Buddeln in Carnuntum

Gut, dass man nicht sehr tief graben muss, um östlich von Wien ein paar angenehme Mahlzeiten zu erleben.

Buddeln in Carnuntum

Text von Alexander Rabl Fotos: beigestellt
Los, buddeln!", befiehlt Clint Eastwood in dem Sergio-Leone-Klassiker "Zwei glorreiche Halunken" dem Kompagnon Eli Wallach. Wonach gebuddelt wird, ist klar: Golddollars. Römische Ruinen hatten sie im Wilden Westen ja nicht. Die hat man dafür östlich von Wien ausgegraben. Aber wer heute nach Carnuntum fährt, kann die Schaufel zu Hause lassen, denn das einzige Arbeitsgerät, das man dort braucht, sind Messer und Gabel. So treffen wir eines festlichen Abends im feierlich geschmückten Schloss von Margarethen auch nicht Herrn Eastwood, sondern Tante Ilse. Sie moderiert mit durchsetzungskräftiger Stimme die Leistungsschau ehrgeiziger junger Wirte und Winzer der Region. (Hauptberuflich ist Tante Ilse, was man von Tanten erwartet: Sie ist in Pension und kocht Marmeladen ein. Davon später.) Von einer Jury aus hundert verkosteten Proben ausgewählte Weine werden in überschaubaren Portionen eingeschenkt und die Siegerweine von Artner (Amarok ’03) und Gerhard Markowitsch (Rosenberg ’03) machen deutlich, dass die Mitglieder dieser Jury mit Ernst und Sorgfalt an die Sache gegangen sein müssen. Das Essen, das vier junge Herren auf Behelfsherden aufkochen, dieses Essen wiederum macht neugierig. Am nächsten Tag fährt man also nicht gleich zurück nach Wien. Es wird eine Forschungsexpedition aufzustellen sein. Ihr Auftrag: Römische Ruinen haben wir in der Gegend genug – aber ein paar gute Restaurants wären nicht schlecht.
Schon einige Zeit fragen sich die Hungrigen der nahen Stadt, ob es da zwischen Wien und Bratislava nicht etwas gäbe, wo man sich angemessen verpflegen könnte zwischen Auspaziergang in Hainburg und Besuch beim Winzer in Göttlesbrunn. Sie fragen sich das, um dann doch nur die Strecke zum Flughafen zurückzulegen, auf dem Weg in ein neues Fischlokal in Palma oder ein altes Bistro in Paris. Dabei hat es sich bereits herumgesprochen: Wo der Wein wächst, muss keiner verhungern. Das ist eine erfreuliche Erkenntnis, für deren Bestätigung man nicht erst nach Kalifornien reisen muss. Und so überrascht es nicht wirklich, wenn wir hier festhalten: Wer heute zwischen Fischamend und Bruck an der Leitha essen will, trifft auf eine Gruppe von hungrigen Köchen. Sie haben die Wirtshäuser ihrer Eltern übernommen und einen kleinen Bankkredit genommen, um dort keinen Stein auf dem anderen zu lassen, auf ihren Reisen zu den Vorbildern in Österreich und Frankreich ein paar Kleinwagen verfressen, die Weinkeller gefüllt und die Speisekarten neu geschrieben. Sie haben aus den Fehlern gelernt, die andere gemacht haben. Nicht gegeneinander, sondern miteinander muss das Rezept für den Erfolg lauten. Mit einer Hand voll Produzenten aus der Region ziehen sie jetzt ihr Ding durch. Zum Beispiel im eher unscheinbaren Ort Haslau, wo man an den bunt gestrichenen Legohäusern und Matchboxgärten der Landflüchtigen und am Landeskindergarten vorbei zum Haslauerhof fährt, perfekt geleitet von einem halben Dutzend Hinweisschildern (der Patron, Roland Lukesch, muss einmal am Pogusch zu Gast gewesen sein). Herr Lukesch pflegt beste Beziehungen zu den