Rettet das Mittagessen!

Nicht nur in der Stadt, vor allem in den alpinen Regionen ist es mittags unmöglich, etwas wirklich Gescheites zu essen zu bekommen.

Text von Alexander Rabl/Foto von picturedesk

Es ist 13 Uhr, der Champagner perlt im Glas. Das Restaurant ist bis zum Anschlag voll, leise besprechen Service und Gäste die Speisenfolge. Unter ihnen viele junge Leute, oft von weither angereist. Die Genießer haben sich für den langen Mittag frei ­genommen, sie schlagen der Geschäftigkeit ein Schnippchen, nehmen sich aus dem Alltag raus. Mittags schmeckt es am besten. Die Sinne sind wach, Aromen, Gerüche und Geschmäcker glänzen jetzt heller als am Abend. Schließlich: Der ­Magen dankt es, wenn der Hauptgang nicht erst um 22 Uhr zu sich genommen wird. Der gepflegte Mittagstisch, ob in der Stadt oder am Wochen­ende auf dem Land, ist ein wertvolles Kulturgut. Und es ist in Gefahr. Denn da draußen, vor dem Restaurant warten die Feinde.

Sie hören auf so anheimelnde Namen wie beispielsweise „Compliance“, die Anregung zur Zurückhaltung, welche ursprünglich erfunden wurde, um die Ausschweifungen der Betriebsräte von VW und der Lobbyisten der Pharmaindustrie einzubremsen. Es pflanzte sich aber bald wie ein Virus fort, vom Vorstand in die Kreise einfacher Mitarbeiter oder Freelancer. Eine Essenseinladung, die mehr als das Überlebensnotwendige kostet, ist den meisten Mitarbeitern der Indus­trie, von Medienunternehmen oder auch von Krankenhäusern nicht mehr erlaubt. Das verdirbt den Appetit. Und das Geschäft einer einstmals florierenden Mittagsgastronomie.

Effizienz lautet das Zauberwort in Firmen, die stolz darauf sind, wenn Chefs und Mitarbeiter mittags gemeinsam ihren Burger oder den Salat einnehmen und dabei darauf achten, dass die Tastatur nicht zu viel Ketchup oder Marinade abbekommt. Ausgiebige Mittagessen sind etwas für die Feinde des Systems.

Personalkosten im Restaurant sorgen dafür, dass die Gastronomen selbst eine Menge an Vorwänden finden, mittags nicht aufzusperren. Ob die Idee, dass der Mittagsgast, der vor verschlossener Türe steht, abends wiederkommt, aufgeht, darüber gibt es einstweilen zu wenige Erkenntnisse.

Im Westen Österreichs konkurrieren Natur und Spitzengastronomie um die Zuneigung der Gäste. Zumindest heißt es so. Warum in den französischen Alpen fast alle Spitzenrestaurants auch mittags geöffnet haben, lässt sich aus diesem Erklärungsmodell freilich nicht ableiten. Vielleicht haben die Menschen dort und die Be­sucher kein Auge für die Schönheiten und Attrak­tionen der Natur?

Dafür schafft es Geiz, den unsere und die deutschen Landsleute geiler finden als YouPorn, auf die Speisekarten. Mittagsmenüs unter neun Euro gelten vielerorts als Maßstab, ein Akt der Selbstaufopferung von Cafés und anderen Lokalen.

Das Missverständnis: Gutes Essen ist gleich Fine Dining – damit hat das Problem begonnen. Für viele Gäste, die man abends in den Restaurants beim Essen beobachtet, vor allem, wenn es sich um Pärchen handelt, scheint der Besuch im gehobenen Restaurant eine Pflichtübung zu sein. Etwas, was man an manchen Terminen im Jahr, an Geburtstagen oder anderen Jubiläen, zu absolvieren hat. Die gepflegte Dekadenz eines mehrstündigen Mittagessens ist ihnen fremd.

In Paris, ob im schicken Comptoir in St. Germain oder bei Alain Passard in seiner Arpège, drängen sich mittags die Gäste. Sie wählen je nach Laune und Preislage aus mehreren Gängen. Ein Glas oder eine Flasche Wein sind nicht undenkbar. Die Stimmung ist hervorragend. Viele Restaurants bieten nach wie vor sogenannte „Formules“, günstige ­Déjeuners, auch Ducasse im Plaza Athénée und ­Pierre Gagnaire tun das. Zu Hause zu bleiben oder zu verzichten gilt auch in angespannten Zeiten zwischen Terror und Streiks nicht.

