Der beste Fisch der Welt

Das Erfolgsrezept des Restaurants Elkano im Baskenland: ein Steinbutt, ein Holzkohlegrill und eine geheimnisvolle Flüssigkeit namens „Agua de Lourdes“.

Text von Christian Grünwald Foto von Christian Grünwald

Der kleine Ort Getaria liegt an der baskischen Atlantikküste, gar nicht so weit von San ­Sebastián entfernt. Viele Häuser und die ­Kirche sind grau bis schwarz, gehen farblich ansatzlos in den Küstenfels über. Über der Stadt liegt ein intensiver geräucherter ­Geruch. Wer von der Küstenstraße eine der kleinen Gassen Richtung Hafen hinuntergeht, erkennt, woher der Geruch kommt. Der Ort ist gesäumt von Grills, die auf der Straße vor den Häusern stehen. Ein Leben ohne Grill ist im Baskenland offenbar undenkbar.

Vor Hunderten von Jahren schon wurden hier die Matrosen ganzer Meeresflotten mit Essen versorgt. Heute sind es neben den Einheimischen jede Menge Feinschmecker, die vom guten Ruf der Fische hier magisch angezogen werden.

An der Hafenmole, dort wo die kleinen Fischer­boote anlegen, steht Aitor Arregui. Der Eigentümer des Fischrestaurants Elkano wartet auf Nachricht, welche Fische und Meeresfrüchte die Fischer seines Vertrauens heute anlanden werden. „Ab Hof“ heißt hier „ab Mole“. Was im Elkano angeboten wird, hängt vom jeweiligen Fang ab. Der gute Kontakt zu den Fischern ist für Arregui existenziell und besteht schon seit Generationen zwischen den Familien im Ort. Die Fischer bestimmen den Preis. Gehandelt wird nicht. Nur so bekommt er die absolut besten Fische. „Vertrauen ist das Wichtigste. Nur wenn ich weiß, woher die Fischer ihren Fang haben, kann ich schon am Telefon die Qualität der Ware einschätzen.“ Aitor Arregui spricht gerne über das sogenannte Terroir des Meeres. Er kennt jede felsige Bucht, jede verborgene Sandbank. „Ganz in der Nähe liegt unser Montrachet“, meint er augenzwinkernd. Tatsächlich sind manche Meereszonen hier, so wie Flächen am Land, durch geografische Lage, Boden und Klima einzigartig und klar ­definierbar.

Sein Vater Pedro Arregui hat vor etwa fünfzig Jahren mit seinem Restaurant eine Benchmark für allerbesten Fisch gesetzt. Niemand sonst bereitete damals Steinbutt, Hummer, Krebse und andere Fische am Grill so meisterhaft zu. Er brachte die Einfachheit zur höchsten Könnerschaft.

Sein Sohn Aitor führt das ihm gegebene Erbe mehr als würdig fort. Er besitzt auch das Verständnis für den Lebensrhythmus und die Sprache des Meeres an dieser Stelle der ­baskischen Küste.

Kauf gut ein und ruiniere das Rohprodukt nicht“, predigte schon sein Vater, der in den Sechzigerjahren die Zubereitung großer Steinbutte am Grill zur Perfek­tion brachte. Ganzen Fisch in der Haut zuzubereiten, war damals noch nicht üblich, er wurde zerteilt, mit reichlich Knoblauch gewürzt und recht trocken gebraten.

Im Elkano werden täglich um elf Uhr vormittags mehrere Grills angefeuert. Am Grill mit der mittelstarken Glut gelingt der Steinbutt am besten. Im Elkano verwendet man möglichst saubere Steinkohle, weil sie das neutralste Aroma abgibt. Der ausgenommene ganze Steinbutt wird beidseitig leicht gesalzen. Dann wird der Fisch in ein Metallgitter mit korbartiger Wölbung eingespannt. Die Vorrichtungen sind seit Jahrzehnten in Gebrauch und verhindern vor allem, dass der Fisch direkt mit den heißen Grillstäben in Kontakt kommt.

Sie sind, ähnlich wie gusseiserne Palatschinkenpfannen, durch die Verwendung mit Öl und Raucharoma imprägniert, bleiben deshalb nicht auf der Steinbutthaut kleben, wie es frisches Metall wohl tun würde.

Der Steinbutt grillt in seiner Haut und nicht auf der Haut. Im Prinzip ist die Regel ganz einfach: Je näher der Fisch an der Glut gart, ohne zu verbrennen, umso besser wird er. ­Jeder Zentimeter ist entscheidend. Die enthaltene Gelatine muss wie Lava in einem Vulkan brodeln. Ist der Fisch zu weit von der heißen Glut entfernt, riskiert man, dass er, eingepackt in der eigenen Haut, mehr bäckt als grillt. Kann man auch ­essen, schmeckt aber nicht so herausragend wie der ­typische Elkano-Steinbutt.

