Der Schmied der Köche

Spitzenköche aus aller Welt reißen sich um die handgefertigten Messer des Italieners Michele Massaro. Der Schmied selbst sieht den Grund seines Erfolgs auch im wachsenden japanischen Einfluss auf die europäische Küche.

Wasser sei für ihn fast noch wichtiger als Feuer, sagt der Schmied Michele Massaro und stellt sich breitbeinig über den Kanal hinter seinem Haus, um eine Klappe hochzuziehen. Augenblicklich strömt das freigegebene Wasser zwischen seinen Beinen hindurch und ergießt sich hinunter ins Mühlrad. Plötzlich gerät alles in Bewegung. Drinnen in der Schmiede scheint es, als hätte ein gewaltiges, gerade noch still stehendes Uhrwerk die Arbeit aufgenommen. Räder beginnen sich zu drehen, Bänder zu spannen, Hämmer zu klopfen. Massaro strahlt und geht hinein ins Haus, um in einer Feuerstelle die Flammen anzuheizen.

Errichtet wurden der Kanal rund um die Schmiede und das Städtchen Maniago am Fuße der Friauler Dolomiten bereits im 15. Jahrhundert. Damals, einige Jahrzehnte nachdem die Gegend an die Republik Venedig gefallen war, erhielt der Graf Nicolò di Maniago vom Dogen die Genehmigung, die Wasser des Torrente Còlvera umzuleiten, um Energie für die Mühlen der Stadt zu gewinnen.

Bald darauf eröffneten etliche Schmieden, die Waffen für die Soldaten der Serenissima herstellten und schließlich, als das Zeitalter der Hieb- und Stichwaffen sein Ende nahm, auf die Erzeugung von Messern um­sattelten. Für sie ist Maniago – Beiname „Stadt der Messer“ – bis heute bekannt. Wenngleich es inzwischen nur mehr einen einzigen Schmied in der Gemeinde gibt, der per Hand und vom Stahl weg schmiedet. Und das ist Michele Massaro.

„Alle anderen haben längst auf industrielle Fertigung umgestellt, ­arbeiten mit Lasern und moderner Mechanik, aber nicht mehr handwerklich“, sagt der Schmied, der eigentlich gelernter Vermessungstechniker ist und erst vor etwas mehr als drei Jahren sein Hobby zum Beruf machte. „Was nicht bedeuten soll, dass industriell erzeugte Messer unbedingt minderwertig sind“, fährt Massaro fort, „eigentlich im Gegenteil. Denn das Handwerk der Messerschmiede ist in Europa fast gänzlich ausgestorben. Und zwischen einem schlechten handwerklichen und einem guten industriellen wählt man doch eher Letzteres.“

Das sei auch der wesentliche Unterschied zu Japan, wo die handwerkliche Tradition über Jahrhunderte bewahrt worden sei und der richtige Schnitt schon lange zur japanischen Küchentradition gehöre. „Es ist ja erst seit einigen Jahren so, dass die Ästhetik des Schnitts und des darauf beruhenden Anrichtens auch unter europäischen ­Köchen eine immer bedeutendere Rolle spielt“, sagt der Vierzigjährige, der mit Lockenkopf, runder Brille und mächtig aufgezwirbeltem Schnurrbart allein schon optisch das Zeug zum Original mitbringt.

Wie alle hier in Maniago ist auch er im Bewusstsein der Tradition aufgewachsen. Von Kindheit an haben ihn das Schmieden von Stahl und die Erzeugung von Messern fasziniert. Und so verbrachte er viele Stunden in der Schmiede der Brüder Lenarduzzi und erlernte das Handwerk. Die Schmiede selbst stammt aus dem 15. Jahrhundert und war seit damals und bis ins Jahr 1992 in Betrieb, bevor die Brüder in Pension gingen und nur mehr für ein paar Stammkunden arbeiteten. Im Jahr 2015 kaufte schließlich Massaro das stei­nerne Gebäude inklusive Mühle, rußgeschwärzten Wänden und den wasserbetriebenen Maschinen, die hier seit vielen Jahrzehnten stehen.

Das Betreten der Antica Forgia Lenarduzzi ­gerät ein wenig zur Reise in die Vergangenheit. Man fühlt sich wie in einer Höhle, die seit ewigen Zeiten zu nichts anderem dient als zum Erhitzen und Schlagen von Stahl. An den Wänden hängen unzählige Metallteile, Zangen, Hämmer, Äxte, Messer und Schleifsteine. Durch kleine Öffnungen in der Steinmauer dringt etwas Tageslicht durch den Ruß, den Generationen von Schmieden erzeugten und der sich seit Jahrhunderten hier ansammelt.

„Das hier wird das Messer“, sagt Massaro, als er mit einer langen Zange einen Würfel aus glühendem Stahl aus der Feuerstelle holt und ihn unter den ­hy­draulischen Hammer legt, den er mit seinem Fuß betätigt. Funken sprühen. Bei jedem lauten Schlag verlängert und verschmälert sich die Form des Stahls.