Wobei: Das goldene Zeitalter haben die Pariser nach Wirtschaftskrise und Terroranschlägen hinter sich. Yannick Alléno versuchte es im Pavillon Ledoyen einmal mit einem Gang aus dem À-la-carte-Angebot, zu unwiderstehlichen € 70 der (Mittags)-Teller. Das Beste in weniger als einer Stunde, war die Idee. Zur Zeit lockt er mit einem Mittagsmenü um sagenhaft günstige 145 Euro für fünf Gänge.

In Spanien, etwa im Baskenland, aber auch in den Hotspots rund um Barcelona ist um 14 Uhr Zeit fürs Mittagessen, das bis 19 Uhr dauern wird. Auf die Idee, ein Restaurant mittags zuzusperren, kommen die spanischen Köche nur in Ausnahmefällen. In London bersten die besten Adressen mittags ebenfalls vor Gästen, ohne Anmeldung keine Chance auf einen Tisch. Viele der umschwärmten und berühmten Restaurants Österreichs hingegen befinden sich um die Mittagszeit im Tiefschlaf.

Den Restaurants hilft das Zusperren mittags, Kosten zu sparen. Der Esskultur einer Region ist es hingegen abträglich, wenn ein Teil der Oberliga nur abends den Herd anwirft. Dabei wäre mittags durchwegs gutes Geschäft zu machen.

Das Tantris in München war zum Mittagessen immer voll, bei Tim Raue in seinem gleichnamigen Lokal in Berlin tummeln sich samstagmittags die Väter im Kapuzenpullover mit den Müttern ihrer Kinder, die selbstverständlich auch mit am Tisch sitzen. Würden die beiden Restaurants beschließen, mittags zu schließen, ein Aufstand wäre die Folge.

Frage an Heinz Reitbauer, wie sich das Mittagsgeschäft in den vergangenen Jahren verändert hat: „Da gab es einen Wandel. Die Geschäftsessen im Steirereck sind zurückgegangen, das ist nur die Topliga, die kommt, die Generaldirektoren. Wir haben den Verlust an Geschäftsessen wettgemacht mit Gästen, die nur ­wegen des Essens kommen. Wir sind enorm gut gebucht zu Mittag.“ Geschäftsesser? Sie tafeln jetzt einen Stock tiefer, in der günstigeren und casual bespielten Meierei. Dort isst das mittlere Management Wiener Schnitzel, trinkt dazu Soda-Zitron und beäugt einander misstrauisch, ob vielleicht doch jemand ein Glas Wein ordert. Das gute Mittagessen im besten Restaurant ist auch den Reitbauers selbst ein Bedürfnis, wenn sie unterwegs sind. „Wir selbst gehen, wenn wir im Ausland sind, sehr gerne mittagessen. Man hat irgendwie mehr davon“, sagt Heinz Reitbauer.

In der Stadt entdecken auch andere Restaurants den Mittagsgast, etwa das Tian, das Mittagsgäste mit einem ausgeklügelten Sortiment an frisch und im Haus produzierten nicht­alkoholischen Drinks lockt. Generell scheint zu gelten: Wenn das Angebot da ist, kommen die Gäste. Und bleiben auch mal länger.

Mittagessen auf hohem Niveau

Saag Ja
Am schönsten ist es in der warmen Jahreszeit. Aber Hubert Wallner und sein Team empfangen ihre Mittagsgäste auch in der Nebensaison, von denen nicht wenige gleich mit dem Boot anreisen.

Obauer
Eine der wenigen Ausnahmen in der Alpenregion. Die Brüder Karl und Rudi Obauer, seit zwei Jahren perfekt assistiert von Berthold Obauer, bieten zu Mittag auch preiswerte Menüs und bodenständige Gerichte.

Landhaus Bacher
Ganz, wie es die Tradition eines großen Hauses vorsieht: Ausgedehnte Mittagessen waren und sind hier immer möglich. Und Thomas Dorfer ist zu jeder Tageszeit in Hochform.

Steirereck im Stadtpark
Der Lunch im Steirereck war immer schon legendär. Wo früher Geschäftsleute, ­Politiker und Spesenritter tafelten, trifft man heute auf weitgereiste Foodies.

Konstantin Filippou
Filippous Restaurant ist mittags regel­mäßig bis auf den letzten Platz ausgebucht. Von einer Mittagsflaute des Fine ­Dining ist hier nichts zu bemerken.

Tian
Österreichs bestes vegetarisches Restaurant ist auch mittags geöffnet. Leichte und bekömmliche Kreationen und ein raffiniertes Angebot an nichtalkoholischer Begleitung sind Argumente.

Chef’s Table im Schualhus
Eine feine Ausnahme in den Alpen bietet seit Neuestem der Chef’s Table in Zug. Der Vorteil: Man kann bequem von weiter her anreisen und wieder abreisen, ohne im ­ohnehin fast immer ausgebuchten Hotel wohnen zu müssen.