Frauen am Herd

Die MeToo-Debatte der letzten Jahre hat in vielen internationalen Küchen zu einem Umdenken bezüglich der Geschlechterrollen in der Spitzengastronomie geführt. Die vielerorts gängige negative maskuline Energie ist einem überlegteren Umgangston gewichen. Trotzdem sind Frauen in Toppositionen noch immer eine Minderheit.

Text von Eva Biringer /Foto: Dpicturedesk.com

Frauen gehören nicht in die Küche, sondern ins Schlafzimmer.“ So modern Paul Bocuses Art zu kochen damals war, so ewiggestrig war sein Frauenbild. Über sein Lebensmodell, sich drei Haushalte von drei Frauen führen zu lassen – es ist davon auszugehen, dass diese sehr wohl auch am Herd standen –, sagte der „Jahrhundertkoch“: „Ich mache das, wovon jeder Mann träumt.“

Mon dieu! Es ist schon seltsam, dass die Spitzenküche so männlich geprägt ist. Milliarden von Frauen versorgen die Welt tagtäglich mit drei bis fünf Mahlzeiten, ohne ­besondere Würdigung dafür zu erhalten. Sobald Essen von der reinen Nahrungsaufnahme zur Kunst sublimiert wird, verwirklichen sich fast ausschließlich Männer am Pacojet. Neunzehn Michelin-Sterne-Restaurants gibt es derzeit in Österreich, keines davon wird von einer Frau ­gelenkt. Auf eine Nachfolgerin von Johanna Maier – zwei Sterne und Höchstwertungen bei allen anderen namhaften Führern – wartet das Land vergeblich. Kochen, so die ­gängige Argumentation, sei ein Knochenjob, und daher ungeeignet für das „schwächere Geschlecht“. Zu lange Arbeitstage, zu viele Tränen beim Zwiebelschneiden, und dann die schweren Gulaschtöpfe! Die einzige Ausnahme bildet der Pa­tis­se­rieposten, weil süß, das können die Frauen dann doch ganz gut. Sollte das nicht abschreckend genug sein, wird gerne das letzte Ass aus der Kochjacke geschüttelt: der raue Ton in der Küche. Als ob es ein Naturgesetz sei, Geschlechtsorgane mit Lebensmitteln zu vergleichen. Als ob die Gummifotze nicht auch Teigschaber genannt werden könnte und jeder Frauenhintern eine Einladung zum Herumkneten wäre, wie Brotteig.

Laut einer Studie der Equal Employment ­Opportunity Commission (EEOC), einer US-Behörde gegen Diskriminierung am Arbeitsplatz, ist keine Branche so stark betroffen wie die Gastronomie und Hotellerie. Die Harvard Business ­Review kommt zum Ergebnis, dass 90 Prozent ­aller Frauen im Gastronomiesektor schon sexuelle Belästigung erfahren haben.

Selbst Spitzenköchinnen bleiben davon nicht verschont. 2018 wurde Clare Smyth als World’s Best Female Chef ausgezeichnet, ganz nach dem Motto: Ziemlich gut dafür, dass sie Brüste hat. Dieses Jahr erhielt sie die höchste Auszeichnung des Guide Michelin, als erste englische Köchin. Der Weg dorthin war hart, wie sie dem Guardian verrät: „Vor zehn oder fünfzehn Jahren war ich oft die einzige Frau in der Küche. Ich hatte immer das Gefühl, es allen beweisen zu müssen, nach dem Motto ‚Frauen sind stark genug für so was‘.“ Die Zwei-Michelin-Sterne-Köchin Douce Steiner bekam während ihrer Ausbildung zu hören, sie gehöre an den heimischen Herd, nicht an den einer Profiküche. 2017 tauchte sie in der vom Magazin Rolling Pin herausgegebenen Liste der 50 Best Chefs auf – als einzige Frau. Die Aufregung, Stichwort „Weißwurstparade“, war groß, und es war wohl kein Zufall, dass im selben Jahr ein Hollywoodmogul eine weltweite Solidaritätsbewegung ausgelöst hatte.

Mit ein wenig Verzögerung erreichte die Me-Too-Debatte auch die professionellen Küchen. Da waren einerseits große Namen wie Mario Batali (dessen Temperament sich schon bei der Lektüre von Bill Bufords autobiografischem Leidens­bericht Hitze erahnen ließ), der New Yorker Burger­unternehmer Ken Friedman oder der bei Wikipedia als „Philanthrop“ bezeichnete John Besh, ein Koch aus New Orleans, der einige seiner 1.200 Mitarbeiterinnen zum Sex aufforderte.

Nicht nur in den USA standen verbale und körperliche Zudringlichkeiten lange Zeit mit der gleichen Selbstverständlichkeit auf der Tagesordnung wie der Brotkorb draußen im Gastraum. Die in renommierten Häusern wie dem Vendôme und dem Londoner Hide tätige Sommelière Maria Rehermann erinnert sich an den „Poklaps des Chefs“ ebenso gut wie diverse „Sexsprüche“. Nicht zuletzt deswegen gründete sie mit Femwine ein Netzwerk gegen Sexismus im Gastgewerbe.-

Dabei betrifft sexuelle Belästigung nicht nur die Küchencrew, sondern auch das Servicepersonal. Gäste, die Freundlichkeit mit Flirten verwechseln und statt einer Mousse au Chocolat lieber die Kellnerin vernaschen würden, gehören zum Alltag. In ihrem Podcast Auf ein Glas Champagner mit Marie-Anne spricht die Managerin des Restaurants Tim Raue mit Kolleginnen über die Situa­tion von Frauen in der Gastronomie. Von wegen, der Gast hat immer recht: Marie-Anne Raue verweist alle, die keinen Respekt gegenüber ihren Mitarbeiterinnen zeigen, umgehend des Hauses.

