Restaurants

(A la Carte 2009/04) Es muß nicht immer Trüffel sein

Piemont 2009: Es ist fast wie immer. Nebelig trüb am Morgen, am Mittag kommt die Sonne raus. Am Trüffelmarkt im Herzen von Alba herrscht das übliche Gedränge.

Text von Hans Mahr

Zirka 3.000 Euro kostet heuer das Kilo der weißen Knolle, deutlich weniger als in den vergangenen Jahren. Deutlich weniger sind auch die Touristen geworden. Zwei Wochen im voraus gibt’s in fast allen Restaurants, die früher monatelang ausgebucht waren, noch Tische zu reservieren. Denn die Krise hat auch die Trüffelzeit im Piemont erreicht. Irgendwie gilt Trüffel als Luxus und Luxus ist in Zeiten wie diesen nicht "in". Umso mehr Platz gibt’s für alle diejenigen, die sich auch von der Krise nicht abhalten lassen, wegen des "weißen Goldes" nach Turin zu fliegen. Doch Piemont ’09 bietet mehr als die üblichen Wirtshäuser, von denen auch schon der letzte Geheimtipp breit publiziert worden ist. Zwei Feinschmeckerlokale lassen auch die Herzen jener Gourmets höher schlagen, denen nach mehr als Pasta plus Knolle gelüstet: das "Combal.Zero" bei Turin und das "Piazza Duomo" in Alba. In einem Schloss westlich von Turin, ca. 20 Minuten vom Flughafen entfernt, hat sich Davide Scabin eingerichtet, der wohl kreativste italienische Koch. Er spielt in einer Liga mit Ferran Adrià und Heston Blumenthal und kocht einfach grandios oder grandios einfach. Das Tasting Menu beginnt mit einer winzigen Forelle auf Erbsenpüree mit Teesauce, dann eine Kabeljau-Krokette mit violetten Kartoffelchips und Pastis. Wirklich stimmig seine Version vom Vitello Tonnato: das hauchdünn aufgeschnittene Fassona-Kalbfleisch mit Haselnüssen und Anchovis-Sauce zergeht auf der Zunge. Es folgen ein Risotto mit Foie Gras und Artischocken, eine Wildkräuter-Suppe mit Radicchio und ein Stückerl kurz gebratener Schweinebauch mit Spargel und Kokosnussmilch. Alternativ offeriert er ein Mini-Cordon-Bleu mit Spinat oder ein butterzartes Lammkotelett. Was normalerweise in dieser Gegend untergeht, die Dessertküche nämlich, ist bei Davide Scabin ein weiterer Höhepunkt. Vor allem das Mikro-Dessert mit einer Zabaione, einer Schokolade-Mousse mit Kaffee-Jelly und einer Vanille-Creme mit Pistazien. Die interessanteste Erfahrung: Wir sind mitten in der Trüffelzeit – und es gibt keine Trüffel bei Scabin. Ehrlich gesagt, sie gehen auch gar nicht ab. Auch der zweite Spitzenkoch Enrico Crippa braucht keine Trüffel, um seine Küche aufzuhübschen. Er hat bei Italo-Kochlegende Gualtiero Marchesi gelernt und ist heute – so meinen viele – schon besser als der Chef. In seinem "Piazza Duomo" mit Blick auf den Dom von Alba vermengt er seine Erfahrungen aus Japan ("ich habe in Marchesis Restaurant in Kobe gekocht") und seine Liebe zu Gemüse und Salat ("da ist Michel Bras mein Vorbild") mit der piemontesischen Landküche. Und das ist wirklich ein Erlebnis. Das Herbstmenü beginnt mit Topinambur und Lakritze-Artischocken, Scampi in Erdbeermost, Fischravioli mit einem Umeboshi (japanische Pflaume!), Püree und Koriander, dann Dorade mit grünem Gemüse, Kabeljau mit Büffelmozzarella, Steinpilzrisotto und schließlich ein Kräutertäubchen. Irgendwann dazwischen serviert Crippa mit seeligem Blick seinen "Insalata 21", bestehend aus 21 verschiedenen Salat- und Kräutersorten. "Das sind Dinge aus der ganzen Welt, viele habe ich über das Internet