Das Entmutigende für Nachahmer: Je nach Grill, Saison, Fangzeit, Größe, Frische, Lagerung und noch vielen anderen Parametern variieren die nötige Grilltemperatur, die Distanz zum Feuer, die erforderliche Würze und die Zubereitungszeit.

Der über Jahrzehnte bestehende tägliche Kontakt mit den Fischen der Region bringt die entscheidende Sensibilität. ­Aitor Arregui und sein Team haben die jeweiligen Klima­parameter intus, erkennen sie an der Farbe, den Augen und dem generellen Zustand. Wenn das Meer wärmer ist und der Fisch nicht so viel Fett hat, wird der Steinbutt kürzer am Grill belassen und eventuell mit etwas mehr Flüssigkeit behandelt.

Die Grillzeit ist Erfahrung. Die Elkano-Köche brauchen dafür sowieso keine Uhr. Ein Blick reicht, um den Garzustand beurteilen zu können. Wenn aus der Haut lauter kleine Minifontänen herausschießen, ist der Steinbutt optimal am Punkt.

An Würze bekommt der Fisch während des Grillens den hauseigenen Wundersaft, das sogenannte „Agua de Lourdes“. Es besteht aus Öl, Apfelcider, Zitronensaft, einem Hauch Knoblauch und wer weiß was noch. Die genaue Rezeptur ist ein streng gehütetes Geheimnis. Die Mischung wird jeden Abend frisch angerührt, wenn die Mannschaft schon nach Hause gegangen ist. Das Rezept kennen nur Aitor Arregui und seine Mutter Mari Jose sowie Pablo Vicari, der aus ­Argentinien stammende Küchenchef. Das „Agua de Lourdes“ sorgt während des Garprozesses für Feuchtigkeit und gleichzeitig für Würze.

Nach dem Grillen kommt der Fisch auf eine Platte, und die Gräten werden entfernt. Danach wird der Steinbutt ­wieder in Form gebracht und mit „Agua de Lourdes“ beträufelt. Es stellt sich eine Emulsion aus dem ausgetretenen ­gelatinigen Fischsaft und der Gewürzmischung ein. Beilage? Ja, ein Stück Brot vielleicht, um am Ende diesen Saft aufzutunken.

Davor aber geschieht eine eindrucksvolle wie köstliche Anatomievorführung zum Thema Fisch. Jeder Teil des Steinbutts schmeckt anders, ist ein Genuss für sich und wird im Elkano bei Tisch fachkundig zerteilt und kommentiert serviert. Die dunkle Haut an der Oberseite ist recht rau und steinig, während die untere weiße Haut sehr zart ist und eine ganz andere Konsistenz besitzt. Beide Hautteile beherbergen die eigentlichen schneeweißen Filets. Sie sind saftig, fest, muskulös, voll im Geschmack und haben einen betörenden Biss. Das Fischfleisch an der Oberseite ist dicker als jenes an der Unterseite. Die Bauchstücke haben wieder eine etwas andere, nicht so dichte Struktur. Das Fleisch an der oberen Bauchseite kann durch die Nähe zu den Innereien auch leicht bitter sein. Der vielleicht muskulöseste Teil des Steinbutts ist die Nacken-Hals-Region: ein sehr kompaktes, sehr festes Muskel­fleisch. Und da sind die Flossen, die den Steinbutt wie einen Saum umgeben und in den Schwanz übergehen. Teilweise sind die Stücke knusprig gebraten, teilweise besitzen sie durch die ganz eigene Mischung aus Mini-Fleischstücken und der umgebenden Gelatine eine besonders reizvolle Aroma­intensität. Man nuckelt und kiefelt an den Stücken, die fallweise auch so hart sind, dass man sie nicht ganz essen kann. Das gilt auch für die beiden Wangen aus dem Kopf, die mit viel Sorgfalt von ebendort herausoperiert werden.

Auch die Augen und, so vorhanden, die Eier stehen zur Disposition und werden als Delikatesse zelebriert. Man zuzelt an einzelnen Gräten, Finger und Mund kleben vom Saft. Alles vom Fisch und von anderem Meeresgetier ist hier so gut, dass niemand auf die Idee käme, Fischinnereien wegzuwerfen oder gar nicht zu essen. Das Nose to Tail-Konzept erhält hier bei Tisch eine völlig neue Dimension.

Die Legende erzählt, dass Pedro Arregui im Jahr 1967 erstmals einen Seehechtnacken gegrillt und somit das Gastro-Verständnis für Fischköpfe komplett verändert hat. Mittlerweile kosten die Kiemenbacken, auch ­Kokotxas genannt, mehr als der Körper.