Gemüsebauern, Käsemachern, Fischern und Jägern der Gegend, deren Mitbringsel sein Angebot zieren. Während die hausgemachten Marmeladen unverkennbar aus Tante Ilses Manufaktur kommen, stammen das Reh (für den Rehburger im Ciabatta) aus dem nahen Arbestthal und der Mufflon (mit Belugalinsen mit frischen Grammeln und Erdäpfelpuffer) vom Wildgehege ein paar Straßen weiter. Wie klug, dass Herr Lukesch auf das Einfliegenlassen von Steinbutt und Branzino zugunsten ihrer unedlen Verwandten verzichtet. Die leben in der nahen Donau und sind immer wieder vollkommen überrascht, dass es Leute gibt, denen sie nicht zu wenig nobel zum Angeln sind. Sie, die Fische, hören auf die erdigen Namen Brachse, Nasen, Döbel, und wenn sie aus dem Fluss gefangen werden, treffen sie sich kurze Zeit später wieder: als knusprig gebackene Fischlaibchen mit einem Hauch Dille. Witzig gedacht und gekonnt zubereitet ist das Meiste, was Lukesch seinen Gästen serviert, die knusprige Praline vom Kaninchen zum Beispiel, während die Gabelbissen von dreierlei Fisch durch eine gewisse Festigkeit der Gelatine und zuviel Krenobers irritieren. Dem regionalen Fisch, wie schon gesagt, widmet der Lukesch große Aufmerksamkeit, kündigt fürs nächste Jahr Räucherfische mit Birne an und schwärmt vom eingelegten Karpfen, dessen Gräten sich nach einiger Zeit im Essig mir nichts dir nichts auflösen. Am Ausblick auf die Donauauen, den man vom Panoramafenster des Speisesaals oder von der Terrasse aus genießt, kann man sich lange und ausgiebig satt sehen und muss sich daher nicht die Frage stellen, warum es bereits die dritte Flasche ist, die da am Tisch entkorkt wird, von Weinen, die lustige Namen wie Impressario, Bienenfresser, Imperator oder Purple Extrem tragen, aber durchaus ernsthaft schmecken. Wenn Lukesch nicht gerade mit der Zille durch den Austand fährt – Austand, wieder so ein lustiger Name, er meint diesmal keinen Wein, sondern das stehende Wasser der Donauauen –, organisiert er sich mit Gleichgesinnten, der Region den Ruf des Unkulinarischen zu nehmen.
Einer dieser jungen Wirte heißt praktischerweise auch so, Johannes Jungwirth, und kocht in Göttlesbrunn im ehemaligen Winzerhof Pauli, einem Gebäude, das an die Zeiten erinnert, als die römische Zivilisiertheit von den Barbaren gründlich ausgetrieben war und man den Wein viertelliterweise zum Grillteller trank und das dann Festmahl nannte. Heute könnte man ein Essen in Göttlesbrunn zum Beispiel mit dem Entenleberparfait im Schmalztöpfchen einleiten, mit Rehleberkäse fortsetzen, begleitet von einem köstlichen Senf (War es Trüffel? War es Feige?), dann Rehbratwürstel mit Rotkraut, schließlich Wildschweinbraten, dem der Award der Goldenen Wildsau für den vergangenen Herbst ganz eindeutig gebührt. Köstlich sind dann die Sorbets, die geeignet scheinen, den Magen nach einem ausgiebigen Lunch in den alten Gemäuern milde zu stimmen. Auch hier ist der Wein ein Thema. Dafür sorgen schon die Spitzenwinzer aus Göttlesbrunn, die dem jungen Wirt gerne mal einen Besuch abstatten und das nicht nur, weil sie sehen wollen, ob er und seine Gäste ihren Prestigeweinen die verdiente Anerkennung erweisen. Das tun sie in jedem Fall, manche glas- andere auch gleich flaschenweise. Gestärkt ziehen die Forschertrupps weiter.