Studien zeigen: Da, wo Frauen in der Überzahl oder zumindest in größerem Maß vertreten sind, findet Sexismus nur in den seltensten Fällen statt. In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung stellte die dänische Köchin Trine Hahnemann fest: „Ständige Unterdrückung ist ein Mittel, um ein männlich bestimmtes System aufrechtzuerhalten, aber damit muss man sich nicht abfinden.“ Ebenso wenig mit dreckigen Witzen und einem Gender Pay Gap von 23 Prozent. Hahnemann, die nicht nur selbst kocht, sondern die Leitung von neun Küchen innehat, achtet auf einen menschlichen Führungsstil, der zwischen professioneller Strenge und Gewaltausbrüchen ­unterscheidet, die in der Regel nichts anderes sind als ein Ausdruck von Hilflosigkeit.

Ein Glück: Mehr und mehr junge Frauen entscheiden sich für eine Ausbildung in der Gastronomie – auch wenn in Österreich das Verhältnis noch immer nur zwei zu eins beträgt – und verändern damit das System schrittweise von innen heraus. Zum Beispiel, indem sie die Arbeitszeiten familienfreundlicher ­gestalten oder wie Neni-Gründerin Haya Molcho beweisen, dass ein eigenes Business sehr wohl mit vier Kindern zusammengeht, und eine vertrauensvolle Umgebung schaffen.

„In Großbritannien werden immer mehr Mitarbeiter professionell geschult, wie sie sich bei Belästigungen verhalten sollen. Ich hoffe, dieser Trend kommt auch zu uns“, bemerkt Sophia Hoffmann, eine deutsche Köchin, die immer wieder durch ihr politisches Engagement auffällt. Als hilfreich erweisen sich auch Netzwerke wie der von Hoffmann unterstützte Feminist Food Club oder das jährlich an wechselnden Orten stattfindende Parabere Forum, das sich zum Ziel setzt, Frauen aus der Foodbranche zu vernetzen. Abgesehen davon gilt es, den Küchenalltag umzustrukturieren. Von einem ausgeglichenen Geschlechterverhältnis profitieren alle.

Nicht nur bei Trine Hahnemann, sondern auch bei der Zwei-Sterne-Köchin Ana Roš arbeiten ­genauso viele Männer wie Frauen. „Das ist zwar keine Absicht, aber gut für die hormonelle Ausgeglichenheit“, bemerkt die Slowenin, der 2017 ebenfalls die Auszeichnung Best Female Chef zuteil­wurde. „Überraschenderweise bin ich immer von diesen wunderschönen, hart arbeitenden Frauen umgeben, die sogar bei der Arbeit Lippenstift tragen und in mancherlei Hinsicht so viel stärker sind als ihre männlichen Kollegen.“

Wobei auch noch anzumerken wäre, dass nicht wenige es schon als schlagenden Beweis für die ganze Misere sehen, dass es überhaupt die Auszeichnung Best Female Chef gibt.

Stichwort Männer: Deren Hilfe braucht es beim Sturz der Weißwurstparade. Die Healthy Boy Band beispielsweise trat bei einem lediglich mit männlichen Gastköchen besetzten Festival aus Protest in Frauenkleidern auf. „Es ist völliger Blödsinn, dass Frauen dem Druck in großen ­Küchen nicht gewachsen sind“, sagt Gründungsmitglied Lukas Mraz vom Wiener Restaurant Mraz & Sohn. „Die Atmosphäre ist nur so ­machohaft vergiftet, dass sie sehr oft einfach gemobbt werden – irrsinnig viel Talent und Können gehen auf diese Art verloren.“ Sein Mitstreiter Philip ­Rachinger ergänzt, dass es seine Groß­mutter Walpurga gewesen sei, die den Mühltalhof zu dem ­gemacht habe, was er heute sei.

Selbst der nicht unbedingt für seine weiche Seite bekannte Konstantin Filippou versicherte in einem Podcast des Standards, dass Frauen Männern in vielen Dingen überlegen seien. Warum es dann so wenige in der gehobenen Gastronomie gebe? „Vielleicht ist der Job für sie nicht so erstrebenswert. Sollte meine eigene Tochter diesen Weg gehen wollen, würde ich sie dabei extrem unterstützen.“ Diese ist gerade mal wenige Monate alt, es bleibt also zu hoffen, dass sie bei einem möglichen Berufseinstieg eine andere Welt vorfindet. Wovon die Londonerin Clare Smyth übrigens überzeugt ist: „Die Stimmung heute ist so viel netter als zu Beginn meiner Karriere, viel mehr in Balance. Ich hoffe, dass in zehn Jahren viele Frauen auf Toplevel ­kochen werden.“ Wie auch immer sich die Sache entwickelt: Ein Satz wie Paul Bocuses „Frauen ­gehören nicht in die Küche, sondern ins Schlafzimmer“ würde zum Glück schon heute mindestens ­einen Shitstorm nach sich ziehen. Vielleicht sogar den Untergang ­eines Gastroimperiums.