gekauft und selbst gezüchtet", sagt er stolz. Das ganze Menü gibt’s – ähnliche Preisklasse wie im "Combal.Zero" – um 130 Euro, mit dem Wein dazu landet man knapp über 300 Euro für zwei Personen. Nicht billig, aber der Mann ist sein Geld wert. Nach dem Ausflug in die Haute Cuisine endlich der Eintritt in die einfache, aber gute piemontesische Landküche. Zwischen Asti und Bra, zwischen Alba und Barolo ist die Zahl der angeblich "besten Wirtshäuser" unüberschaubar geworden. Daher im Folgenden nur eine unvollständige, sehr persönliche Liste, die keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Meine zwei Lieblingstrattorien sind das "Da Renzo", im Süden, in Cervere, und das "I Bologna" in Rocchetta Tanaro, im Norden (am besten geeignet für einen wunderbaren Abschluss-Lunch auf dem Weg zurück nach Turin). Im "Da Renzo" ist man stolz darauf, die doch etwas schwere piemontesische Küche "entschlackt" und "erleichtert" zu haben. Marinierter Aal, Stockfisch mit Oliven, Taubenbrustsalat vorneweg, als "Primi Piatti" Safranrisotto mit Spargel, Ravioli mit Lauch und Erdäpfeln und als Hauptspeise zum Beispiel ein Kalbsbraten in Brotteig. Bei dieser Qualität ist es kein Wunder, dass "Da Renzo" das Lieblingslokal von Starwinzer Angelo Gaja ist. Apropos Angelo Gaja: Beim Rundgang durch sein Weingut verrät er, dass künftig wahrscheinlich weniger Gaja-Tropfen auf den österreichischen und deutschen Markt kommen werden. "Wir brauchen mehr für den asiatischen Raum und ihr Österreicher habt ohnehin einen Riesenanteil!" Mit anderen Worten, lasst uns mit Gaja-Weinen rechtzeitig eindecken … Auch die zweite Top-Trattoria ist eines seiner Lieblingslokale. Das "I Bologna" bei Asti. Die Pasta wird dort gleich neben dem Gastraum von der Mamma händisch zubereitet. Zum Unterschied vom "Da Renzo" serviert man im "I Bologna" unverfälschte piemontesische Landküche. Agnolotti, Tagliolini, Gnocchi mit Steinpilzen, mit Gemüse, mit Schafskäse, zur Hauptspeise Schweinsbraten, Lammkotelett oder ein Bollito Misto – echt und gut. Wo man sonst noch hervorragend isst: Das "Il Centro" in der Altstadt von Priocca bringt ebenfalls klassische Piemont-Küche auf den Tisch – unbedingt den karamellisierten Schweinebauch auf Püree probieren! "La Posta" in Monforte D’Alba ist wunderschön gelegen, am besten zum Mittagessen kommen – die Empfehlung lautet: Rindstatar mit Parmesan, Kaninchen im Speck. Das "Antica Torre" liegt nur 300 Meter neben Gajas Weingut in Barbaresco – hier braucht man nur die Pasta probieren, die ist hervorragend. Bleibt noch das Neueste vom schnauzbärtigen piemontesischen Altmeister Cesare Giaccone zu berichten, bei dem einmal sogar Reinhard Gerer gelernt hat ("Nur eine Woche! Der Cesare ist ein Wahnsinniger, aber ein Naturtalent!"). Das Weingut Fontanafredda hat ihn nach Serralunga d’Alba geholt, wo er in der "Villa Contessa Rosa" fünf Mal pro Woche für 30 Gäste kocht. Und zwar wie immer mit einem Menü nach Lust und Laune: gebackene Zwiebeln und Polenta, gebratenes Kaninchen und geschmortes Zicklein. Übrigens: in allen Trattorien gibt’s jetzt natürlich Trüffel satt. Für alle, die mindestens sechs Euro pro Gramm für die berühmte Piemont-Knolle ausgeben wollen, wird kräftig gehobelt, worauf Sie immer wollen: Auf die Pasta, auf das Tatar, sogar auf Taube, Lamm oder Zicklein. Aber ich bleibe dabei: Es muss nicht immer Trüffel sein …

