Wer hat Angst vor Ziege?

Von allen Nutztieren wird die Ziege am allerwenigsten genutzt. Was genau genommen ein Skandal ist.

Text von Georges Desrues/Foto von Georges Desrues

Es ist immer wieder dieselbe unangenehme Tatsache, die die Käsemacherin Monika Liehl den vielen Vegetariern unter ihren Kunden vor Augen führen muss. Nämlich dass es aus ethischen Gründen kaum Sinn ergibt, Ziegenkäse zu essen und gleichzeitig auf Ziegenfleisch zu verzichten. „Bekanntlich muss ­jedes Muttertier trächtig sein, bevor es Milch gibt“, sagt Liehl, „und naturgemäß wirft es im Schnitt gleich viele weibliche wie männliche Jungtiere. Nun stellt sich die Frage: Wenn man an die Milch ihrer Mütter will, was sollte man denn tun mit den männlichen Kitzen, wenn nicht schlachten und essen?“

Dieselbe Frage stellt sich freilich auch bei allen anderen Nutztieren. Mit dem bedeutenden Unterschied, dass es für Fleisch von Kalb, Lamm und Ferkel auch einen Markt gibt, jenes von Ziegenkitz genau wie von Ziege hierzulande aber nur äußerst selten auf den Tisch kommt. Dabei steigt der Ziegenbestand in Österreich seit vielen Jahren kontinuierlich. Beispielsweise von 55.000 Stück im Jahr 2005 auf über 90.000 Stück im Jahr 2017.

Die starke Zunahme der Ziegenpopulation spiegelt die steigende Nachfrage an Produkten aus Ziegenmilch wider. Wer in den 1980er-Jahren aufwuchs, wird sich erinnern, dass Ziegenkäse ­damals noch als etwas Exotisches galt, er nur in spezialisierten Käseläden erhältlich war oder von Reisenden aus Ländern wie Frankreich mitgebracht wurde. Das hat sich drastisch geändert. Inzwischen führt so gut wie jeder Supermarkt in allen Ecken des Landes Joghurt, Topfen, Käse-Rollen, -Pyramiden, -Gupferln und sonstige Produkte aus Ziegenmilch. Was sicher zum Teil am ­Geschmack liegt, aber mindestens noch zwei weitere Gründe hat. Einer davon ist, dass eine wachsende Zahl an Menschen Ziegenmilch besser verträgt und leichter verdaut als Kuhmilch. Und ein anderer das vielfach verklärte Image von Naturnähe, Tierfreundlichkeit und Kleinbäuerlichkeit, das der Ziegenzucht anhaftet.

„Aus irgendeinem Grund glauben viele, dass es für Ziegen so etwas wie Massentierhaltung gar nicht gibt“, sagt die Ziegenzüchterin Liehl, „dabei gibt’s die sehr wohl, wenn auch nicht in Österreich.“ Denn in Ländern wie etwa den Niederlanden oder Frankreich wird schon seit Langem Ziegenkäse im großen Stil und auf industrielle Weise hergestellt. Dabei müssen die Erzeuger auf Tricks zurückgreifen, um den natürlichen Reproduktions-Zyklus der Tiere zu verändern und den Käse ganzjährig anbieten zu können.

„Normalerweise stehen Ziegen in den Wintermonaten trocken“, erklärt Liehl, „was bedeutet, dass, wenn sie ab Sommer für fünf Monate trächtig werden, sie ab November und bis ungefähr Anfang Februar, wenn sie werfen, keine Milch geben.“ In industriellen Betrieben allerdings hält man die Tiere bei künstlichem Licht, dadurch nimmt man ihnen das Zeitgefühl und sie können das ganze Jahr über befruchtet und infolge gemolken werden.

Da man die Tiere auch in solchen Großbetrieben nur wegen ihrer Milch und so gut wie gar nicht wegen ihres Fleisches züchtet, wird ihr männlicher Nachwuchs häufig gleich nach der Geburt eingeschläfert und entsorgt beziehungsweise zu Hundefutter verarbeitet. Eine Praktik, die in einer Welt der schwindenden Ressourcen und des erklärten Kampfes gegen Lebensmittelverschwendung in Wahrheit kaum zu akzeptieren ist.

Für Liehls kleinen Betrieb im burgenländischen Parndorf indessen hat der alljährliche Nachwuchs im Frühjahr zumindest den Vorteil, dass er auf die Zeit um Ostern fällt. Auf den einzigen Zeitpunkt im Jahr also, an dem Fleisch vom Ziegenkitz nachgefragt wird. Meistens aber bleibt die Züchterin dennoch auf zumindest einem Teil ihres Fleisches sitzen. „Es sind immerhin an die dreißig männliche Kitze, die wir dann schlachten müssen. In der Regel ist es nicht einfach, die alle in der kurzen Zeit um Ostern zu verkaufen“, sagt Liehl.

