Refugees welcome: Kitchen Aid

Jeder der Asylwerber hat ein Handy – und sie alle zücken es, als Roland Trettl das Wort Karotte auf einen Zettel schreibt und ihn auf geschnittene Karotten legt. „Ka-ro-tte“, sagt Trettl, „Ka-ro-tte“, wiederholen die Flüchtlinge und Knipsen mit ihren Smartphones das Gemüse und den Zettel mit der deutschen Bezeichnung darauf. „Womit bewiesen wäre, dass so ein Handy auch zum Erlenen der Sprache dienen kann“, sagt Trettl und lächelt zufrieden.

Text & Fotos Georges Desrues

An einem verregneten Spätsommertag ist der geräumige Parkplatz in der Skistation Angertal völlig verlassen, die Skilifte rundherum saisonbedingt stillgestellt. Alles scheint wie ausgestorben, statt Touristen und Schnee nur Regen und nasses Grün – und die etwas verloren wirkenden über dreißig Asylwerber aus Syrien, Irak, Afghanistan, Pakistan und Somalia. In einer sogenannten Skihütte, die in Wahrheit ein modern ausgestattetes Selbstbedienungs­lokal ist, werden sie von Trettl im Gemüseschneiden und ganz nebenbei auch in Deutsch unterrichtet. „Über die Medien habe ich mit­bekommen, dass Sepp Schellhorn Flüchtlinge bei sich aufgenommen hat und dafür angefeindet wurde, da habe ich ihn angerufen und gefragt, wie ich ihm helfen könnte“, sagt der gebürtige Südtiroler, der über zehn Jahre im Salzburger ­Restaurant Ikarus gekocht hat. Von Trettl selbst stammt die Idee, die insgesamt 34 jungen Männer im Kochen und Servieren auszubilden, sodass sie, sollte ihr Asyl­antrag angenommen werden und sie eine Arbeitserlaubnis erhalten, gleich etwas beherrschen, das ihnen die Arbeitssuche in Österreich erleichtern würde. „Bis zu sechs von ihnen könnte ich selbst anstellen“, sagt Schellhorn.

Der Wirt und Hotelier betreibt gleich mehrere Lokale, neben diesem auch sein Stammhaus Der Seehof in Goldegg und das M32 am Salzburger Mönchsberg. Zudem besitzt er in Gastein ein Haus, in dem in der Wintersaison seine Mitarbeiter wohnen. Genau wie das Selbstbedienungslokal wird es im Sommer nicht genutzt, also kam Schellhorn die Idee, bis zum Beginn der Skisaison die Flüchtlinge darin unterzubringen. „Wie vorgeschrieben, habe ich mein Quartierangebot bei der zuständigen Stelle in der Landesregierung angemeldet. Zwei Wochen später waren die Asylwerber hier“, erzählt er. Und das offenbar sehr zum Missfallen von Teilen der ­Gasteiner Bevölkerung und ihres Bürgermeisters. „Der Bürgermeister hat getobt“, sagt Schellhorn, „er wollte mit allen Mitteln verhindern, dass die Asylwerber hier ­untergebracht werden, ich habe ihn mehrmals um ein Gespräch gebeten, aber offenbar ist er an Deeskalation nicht interessiert.“

Seit Juni sind also die 34 Männer in Bad Gastein, arbeiten dürfen sie nicht, Geld haben sie kaum. ­Dafür aber ihre Handys, die sie verwenden, um über das Internet mit ihren Familien zu kommunizieren oder um Selfies zu schießen vor den Wasserfällen und den für sie exotisch anmutenden üppig grünen Wälder und Wiesen der Salzburger Alpen. „Sie sind in zwei Postautobussen gekommen“, erzählt Schellhorn, „in Flipflops und kurzen Hosen mit nur einem Plastiksackerl in der Hand. Der Busfahrer hat mich einen Zettel wie einen Lieferschein unterschreiben lassen und war wieder weg.“ Da stand also der Koch und Hotelier mit ein paar Mitarbeitern vor über 30 nichtbetreuten Flüchtlingen, ohne irgendjemand mit der nötigen Kompetenz, der ihm erklären würde, wie mit den Menschen umzugehen sei, der ihn beraten, unterstützen oder orientieren könnte.