COMBAL.ZERO
Piazzale Mafalda di Savoia 10098 Rivoli
Tel.: +39/011/956 52 25
www.combal.org

PIAZZA DUOMO
Piazza Risorgimento 4 12051 Alba, Cuneo
Tel.: +39/0173/366 167
www.piazzaduomoalba.it

RISTORANTE ANTIC CORONA REALE DA RENZO
Via Fassano 13 12040 Cervere
Tel.: +39/0172/47 41 32

I BOLOGNA
Via Nicola Sardi 4 14030 Rocchetta Tanaro
Tel.: +39/0141/64 46 00

IL CENTRO
Via Umberto I 5
12040 PRIOCCA (CN)
Tel.: +39/0173/61 61 12
www.ristoranteilcentro.com

TRATTORIA DELLA POSTa
Località Sant’Anna 12065 Monforte d’Alba
Tel.: + 39/0173/781 20
www.trattoriadellaposta.it

ANTICA TORRE
Via Torino 8 12050 Barbaresco
Tel.: +39/0173/63 51 70

VILLA CONTESSA ROSA
Restaurant Cesare Villa Contessa Rosa
Via Alba 15 12050 Serralunga d’Alba
Tel.: +39/0173/62 61 62
www.villacontessarosa.com

(A la Carte 2009/4) First come, first served

Er ist unverzichtbarer Bestandteil in der Spitzengastronomie und nicht mehr nur auf einen Gang limitiert. Vier Top-Köche verraten, was sie ihren Gästen als Gruß aus der Küche servieren, weshalb er manchmal genauso viel Zeit in Anspruch nimmt wie ein Hauptgang und warum er Chefsache ist.
Samstagabend, Restaurant "Mayer’s" in Zell am See. Bis auf einen Tisch ist jeder Platz belegt. Die erste Bestellung: viermal das 6-Gang-Menü. Fünf Minuten später wird ein Gruß aus der Küche serviert: eine Schieferplatte, auf der sechs Fingerfoodkreationen wie Thunfisch-Sesam-Sushi, Prielauer Hirschwürstel und Hummerchip thronen. Darunter auch ein außergewöhnlicher Akteur, ein Zitat auf den spanischen Alchemisten Ferran Adrià: ein Sellerie-Sniff im Plastikrohr.

Der Gruß aus der Küche steht nicht auf der Speisekarte und ist der erste Geschmacksreiz, den man dem Gast in einem Spitzenrestaurant vor dem Menü serviert. In Frankreich werden die kalten oder warmen Gerichte in Miniaturformat, die eine appetitanregende Funktion erfüllen und die Wartezeit des Gastes verkürzen sollen, als Amuse Gueule (frei übersetzt "Maulfreude") bezeichnet. Im deutschsprachigen Raum wollte sich der als vulgär empfundene Begriff "Gueule" nicht etablieren. Die Gastronomen haben sich auf einen charmanteren Terminus geeinigt, die kleine Überraschung, die dem Küchenchef jeglichen kreativen Spielraum lässt, Amuse bouche ("Mundfreude") getauft und daraus eine Kultur entwickelt, die sich längst nicht mehr nur der Kreation eines Amuse Bouches widmet. So auch Andreas Mayer. Egal welches Menü man bei ihm bestellt, die davor servierte Amuse-Bouche-Abfolge ist immer gleich und besteht aus vier Gängen. Dabei wird Mayers Gästen mit einigen seiner Happen immer wieder eine Portion Mut abverlangt: Für seinen Stangensellerie-Sniff infundiert Mayer etwa in ein kurzes Röhrchen Öl und Gelee vom Sellerie, das man durch die untere Öffnung in den Mund schlürfen soll. Ein Vorgang, der von einem unangenehmen "Flup"-Geräusch begleitet wird und ausdauernde Saugkraft erfordert. "Der Effekt dieser Anrichteform ist, dass zuerst eine andere Geschmackszone erreicht wird und sich das Aroma nicht wie üblich von vorne nach hinten sondern von hinten nach vorne ausbreitet." Dass nicht jeder Gast für solche Zugänge zu haben ist, ist dem Koch durchaus bewusst, stört ihn aber nicht weiter: "Wenn er sich nicht drüber traut, lässt er es sowieso stehen."

