Hauptsache Dessert

Am Anfang grüßt die Küche mit einer kleinen Aufmerksamkeit. Zumindest in den besseren Restaurantkategorien. Neuerdings schicken viele Küchenchefs aber auch zum Finale jede Menge Grüße. In der Hauptrolle: Schokolade.

Hauptsache Dessert

Text von Christian Grünwald Fotos: Lucia Ellert
Neben dem bestellten Dessert werden in der Pariser Luxusgastronomie Unmengen von fruchtigen Miniaturen, kleinen Mehlspeisen und vor allem Schokokreationen in mehreren Servicewellen aufgetragen. So erlebt in Guy Martins "Le Grand Véfour", aber auch in Wien bei globalen Trends gegenüber besonders aufgeschlossenen Küchenchefs wie Christian Petz oder Sohyi Kim.
Letztere hat im Sommer mit der Herstellung von mit Wasabi gewürzter Schokolade zu experimentieren begonnen. Vor allem, bis die Konsistenz ansprechend war, brauchte eine Patisserie-Autodidaktin wie Kim schon einige Tage. Die Folgeprojekte wie verschiedene Pralinen gingen dann schon schneller von der Werkbank. Heute sind auch Abwandlungen von Klassikern unter Zuhilfenahme von Kokosmilch statt Obers kein Problem.
Bei Sohyi Kim war es die Tatsache, dass in so gut wie allen asiatischen Küchenstilen das Dessert nach europäischen Maßstäben nur wenig hermacht. Ein adäquates süßes Finale ist aber in einer Restaurantkategorie à la "Kim kocht" ganz einfach Pflicht.
Neuerdings gehört also gewürzte Schokolade zum Standardprogramm eines Kim-Menüs. Auch im Dessertbereich agiert Kim nach dem Grundsatz, "dass ich bei allen verwendeten Produkten ganz genau wissen möchte, was drin ist".
Gerade wenn es im Menü schärfer hergegangen ist, kann und soll Schokolade zum Dessert sogar neutralisierend wirken. Kims Schokokompositionen sind mehrheitlich auf Kontrasten aufgebaut. Entsprechend dominant sind in manchen Varianten Gewürze wie Galgant, Ingwer oder Chili.
Derlei Kombinationen sind übrigens traditioneller als man zunächst meinen mag. Anleitungen und Erwähnungen finden sich auch im von Pierre Hermé verfassten Larousse Schokolade (Christian Verlag, € 41,10, ISBN 978-3-88472-741-6), wo auf schräge Varianten mit Sternanis, Koriander und Kreuzkümmel hingewiesen wird, Pfeffer zum selbstverständlichen Würzrepertoire gehört und zudem die erste Salz-Praline dokumentiert ist. Sie entstand mit Guérande-Salz in der Bretagne, wo Kuchen traditionell mit gesalzener Butter gebacken wird. Auch bei Schokolade entfaltet Salz seine Qualität, den Eigengeschmack zu unterstreichen. Zugleich sorgen Salzkristalle für einen interessanten körnigen Biss.
Der Pariser Patissier Pierre Hermé gilt als unangefochtener Star seiner Zunft. Er verkauft seine Kreationen wie Haute Couture, präsentiert seine nur begrenzte Zeit erhältlichen "Kollektionen" schon mal in spektakulären Abendevents. Sein Stammhaus in der Rue Bonaparte liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Yves Saint Laurent und das Verkaufslokal ähnelt mehr einem noblen Juwelier als einer Konditorei.
Hermé lernte sein Handwerk beim legendären Gaston Lenôtre, der der Patisseriekunst durch luftige Mousse-Zubereitungen und leichte, stark zuckerreduzierte Biskuitteige in den sechziger Jahren den letzten nennenswerten Modernisierungsschub gab. Hermé verzichtete auf die einst üblichen Deko-Überladungen bei Desserts, setzte Salz zur Hervorhebung der Geschmacksnuancen ein. Bei Fauchon erfand er ein Schokoladebiskuit ohne Mehlzugabe, das einem Schokoladekuchen zu einer knusprigen Komponente verhilft. Das war die Basis einer Schokotorte names "La cerise sur le gâteau" (heißt so viel wie "krönender Abschluss"), die komplett aus Milchschokolade in vier Spielarten besteht: Praline, Schokomousse, Ganache und knusprige Schokoblätter. Das mit Goldstreifen dekorierte Kunstwerk war so ein Erfolg, dass Hermé sich selbstständig machen konnte. Auch andere Kreationen wie sein "Ispahan"-Törtchen sind echte Klassiker: Rosenbiskuit mit einer Creme aus Rosenblüten, Litschis und frischen Himbeeren.
Im Grunde genommen hat die so genannte Molekularküche viele Prinzipien von der Patisserie "abgeschaut": das Spiel mit Konsistenzen, die Intensivierung des Geschmacks, die Verblüffung des Gastes als wichtiges Ziel. Weltberühmt wurde Pierre Hermé mit seinen Makronen. Luftig-leichte Makronen, weit entfernt von der oft anzutreffenden Klebrigkeit, durch fröhliche Farben hübsch anzusehen und mit fruchtig-säurigem Innenleben: Maracuja zum Beispiel.
Das faszinierte auch Peter Friese, der vor einigen Jahren für die geplante süße Dependance seines "Schwarzen Kameels" nach möglichen Patisseriespezialitäten Ausschau hielt. Nach dem Vorbild von Hermé gibt es nun in dem 12 m2 großen Shop in der Wiener City süße Köstlichkeiten aller Art in liebevoll designten Verpackungen. Alles wird täglich frisch produziert. Ein besonderer Renner sind die verschiedenen Makronen und die süßen Gläser. Kleine Desserts, die sich als perfektes Mitbringsel eignen: kunstfertige Schokomousse, ein dekonstruierter Apfelstrudel als Creme oder auch verschiedene Fruchtdesserts. Für die Makronen besuchte man sogar die Produktion von Pierre Hermé in Paris. "Wirklich abschauen konnte man sich aber dort nichts", bedauert "Kameel"-Küchenchef Christian Domschitz, der die aus Butter, Zucker, Mandelmehl und Eiklar bestehende Makronengrundmasse in der Herstellung so beschreibt: "Nach dem Verrühren muss man zehn Minuten warten, dann funktioniert’s zehn Minuten lang perfekt, und was du dann von der Masse nicht gebacken hast, kannst du vergessen."
Für Christian Petz ist die Arbeit mit Schokolade die höchste Stufe der Dessertkunst. Im Palais Coburg wird bereits seit Jahren mit Cru-Schokoladen von sämtlichen namhaften Herstellern gearbeitet. Das jeweils verwendete Produkt ist auch penibel auf der Karte angeführt. Eine Rarität in der Restaurantszene, wo nur selten über die Herkunft der verwendeten Materialen Auskunft gegeben wird. "Schokolade
ist eines der wenigen Themen, die in den nächsten Jahren sogar noch ausbaufähig sind. Die Gäste interessieren sich mehr denn je für die verschiedenen Geschmacksnuancen." Wie nur wenige andere Restaurants in Österreich beschäftigt Christian Petz einen süßen Spezialistentrupp. Neben Chefpatissier Thomas Scheiblhofer kümmern sich noch vier weitere Mitarbeiter ausschließlich um die Coburg-Desserts.
Dass das süße Finale bei figurbewussten Gästen auf Ablehnung stößt, kommt seltener vor, als man vermuten würde. "Die Dimension der Portion muss passen", meint Petz, "dann hat sich noch jeder auf ein süßes Finale in mehreren Etappen eingelassen."