Zum Glück arbeitet Schellhorn bereits seit langem mit solchen Flüchtlingen, denen Asyl und damit eine Arbeitserlaubnis gewährt wurde. Einer von ihnen, ein Afghane, hat es sogar zum Souschef im Salzburger M32 gebracht. Ein weiterer aus Syrien arbeitet als Pizzakoch in Bad Gastein. Sie hat Schellhorn gebeten, ihm als Dolmetscher beizustehen. Infolge hat jede der Volksgruppen einen Sprecher bestimmt, der für sie auch das Einkaufen von Lebensmitteln übernimmt, damit nicht alle gemeinsam in der Ortschaft rumhängen und die Einheimischen womöglich noch mehr verschrecken. „Beim Fastenbrechen am Ende des Ramadans Mitte Juli hatte sich die Situation dann etwas beruhigt“, erzählt Schellhorn, „die Flüchtlinge haben aufgekocht und ein Fest veranstaltet, sogar ein paar Gasteiner sind gekommen und haben mitgefeiert.“ Keinesfalls erleichtert wird die Situation dadurch, dass es sich bei den Asylwerbern ausschließlich um Männer handelt. „Ich weiß schon, dass in erster Linie junge Männer kommen, weil oft nur die Stärksten sich die Reise antun und die Strapazen bewältigen“, sagt Schellhorn, „dennoch hätten ein paar Frauen und Kinder mit Sicherheit dazu beigetragen, die Gasteiner zu beruhigen.“

Inzwischen erhalten die Leute Deutschkurse; und jetzt eben auch diesen Koch- und Servierkurs, den Trettl Schellhorn vorgeschlagen hat. Mit von der Partie ist auch Roland Dolschek, Hotelier aus Zauchensee und Schulfreund Schellhorns. „Ich wollte helfen und dachte mir, ein paar Grundlagen des Kellnerberufs könnten ihnen nicht schaden, wenn sie schon in so einer Touristengegend sind“, sagt Dolschek. Nachdem alle zusammengekommen sind im geräumigen Speisesaal der Skihütte, erklärt Schellhorn das Konzept. Wer kochen will, kann in die Küche, wer lieber servieren möchte, bleibt hier. Die Flüchtlinge springen auf, sichtbar darüber erleichtert, der Lethargie des Nichtstuns zu entfliehen – wenn auch nur für ein paar Stunden. Gut die Hälfte fasst Kochschürzen aus, die Roland Trettl verteilt, die restlichen scharren sich um Dolschek. „Angemeldet für den heutigen Kurs hatten sich 20 von ihnen“, sagt Schellhorn, „gekommen sind dann aber doch alle 32, es fehlen also nur die zwei, die gerade beim Arzt sind.“ Während Dolschek der einen Gruppe Männer erklärt, wie man drei Teller auf einer Hand trägt, wie man ein Weinglas anfasst und ein Servier­tablett hält, lässt Trettl in der Küche schon mal das ­Gemüse schnipseln, die Eierschwammerln putzen, die Zwiebeln hacken. Gekocht wird eine kräftige Rindsuppe, Pasta mit Tomatensauce, Eierschwammerlrisotto mit Gemüse und Kaspressknödel.

Besonderen Eifer an den Tag legt ein junger Afghane mit leuchtend grünen Augen namens Massud. Zwei ganze Monate war er unterwegs, um über den Landweg von seiner Heimat nach Österreich zu gelangen. „Fünf Jahre habe ich für die amerikanischen Besatzungssoldaten als Dolmetsch gearbeitet“, erzählt der 23-Jährige in flüssigem Englisch, „und nach deren Abzug zwei Jahre für private amerikanische Sicherheitsdienste.“ Für religiöse Extremisten wie die Taliban gilt er damit als Verräter, mehrmals habe man ihm bereits mit dem Tod gedroht, auf einen Kollegen wurde auch schon geschossen. Massud blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen. Selbst wenn ihm das nicht leichtfiel. „Seit meine Eltern vor über zehn Jahren gestorben sind, habe ich mich um meine Schwester gekümmert, sie ist jetzt 16, und seit
ich weg bin, hat sie niemanden mehr, der für sie sorgt.“ Um ihr Geld zu schicken, müsse er möglichst schnell etwas verdienen, gerne auch als Koch, als Kellner oder Abwäscher, völlig ehrenwerte Berufe, wie er findet. Vom Skifahren und von Skigebieten hat er freilich wenig Ahnung. „Aber es gefällt mir hier: die Berge, die grünen Wälder – sollte ich eine Stellung finden, bleibe ich sehr gerne in dieser Gegend.“
Nachdem das Essen fertig gekocht ist, räumen die angehenden Kellner noch ein paar Scherben weg, die während ihrer Servier-Versuche angefallen sind und decken die Tische. Gemeinsam isst man die Knödel, die Pasta, die Suppe und das Risotto. Dann zücken nochmals alle ihre Handys, man fotografiert sich beim Knödel-Essen, mit den Kochmützen und -schürzen und schließlich auch draußen auf der Terrasse und vor den Liftanlagen. „Ski-pis-te“, sagt Trettl und deutet auf den Hang vor ihm. „Ski-pis-te“, wiederholt der Afghane Massud und fotografiert die grüne Wiese. „Das Foto schicke ich an meine Schwester“, sagt er, „im Winter bekommt sie dann eins mit Schnee.“ Dann wird er nachdenklich. „Also natürlich nur in dem Fall, dass ich dann noch hier bin, Insha’Allah – wenn Gott will.“