Für die Fingerfood-Kompositionen, die als der erste der vier Grüße aus der Küche kommen, ist die Kreativität jedes Einzelnen der Küchencrew gefragt: "Gardemanger, Saucier und Poissonier sind für je zwei Happen verantwortlich. Im Sommer gibt es meist noch ein Eis, etwa von Sellerie oder Spargel, um das sich der Patissier kümmert. Ich mische mich nur ein, wenn mir eine Kombination zu langweilig oder zu intensiv ist." Die drei darauf folgenden kalten und warmen Amuse Bouches sind aber Chefsache. "Das ist eine schwierigere Disziplin. Natürlich entwickeln wir diese Gerichte gemeinsam weiter, aber die Ideen kommen von mir." Bis Kompositionen wie eine Mikroversion von Tafelspitzrolle mit Erbsenmousse auf Fenchel-Safran-Terrine und Spoom von Erbse und Fenchel auf die Karte gesetzt werden, vergehen ein paar Tage bis Wochen. "Oder ich verwerfe alles und probiere es nach einem halben Jahr wieder. Ein Amuse Bouche ist genauso komplex wie ein Gericht. Es ist zwar kleiner, da aber mehrere verschiedene Komponenten dafür zu produzieren sind, kann man es durchaus mit einem Hauptgang vergleichen." Meist spielen bei Mayers Grüßen ein oder zwei Gemüsesorten die Hauptrolle. "Man kann Gemüse super variieren und ich greife dem Menü nicht vorweg. Wenn ich mit Gänseleber oder Taube anfange, zerstöre ich mir den Steinbutt, der danach folgt. Ich brauche einen Einstieg, der weder zu scharf noch zu würzig ist, sondern soft. Deshalb verwende ich auch keine intensiven Sorten wie Rote Rübe, sondern verarbeite lieber Gurke oder Paradeiser. Das Wichtigste in einer Menüfolge ist, den Spannungsbogen so lange wie möglich zu erhalten. Deshalb sollte man sich langsam von einem Gang zum nächsten vorarbeiten."

Zu geschmacksintensiv darf der Starter auch bei Alexander Fankhauser nicht sein. "Jeder Gang muss dem nächsten Raum lassen, im Menü bestehen zu können." Dennoch lässt sich der Koch den Einsatz von alpinen, würzigen Zutaten nicht ganz nehmen und kombiniert sie bei seinen ersten Grüßen auch gerne mit molekularen Techniken: "Das Amuse Bouche lässt mir die Freiheit, nicht immer nur so zu kochen, wie es meiner Küchenlinie entspricht. Ich kann auf einen Melonenkaviar Speckschaum setzen oder Erdäpfelpuffer mit Blunzenradeln und Krenschaum servieren. Außerdem ist es für mich ein Experimentierfeld. Wenn ich etwas Neues ausprobiere, schicke ich es zuerst als Amuse Bouche zu den Gästen und wenn es gut ankommt, setze ich es in erweiterter Form auf die Karte." In seinem Restaurant "Alexander" in Hochfügen stehen den Gästen zwei Menüs zur Auswahl, die mit je drei Amuse Bouches eingestimmt werden. Werden unterschiedliche Menüs an einem Tisch serviert, kann auch bei den Grüßen querverkostet werden. Wird à la carte gewählt, ist die Spontanität des Küchenchefs gefragt: "Wenn die Gäste das Menü selbst zusammenstellen, wird’s schwierig und ich mache ein anderes Amuse Bouche als geplant. Wir kochen sowieso à la minute und es fordert mich mehr als eingefahrene Abläufe."

