung für Mingming Fang, die ihrem Mann alles zugetraut hätte, nur nicht das Kochen: „Ich konnte gar nicht mehr schlafen“, erinnert sich die charismatische, hantige Gastgeberin. Nächtelange Diskussionen musste der Professor über sich ergehen lassen und sich durch Kochbücher quälen. „Es war ein Chaos, Teller sind zerbrochen, aber er hat sehr gut gekocht“, sagt Mingming inzwischen zufrieden. 1996 kam der Durchbruch. Nachdem mehrere Gastrokritiker das Lokal konsultiert hatten, veröffentlichte ein Blatt die Serie „Wie Starköche zu Hause kochen“. Jian Zhao war einer davon. Journalist und Fotograf kamen um acht Uhr früh und bevor sich Dr. Zhao die Kochjacke anziehen konnte, wurde er schon im Pyjama in der Küche fotografiert. Die Reaktionen auf den Artikel läuteten die goldenen Zeiten der Quereinsteiger ein: „Wir hatten eine Tischreservierung nach der anderen.“ Die Gäste kamen aus allen Bezirken und der Beliebtheitsgrad stieg derart, dass Stammgäste Immobilienangebote für einen Umzug in die City mitbrachten. „Leider war entweder die Küche zu klein oder die Ablöse zu hoch.“ Bis eines Tages Harald Prandstätter, Betreiber von „Harry’s Time“, ein Inserat auf den Tisch legte und fragte: „Wollt ihr jetzt umziehen oder nicht?“ Drei Stunden später standen Mingming Fang und Jian Zhao vor dem Gebäude in der Innenstadt und lugten durchs Fenster. Sie warten auf das Happy End? Den beschwerlichen Weg an die Peripherie Wiens müssen die Gäste der „Goldenen Zeiten“ nicht mehr auf sich nehmen. Jetzt ist der Dr.-Karl-Lueger-Platz 5 die erste Adresse für Shanghaiküche in Wien. (css)

Goldene Zeiten
Dr.-Karl-Lueger-Platz 5, 1010 Wien
Tel.: 01/513 47 47, www.goldenezeiten.at

Sohyi Kim

Einmal so richtig abfeiern – das wollte die Koreanerin Sohyi Kim, als sie vor 23 Jahren in das Flugzeug nach Wien eingestiegen ist. Auslöser war der Film Frühstück bei Tiffany, der von dem exzessiven Leben eines New Yorker Partygirls erzählt. „In einer Runde zusammensitzen und Reis essen, das war bei uns Party. Die langen Zigaretten, die Samthandschuhe, die teuren Kleider – das war alles so schön. Das war Party, das war Freiheit, das war Europa.“

Der Start in Wien fiel Kim nicht leicht: „Ich habe die Sprache nicht verstanden und kulturell ist hier auch alles verkehrt.“ Nach einem Intensivdeutschkurs absolvierte die quirlige Koreanerin die Modeschule Herbststraße, um sich als Designerin selbstständig zu machen. Das glamouröse Leben als Modetussi wurde ihr bald zu viel: „Ich habe nie wirklich getrunken und geraucht auch nicht – in der Szene war das Usus. Keinen Abend kommt man vor vier Uhr früh nach Hause, aufgestanden bin ich nicht vor zwölf.“
In die Gastronomie ist Kim mehr aus Spaß gerutscht. „Da haben die Probleme erst richtig angefangen. Ich hatte null Ahnung von Gastronomie.“ Kim stellte einen koreanischen Koch ein. „Dem habe ich wirklich viel bezahlt, ich konnte ja nicht kochen.“ Mit ihrem Erstversuch in der Schlagergasse musste die zarte, aber zähe Kim viele Durststrecken überstehen, die mit einem einschneidenden Erlebnis ein Ende haben sollten: „Es war Winter und ein Gast kam zur Tür herein und bestellte eine Nudelsuppe. Der Koch hat mir die Schüssel nicht mit einer – wie in Korea üblich – brennend heißen, sondern einer lauwarmen Suppe in die Hand gedrückt. „Ich habe gesagt, dass mir das nicht gefällt, dennoch habe ich die Suppe serviert. Der Gast hat zwei Löffel von der Suppe genommen und sie stehen lassen. Trotzdem habe ich 25 Schilling kassiert und den Gast nicht wieder gesehen.“ Ein Wendepunkt in Kims Leben. Sie schmiss den Koch raus, zog den Rollbalken runter und verschanzte sich, bewaffnet mit einem Stapel Kochbücher, in der Küche. „Ich hatte vorher nie ein Messer in der Hand. Ich habe kiloweise Fisch filetiert, zerlegt und zerschnitten, damit ich ihn besser verstehen kann.“ Nach einem Monat sperrte Kim wieder auf und servierte den Gästen genau das, was sie wollten: „Wenn jemand einen Teller nur mit Thunfisch verlangt hat, dann habe ich ihn in allen Variationen – vom Sashimi über Sushi bis Tatar – zubereitet und dem Gericht den Namen des Gastes gegeben. Auf einmal ging’s wie die Hölle.“