Was so einfach aussieht, verzeiht in Wahrheit keine Fehler. Ein einziger falscher Schlag, und er müsste alles von Neuem beginnen. „Der Hammer stammt aus dem beginnenden 19. Jahrhundert. Ich arbeite weitgehend auf dieselbe Art damit wie alle jene vor mir. Mit dem Unterschied, dass ich am Schluss die Abdrücke des Hammers nicht entferne, sondern sie auf dem Messer belasse“, sagt der Schmied. Eine Technik, die man „Brut de Forge“ nennt und die einen optischen Effekt bewirkt, der zu Massaros Markenzeichen zählt.

Nicht mehr als einen Tag wird der Schmied an so einem Messer arbeiten. Und kosten wird es in seiner schlichtesten Ausführung gerade einmal 250 Euro. Warten darauf muss man allerdings ab Bestellung mindestens zwei Jahre. Denn Massaros Auftragsbuch ist gut gefüllt. Ein großer Teil von Italiens Spitzenköchen kauft bei ihm. Und auch im Ausland wächst das Interesse. „Einer meiner ersten Kunden war der Koch Pier Giorgio Parini. Er wollte fünf Messer, die so geformt waren, dass er damit alle Aufgaben in der Küche erfüllen konnte. Vom Filetieren einer Sardelle bis hin zum Entbeinen einer Ziege“, erzählt Massaro. Dem Koch Parini, der zu den am meisten gefeierten Talenten Italiens zählt, folgten weitere ­nationale Küchen-Kapazunder.

Darunter etwa die Friauler Sterneköchin Antonia Klugmann; der in seiner Heimat hochverehrte Philosoph unter den Köchen, der Toskaner Fulvio Pierangelini; der Dreisternekoch aus Alba ­Enrico Crippa; der Wahl-Mailänder Yoji Tokuyoshi, der neun Jahre lang Massimo Bottura als Souschef diente; oder auch der gebürtige Argentinier Mauro Colagreco, dessen Restaurant Mirazur im franzö­sischen Menton drei Michelin-Sterne hält und auf der The World’s 50 Best Restaurants-Liste an dritter ­ Stelle rangiert.

„Micheles Messer sind echte Kunstwerke“, schwärmt Colagreco, „er arbeitet mit althergebrachten Techniken, die Teil seiner Kultur, seiner Geschichte und seines Terroirs sind, allerdings mit zeitgenössischem Zugang.“ Zudem zählten die Messer zu den besten, die überhaupt erhältlich seien und zeugten von einer intensiven Beschäftigung von Seiten des Schmieds mit ihrem Verwendungszweck, so der Starkoch. Und auch die Friaulerin Antonia Klugmann aus dem Weingebiet Collio lässt ihrer Begeisterung freien Lauf, wenn sie von Massaros Arbeit spricht. „Als ich die Messer zum ersten Mal bei meinem Freund Pier ­Giorgio Parini sah, fiel mir sofort auf, wie stark sie sich von den industriellen unterscheiden, an die ich gewöhnt war“, sagt die Köchin, die durch die TV-Serie Masterchef zu italienweiter Berühmtheit gelangte. „Anfangs hatte ich sogar Angst, sie zu beschädigen. Deswegen zögerte ich, welche zu bestellen.“

Das tat sie dann schließlich doch. „Ich denke, dass Michele erkannte, dass ich eine Köchin bin, die gerne in der Küche steht. Und ihm gefiel die Idee, dass seine Messer in seiner Heimat Friaul bleiben würden. Gemeinsam haben wir sie nach ­meinen Bedürfnissen gestaltet und das Holz für die Griffe ausgewählt“, so Klugmann. Inzwischen ist sie stolze und dankbare Besitzerin mehrerer Messer, darunter ein universell einsetzbares, das sie für Gemüse, rohes Fleisch und Fisch benützt; und ein längeres, mit dem sie Gegartes schneidet. Letztgenanntes sei zwar ihr größtes und schwerstes, aber von Gewicht und Länge her dennoch perfekt an die Bedürfnisse einer Frau angepasst, betont die Köchin.

Über solche Komplimente freut sich der Schmied ­natürlich. „Für mich ist der Koch jener Handwerker, dessen Aufgabe es ist, die Arbeit anderer Handwerker zusammenzufügen. Deswegen bemühe ich mich, so sehr wie möglich auf die Köche einzugehen, schau mir ihre Gerichte, ihre Handgriffe und Schnitte genau an, bevor ich die Techniken, die mir zur Ver­fügung stehen, so einsetze, dass sie ihre ­Ideen bestmöglich verwirklichen können.“ Denn es gebe nun einmal verschie­dene Möglichkeiten, seine ­eigenen Gedanken und Gefühle auszudrücken. Ob als Künstler, Handwerker, Koch oder Schmied – wichtig sei bei jedem dieser Berufe vor allem eines, betont Massaro. Nämlich dass man ihn in erster Linie ausübe, um etwas zu vermitteln. Und sicher nicht, um etwas zu beweisen oder jemanden zu ­beeindrucken.

Antica Forgia Lenarduzzi
Via tesana nord, 75
Tel.: +39/348/911 28 02
www.michelemassaro.com