Als Challenge bezeichnet Silvio Nickol, Küchenchef im Restaurant "Schlossstern" im Schlosshotel Velden, jedes seiner Gerichte. Er versucht schon beim Amuse Bouche mit Gewürzen an die Grenzen zu gehen, allerdings ohne dabei den Eigengeschmack des Produkts zu verfälschen, sondern um ihn in den Mittelpunkt zu rücken. Er startet den Abend mit zwei Grüßen aus der Küche und serviert den ersten in Form eines Dreierleis. Für sein "mediterranes Terzett" etwa wird ein ovaler Porzellanteller mit einem Shotglas klarem Gazpacho mit Raz-el-Hanout- und Parmesan-Schaum serviert, einem Schälchen Basilikumeis und einem Porzellanlöffel mit Safran-Aioli und einem Paradeiserchip, "also ganz einfach gehalten", gibt sich der Koch mit Hang zur Perfektion bescheiden. Der zweite Gruß fällt anspruchsvoller aus. Nickol vergleicht den Aufwand dafür mit jenem für eine Vorspeise und verarbeitet die dafür verwendeten Produkte von der Schale bis zum Kern: Auf einem viergeteilten Glasteller setzt er Maronispaghetti mit Kürbismayonnaise, füllt in ein Glas süß-sauren Kürbisud, platziert daneben einen Kürbisraviolo, dessen Hülle aus gehobeltem Kürbis besteht und mit einem Kürbispüree gefüllt ist und formt aus Kürbismus und -gelee und Mus von Maroni eine Pyramide. Ausgesucht werden kann aus einer zweiseitigen Karte mit jeweils 13 Gängen – zum einen bestehend aus vegetarischen Gerichten, die Nickol "Bunter Herbst" nennt und zum anderen mit Produkten wie Gänseleber, Steinbutt und Hummer, die sich im "Chef’s Menü" wieder finden. Je sieben Gerichte sind von Nickol als Menüempfehlung kombiniert und garantieren eine optimale Steigerung. Dem Gast steht aber offen, die Gerichte à la carte miteinander zu verknüpfen. Ganz gleich ob man sich auf den Vorschlag des Küchenchefs einlässt oder selbst zusammenstellt: Das Amuse Bouche bleibt gleich. "Kommt ein Gast mehrmals hintereinander zu uns, servieren wir selbstverständlich zwei andere Grüße. Bei uns wird Buch geführt, in dem nicht nur steht, wer uns wie oft besucht, sondern auch, ob der Gast gerne Wasser trinkt, welchen Wein er bevorzugt und sogar ob er Links- oder Rechtshänder ist. Das sind einfach Details, auf die geachtet werden muss," ist sich Nickol sicher. Dem Start eines Menüs wird genauso viel Augenmerk geschenkt wie den folgenden Gängen. Ein Posten in der Küche ist darauf abgestellt, sich ausschließlich um die Produktion der Grüße aus der Küche zu kümmern. Wiederholungen in der Menüabfolge sind dem Koch zuwider. "Natürlich habe ich derzeit ein Kürbisgericht in der Karte und serviere ein Amuse Bouche mit Kürbis. Allerdings ist das Muskatkürbis-Ingwer-Süppchen mit Mango-Bananen-Flan und Passionsfrucht-Cannelloni nicht als Empfehlung angeführt. Wenn sich der Gast dennoch dafür entscheidet, dann ist er sich dessen bewusst, dass die Abfolge nicht optimal ist."