2001 hat Sohyi Kim ihr Restaurant „Kim kocht“ eröffnet, drei Jahre später ihr Kochstudio und vor einem Jahr wurde ein Redesign der beiden Lokale vorgenommen. Ist Sohyi Kim, die auf Deutsch träumt und koreanisch redet, sobald sie im Schlaf einen Asiaten sieht, in Österreich integriert? „Ich fühle mich hier sehr wohl. Integriert ist für mich aber nicht das richtige Wort, denn es hat einen bitteren Beigeschmack. Für mich ist es so, als wäre ich immer schon da gewesen.“ Den Gast, von dem Kim damals Geld für die Suppe abkassiert hat, sollte sie doch wieder sehen. „Ich bin mit meiner Kochjacke auf die Straße gelaufen und habe mich bei ihm entschuldigt und ihm gesagt, dass er einer der Gründe war, warum ich jetzt da stehe, wo ich heute bin. Ich habe ihn in mein neues Lokal eingeladen und gesagt: ‚Damit Sie sehen, was Sie aus mir gemacht haben.‘ Die Einladung hat er angenommen und mir nach dem Abend verraten: ‚Mir war klar, dass Sie es schaffen.‘“ (css)

Kim kocht
Lustkandlgasse 4, 1090 Wien
Tel.: 01/319 02 42
www.kimkocht.at

Ulrike Skrypek

Für Ulrike Skrypek war früh gewiss: In der Enge eines Ausflugslokals am deutschen Ostrand gibt es zu wenige Entwicklungsmöglichkeiten. So strebte die 1982 in Cottbus geborene junge Frau nach dem Westen. Mit bewundernswerter Blauäugigkeit bewarb sie sich in der Residenz Winkler in Aschau, um ihre Lehre als Restaurantfachfrau zu komplettieren – ohne zu wissen, welch Ort gastronomischer Höhenflüge dies sei! Im multikulturellen Gefüge des Heinz Winkler gab es viele Mitarbeiter aus Sachsen, doch die Rangordnungs-Dominanz der Franzosen war stets zu spüren; was an Problemen entstand, wurde gerne auf die Ossis abgewälzt.

Als Servicemitarbeiterin in der Topgastronomie bewegt sich Ulrike Skrypek in einem relativ geschützten Bereich, etwaige Ressentiments der Gäste sind kaum spürbar, wohl aber die Neugier bezüglich ihrer Herkunft. Das tadellose Hochdeutsch ist schwer einzuordnen. Nach zwei Jahren in Aschau kam sie 2004 mit Gut Apfelkam in einen zweigeteilten Betrieb: Die Küche war bayrisch, der Service ostdeutsch. Zur Konkurrenz Küche vs. Service kam so noch die Ebene Ossi vs. Wessi, doch das alles wurde mit reichlich Humor verhandelt.

Auf die folgenden, nach Salzburg bis Sylt ausgesandten Bewerbungen kam vom Hangar-7 die erste positive Antwort, so wurde Salzburg zu ihrem neuen Standort. Als erste Ostdeutsche im Service war ihre Herkunft nun wohl ein Thema. Als in der Küche noch jemand aus dem Osten hinzukam, hieß es: „Schau, jetzt bist nimmer so alleine!“ Weniger subtil der ihr zugeworfene Satz: „Ihr wart’s so lange eingesperrt, jetzt müsst’s erst zeigen, was ihr könnt!“ Aber sowohl im Hangar-7 als auch nun in der „Riedenburg“ sind Skrypeks Erfahrungen durchwegs positiv – Burgenländer, sagt sie, hätten es hier viel schwerer. So ist also Salzburg ihr Zuhause geworden, Cottbus aber bleibt Herkunft und Heimat. (ad)

Riedenburg
Neutorstraße 31, 5020 Salzburg,
Tel.: 0662/83 08 15,
www.riedenburg.at