Schließlich gilt es vor den alten Stadtmauern von Bruck an der Leitha eine weitere Fundstätte freizulegen. Im Wirtshaus zum G’selchten hat man die Periode des geräucherten Schweinernen längst hinter sich gelassen, bietet eine bunte Mischung an Speisen an, wobei man davon ausgehen darf, dass sich die Größe der Portionen umgekehrt zur Höhe der Preise verhält. Das Beuschel ist gut gewürzt und kommt in einer nur leicht gebundenen Sauce. Wenn man zum passenden Zeitpunkt kommt, haut der Wirt, Thomas Scherhaufer, schnell die frischen Lebern vom Hirsch und vom Reh in die Pfanne. Leicht rosa gebraten, serviert mit nichts als einem einfachen Bratenjus, würden sie auch das Angebot eines hoch gerühmten Feinschmeckerladens zwischen Elsass und Perigord adeln. Dass der junge Wirt ebenfalls hoch hinaus will, merkt man der einfach dekorierten Schank nicht an, wohl aber dem Weinangebot und der prall gefüllten Zigarrenkiste. Doch der Forschungstrupp darf sich keine Pause gönnen, weder eine Zigarren- noch eine Zigarettenpause.
Im nahen Götzendorf steht das behäbige Gebäude des Familienbetriebes der Familie Assl. Der junge Chef hat von seiner Zeit in Asien eine auffallende Liebe zu Gewürzen mitgebracht. Manchmal ist es aber einfach nur zuviel Salz, wie bei den Ravioli mit Albatrüffel. Trüffel in Götzendorf? Ja, auch Christian Assl geht die Sache ambitioniert an, wie viele seiner Kollegen am Land glaubt er aber zu wissen, dass die Gäste nach dem Essen noch den Jakobsweg spazieren oder einen halben Wald abholzen werden. Um ein Kalbsbeuschel mit Knödel zu verspeisen, bedarf es einer hungrigen Familie beim Sonntagsausflug. Solange die freundlichen Wirtsleute rund um Carnuntum es mit ihren Gästen so gut meinen, empfiehlt sich für alle Nichtschwerarbeiter, pauschal um abgespeckte Portionen zu bitten. Man wird, soviel ist klar, keines der Lokale hungrig verlassen.
Auch nicht den Gasthof Muhr in Gallbrunn, dessen hausgemachte Blutwurst unter den Fleischfressern am Naschmarkt kultige Verehrung genießt. Hier wird mancher Gast überrascht feststellen, dass Blunz’n und Nieren auf der Karte des jungen Jakob Muhr eine weniger große Rolle spielen. Wenn Innereien, dann Praline und Terrine von der Gänsestopfleber auf Mango-Schalotten-Chutney. Reh, Frischling, Weidegans oder Fasan verarbeitet der junge Herr Muhr, der sein Handwerk sichtlich nicht beim Wirten im Nachbarort gelernt hat, zu ländlich adretten Gerichten mit Pfiff. So mancher bunter Saucenschwenk bei den Desserts spiegelt sich auch in der Architektur des Hauses wieder, das in den letzten Jahren kräftig aus- und umgebaut wurde. Wie gut, dass der Gasthof Muhr nicht nur ein Gasthof, sondern auch ein zeitgemäß ausgestattetes Hotel ist. Da lässt man gerne noch eine Flasche aus dem Keller öffnen, der von Martin Muhr mit Verve und Knowhow gepflegt wird. Die berühmte Blunz’n nimmt der Forschungstrupp gerne als Proviant, man weiß schließlich nie, was unterwegs passiert. Und schließlich dauert es noch ein bisschen, bis in Göttlesbrunn Adolf und Bettina Bittermann ihr neues Gasthaus aufsperren, das neue Fans und hungrige Forscher in die Gegend locken wird.