Man könnte meinen, Didi Dorner macht es sich leicht. Er serviert seinen Gästen seit sieben Jahr das gleiche Amuse Bouche: das geeiste Dorner-Ei, für das sein Erfinder eine mit viel Butter kompakt gerührte Eierpeise mit Oliven- und einer Spur Trüffelöl noch im warmen Zustand sämig mixt, in eine Eierschale füllt, kalt stellt und mit Forellenkaviar finalisiert. Ein Markenzeichen, das Dorner trotz Abkopplungsversuchen nicht ablegen kann. "Als ich vom ,Hirschenwirt‘ in den ,Falkenhof‘ übersiedelt bin, wollte ich es nicht mehr machen. Ich hab am ersten Tag ein anderes Amuse Bouche serviert und mich nach dem Abendgeschäft noch einmal in die Küche gestellt, um das Ei für den nächsten Tag zu produzieren, weil ich nicht wieder jedem Gast erklären wollte, warum es mein Ei nicht mehr gibt." Egal wo Dorner kocht, ob in seiner Wirkungsstätte im Schloss Stainach oder bei Caterings: "Zuerst gibt’s immer das Ei." Für das hat sich der Koch eine entsprechende Präsentation ausgedacht: Im Restaurant setzt er es auf einen froschgrünen Kunstrasen, bei Auswärtsspielen wird es auf einen dekonstruierten Wäscherei-Kleiderbügel gesetzt. Dazu verbiegt Dorner den Haken um 90 Grad, so dass er das Ei in der Mitte auffängt und verformt den Bügel so, dass das Gebilde eigenständig steht. "Es wird dann so eingedeckt, dass im Haken eine Serviette steckt und ein Löffel in der Einkerbung eines Bügels liegt. Das Ei servieren wir dann brutal vom Eierkarton runter." Aus der täglichen Wiederholung seines Ei-Amuse-Bouches entstand ein zweiter Gruß aus der Küche, den Dorner – je nach Laune – sogar täglich auswechselt. "Ich serviere gerne Miniportionen der Gerichte auf der Karte, die aber nicht in der vom Gast gewählten Menüfolge enthalten sind. Oder ich versuche eine Geschmackskomponente zweimal zu spielen: Wenn der zweite Gang des Menüs (Anm.: Dorner holt es persönlich bei den Gästen ein) beispielsweise Offener Hummerraviolo mit Safran und Schokolade ist, mache ich als Amuse Bouche Scampi mit einem Aroma, das die Bittertönigkeit der Schokolade enthält. Es gibt also keine Wiederholung des Gerichts, aber es finden sich einzelne Elemente wieder." Mit seinen Kollegen, die das Geschmacksniveau in ihrer Menüabfolge Schritt für Schritt steigern, ist er einer Meinung: "Wichtig ist, dass ich das, was ich mit dem Amuse Bouche verspreche, im Menü auch halten kann. Ich hatte schon oft Starter, die optisch und geschmacklich der absolute Wahnsinn waren und am Ende des 5-Gang-Menüs kam die Erkenntnis, dass ich nach den Amuse Bouches hätte gehen können."

Amuse Bouches haben sich in der Spitzengastronomie zum Pflichtprogramm entwickelt. "In unserer Liga muss die Erwartung des Gastes, dass da etwas kommt, erfüllt werden. Allerdings nicht indem der Küchenchef irgendetwas auf den Tisch stellt – was leider auch vorkommt – , sondern indem er bewusst ein Amuse Bouche produziert. Käme keines, wäre das die erste große Enttäuschung für den Gast." Den Zweck des Amuse Bouches zu Beginn eines Menüs spricht Dorner offen aus: "Damit ich Zeit gewinne, in der ich die Gänge vorbereiten kann und damit die Zeit, in der der Gast auf sein Essen wartet, schneller vergeht."

Zeit, die auch gestressten Businessgästen zu Mittag fehlt. Dorner hat für sie ein Amuse-Bouche-Menü kreiert, das er "3-5-7" nennt. "Zu diesem Menü gibt es keine gedruckte Karte, sondern drei, fünf oder sieben Geschmäcker aus der regulären Karte, die ich in Amuse-Bouche-Portionen serviere und garantiere, dass der Gast, egal welches Menü er bestellt, in einer Stunde fertig ist." Inspiriert hat Dorner Joël Robuchons Restaurant "L’Atelier" in Paris: "Es ist für mich einfach der geilste Mittagstisch, den ich kenne. Man sitzt dort an der Bar und bekommt ein Happenmenü mit 20 Tellern – es ist perfekt, weil man auf sehr hohem Niveau isst und in einer Zeit serviert wird, wo alles danach offen bleibt. Das taugt mir. Wenn ich hinfliege, schau ich, dass ich um 10 Uhr vormittags im Hotel einchecke, um Viertel nach zwölf ins ,L’Atelier‘ fahre und um Viertel nach zwei am Weg zum Louvre bin." 25 Mal war Dorner schon in Paris und hat jedes Mal dieses Programm absolviert. Das hat zum einen mit den Small Tasting Dishes des französischen Sterne-kochs, andererseits mit einem Bild von Leonardo da Vinci zu tun: "Irgendwann will ich verstehen, was an der Mona Lisa so weltbewegend ist. Ich hab’s nämlich bis heute nicht kapiert."