Getaria liegt am südlichsten Punkt der Golf-von-Biskaya-Küste. Die Zone wird von einem ­Mikroklima beherrscht, das sich vergleichsweise in höheren Tiefsttemperaturen und etwas weniger Regen bemerkbar macht. Oder anders gesagt: Das oft bemerkenswert schlechte Wetter im Baskenland ist hier einen Tick besser.

Vom freundlichen Wetter an Land bekommt auch das Meer etwas ab, etwa durch die beiden Flüsse Oria und Urola. Die Wassertemperatur beträgt im Sommer durchschnittlich 20 °C. Das ist im erfrischend kalten Atlantik vergleichsweise eine warme Badewanne. ­Zumindest sehen das Fische wie Anchovis, Thunfische und Steinbutte so, die das warme Wasser magisch zum Laichen anzieht. Zusätzlich ist das Meerwasser durch das zugeflossene Süßwasser aus den beiden Flüssen ­besonders reich an Nährstoffen.

Und dann ist da auch noch eine lang gezogene, unter Wasser liegende Sandbank. Der 20 Kilometer lange Abschnitt vor den Orten Mutriku bis Orio ist das ­ideale Biotop für die ersten Lebensphasen von Meeresgetier aller Art. Das sandige Revier ist ein absoluter Kontrapunkt zur von starkem Wellengang geprägten Felsenküste in dieser Zone. In den zerklüfteten Felsen finden Muscheln, Krebse, Oktopusse und Krabben ­einen perfekten Lebensraum. – Wodurch sich das ­maritime Ökosystem bezüglich vorhersehbarer Nahrungskette perfekt schließt.

Die Fischer aus Getaria wissen all das schon seit Generationen. Sie kennen auch alle erdenklichen Einflüsse auf der 40 Kilometer langen Küste zwischen Mutriku und San Sebastián, etwa bei gewissen Mondkonstellationen oder wenn das Wetter überhaupt wieder verrückt spielt. Keine Seltenheit in Zeiten wie diesen.

Gefischt wird an der Küste entweder mit unterschiedlich langen Leinen sowohl mit klassischem ­Köder am Haken wie auch mit Lebendköder. Besonders in der Thunfisch-Saison steht Letzteres am Programm. Steinbutte, Seezungen und Seeteufel gehen in große Schleppnetze, kleinere Fische wie etwa Rot­barben, Drachenfische und Schalentiere verfangen sich in ­bodennah ausgelegten Netzen. Auf Hummer, Krabben, Oktopus und Co warten mit Ködern bestückte Reusen; so wie auch die Txangurro, die hier vorkommenden Spinnenkrabben. Sie schmecken am besten zum Winterende und im frühen Frühling. Aber nur, wenn sie aus felsigem Terroir kommen. Vom sandigen Untergrund ist ihr Fleisch nicht ganz so fest und geschmacklich nicht ganz so ausdrucksstark.

Anchovis verbringen den Winter tief unten im Meer, 100 bis 200 Meter unter der Oberfläche. Im Frühling suchen sie dann nährstoffreiche Gefilde für die Fortpflanzung. Ihr Weg führt sie dann entlang der französischen Küste zum Golf von Biskaya, wo einige Wasserströmungen schon wärmer sind. Innerhalb von drei Monaten soll nach der Eiablage die nächste Anchovis-Generation heranwachsen. Und auch die Fischer warten auf die fortpflanzungsbereiten Fische, die jetzt voll mit allen ihren Kräften ausgestattet sind.

Die eingesalzenen, in Olivenöl eingelegten Anchovis der Fischer aus Getaria zählen zum Besten, was es auf diesem Sektor gibt.

Wenn die Anchovis prächtig und potent hier im Meer schwimmen, ziehen sie auch die Steinbutte magisch an. Sie kommen aus kälteren Meeres­teilen an die vergleichsweise wärmere Küste, fressen Unmengen von ­Anchovis, um so für die Fortpflanzung an Kraft zu gewinnen. „Weibchen, die im Mai und Juni in einem Alter von zwei oder drei Jahren gefangen werden, sind die besten“, weiß Aitor Arregui. Das kalte Wasser macht das Fleisch begehrenswert fest. Je wärmer das Wasser, desto mehr Gewicht, Fett und Geschmack gehen verloren.

Entscheidend beim Fang sind auch die Netzgröße und der Zeitpunkt. Der erste Fisch im Netz stirbt auch als erster, wird eventuell von der Masse erdrückt, während die letzten gefangenen Fische nur ganz kurze Zeit vom Fang bis zur Anladung hinter sich brachten. Das sind dann meistens die perfekten Exemplare. „Und das ist dann unsere Ware“, sagt Aitor Arregui.

Elkano
Herrerieta, 2, E-20808 Getaria,
Tel.: +34/943/14 00 24
www.restauranteelkano.com