Außerdem müssten ja nicht nur die Kitze geschlachtet werden, sondern bisweilen auch Muttertiere. „Es kommt immer wieder vor, dass eine Ziege zu alt wird oder aus sonst einem Grund keine Milch mehr gibt, dann müssen wir wohl oder übel auch unter dem Jahr schlachten“, sagt die Züchterin und Käsemacherin, die ihren Beruf noch nicht allzu lange Zeit ausübt. Sie arbeitete als Finanzdienstleis­terin, bis sie sich vor zehn Jahren ­dazu entschloss, in den von der ­Familie ihres Mannes geerbten burgenländischen Streckhof zu ziehen und sich mit Leidenschaft und Hingabe der Haltung von Ziegen und der Erzeugung von Rohmilchkäse zu widmen.

In ihrem Hof aus dem 19. Jahrhundert erhält sie immer wieder Besuch vom Wirt und Spitzenkoch Max Stiegl vom Restaurant Gut Purbach im gleichnamigen Ort, etwa eine halbe Autostunde von Parndorf gelegen. Stiegl sei einer der wenigen Gastronomen, der das ganze Jahr über Ziegenfleisch von ihr beziehe, beteuert Liehl.

„Für mich zählt Ziege zum besten Fleisch überhaupt“, betont der Wirt, während er im Hof die Tiere begutachtet. „In Wahrheit steht es Lamm- und Schaf­fleisch in nichts nach und kann auch genauso zubereitet werden.“ So eigne sich junges Kitz vorzüglich zum Braten und Kurzbraten, ältere Milchziegen wiederum zum langsamen Schmoren, wie etwa für Ragouts und Currys. Und dann seien da freilich noch die wunderbaren Innereien, die man auf alle möglichen Arten zubereiten könne, sagt der Koch, der bekannt dafür ist, immer das gesamte Tier zu verarbeiten.

Tatsächlich reicht ein Blick in die kulinarischen Traditionen anderer Länder, um zu erkennen, wie vielfältig sich Ziegenfleisch verarbeiten lässt. In den Küchen des Nahen Ostens, Asiens, Afrikas, Mexikos, der Karibik, aber auch Sardiniens und Spaniens ist es geradezu allgegenwärtig. Doch auch in Österreich muss es einst eine Tradition in der Haltung von Ziegen und ihrer Verwertung gegeben haben. Allein schon dadurch belegt, dass die Gletschermumie vom Similaun, auch Ötzi genannt und in gewisser Weise Ur-Österreicher, kurz vor ihrem Tod Ziegenfleisch gegessen hat, wie Wissenschaftler beteuern.

Die heimische Tradition der Ziegenzucht zeigt sich auch in den diversen lokalen Rassen, die zum Teil bis heute erhalten sind. Darunter etwa die braunfärbige Pinzgauer Ziege, die gefleckte Steirische Scheckenziege, die buntgefärbte Tauernschecken Ziege oder die schwarzweiße Pfauenziege.

Noch wichtiger aber als die Rasse sei selbstverständlich die Ernährung, betont Liehl. „Manche Betriebe füttern ihre Tiere mit Abfällen, was sich freilich in Geruch und Geschmack nicht nur der Milch, sondern auch des Fleisches widerspiegelt. Deswegen verabreichen wir ihnen ausschließlich Biofutter, nämlich Luzerne und Heu und etwas Hafer während des Melkens“, so
die Züchterin Liehl.

Im Restaurant Gut Purbach hat Max Stiegl inzwischen ein Menü aus Ziegenfleisch zusammengestellt. Zur Vorspeise gibt’s Ziegenleber, im Tempurateig gebacken, sowie Curry von Ziegenherzen mit Wurzel­gemüse, Enoki-Pilzen und Bottarga, also luftgetrockneten Eiern vom Karpfen. Und als Hauptgang den knusprigen und genau am Punkt gebratenen Rücken der Ziege. Das seien aber alles nur Beispiele, denn in Wahrheit gebe es etliche weitere Möglichkeiten, Rezepte und Geschmacksprofile, die einem Koch weitgehende Freiheit ließen, je nach Fleischteil zu experimentieren. Nur beim Braten müsse man ein wenig aufpassen, betont Stiegl.

„Denn aus irgendeinem Grund schicken viele Gäste das Fleisch ­zurück, wenn es nicht durchgebraten ist“, sagt er, „dabei sind das dieselben Gäste, die bei Lamm darauf bestehen, dass es schön rosa daherkommt.“ Was vermutlich daran liege, dass viele mit Ziegenfleisch einfach noch zu wenig vertraut ­seien. Aber genau darum gehe es ja, nämlich die Gäste daran zu gewöhnen und ihnen den Geschmack näherzubringen. Denn durch nichts ist den Ziegenmilchproduzenten und Züchtern mehr geholfen als durch die Aufwertung des Ziegenfleischs.

Ziegenliebe, Monika Liehl
Friedhofstraße 10, 7111 Parndorf
Tel.: 0699/18 98 00 10
www.ziegenliebe.at

Gut Purbach
Hauptgasse 64, 7083 Purbach am Neusiedler See
Mo. 18– 21, Do., Fr., Sa. 12–14 und 18–21, So 12–18 Uhr
Tel.: 02683/560 86
www.gutpurbach.at