Ich wollt´, ich wär´ ein Huhn

Auf ihrem Hendlhof in der Oststeiermark züchten Katharina und Patrick Birkl Hühner, derentwegen Geflügelliebhaber bisher nach Frankreich fahren mussten.

Text von Alexander Rabl Fotos von Michael Reidinger

Patrick Birkl hatte den Traum vom eigenen Hühnerhof, dem perfekten Hühnerhof. In der östlichen Steiermark, wo das Klima für Geflügel, das die meiste Zeit im Freien verbringt, ­besonders bekömmlich ist, hat er ihn sich erfüllt. Und er wollte das perfekte Huhn: Bresse-Gauloise, die Rasse, die einer Region in Frankreich zu kulinarischem Weltruhm verhalf. Seit vergangenem Sommer hat sich nun auch für österreichische Bresse-Fans ein Traum erfüllt: Bressehühner aus Österreich, für die man ordentlich Geld, aber nicht so viel Geld bezahlen muss wie für die importierte Ware aus Frankreich.

Knalliges Grün, darauf weiße Tupfen – ein Bild, das an die Stilrichtung des Pointillismus erinnert. Wenn man sich nähert, sieht man: Die Tupfen bewegen sich. Weiß gefiederte Hühner picken ohne Unterlass im grünen Gras. Ein gewohntes Bild für alle, die schon einmal in der französischen Bresse unterwegs waren. Zu betrachten jetzt auch in der Oststeiermark. Katharina und Patrick Birkl haben sich hier ihren Traum erfüllt. Es ist ein wunderschöner, um ein gerade untertags von Licht durchflutetes Wohnhaus erweiterter Bauernhof, ein als ­luxuriös zu bezeichnender Hühnerstall. Das alles in der Umgebung von Wiesen, Hügeln, Obstbäumen, die als Habitat für die Lieblingstiere Katharinas und Patricks dienen, die Bresse-Gaulouise, das Beste seit der Erfindung des Hendls.

Der von den prächtigen weißen Federn befreite ­Körper der Bresse-Gauloise erinnert an die Physis des als „Déesse“ (Französisch für Göttin) verehrten Citroën D19. Die Brust ist langgestreckt, aber dennoch fleischig, sie bleibt beim Braten herrlich saftig. Die Beine sind kräftig, ihr Fleisch eher dunkel. Die Füße, sie sind überaus groß und kräftig und schimmern bläulich-grau. Die in Österreich und Deutschland erhältlichen Hybridhühner wirken gegen die mondäne Eleganz des Bresse-Gauloise pummelig und rundlich, man könnte auch sagen: wie VW-Käfer.

Wer das Bresse-Gauloise nach einer angemessenen Bratzeit aus dem Backofen holt, wobei es wichtig ist, die kräftig gebaute Haut ständig mit Butter oder Saft zu begießen, versteht auf einmal, wie ein gutes Hendl schmecken kann und dass kein Fest zu groß, kein Feiertag zu wichtig ist, um ihn nicht mit einem solchen Hühnerbraten zu krönen. Ganz im Gegenteil. Grundsätzlich bieten sich zwei Verfahrensweisen an, das Prachthendl würdig zuzubereiten. Die bereits erwähnte Methode des Bratens im Rohr ist die eine, Patrick und Katharina empfehlen aber auch, das Hendl zu zerteilen und dann Brüste, Beine und andere Teile gemeinsam mit Zwiebeln, Pilzen, Gewürzen, Zitrone, Wein, Hühnerbrühe und Crème fraîche zu kochen. So macht man es auch im Burgund, wo das feine Geflügel in jedem zweiten Bistro in Beaune zum Repertoire gehört. Dazu serviert man gerne Reis, sogar im 3-Sterne-Tempel Georges Blanc ist das so, allerdings ist die Sauce dort aufwendiger.

Es handelt sich um eine Sauce Albufera, eine Komposition, in der unter anderem Weißwein, Madeira, Portwein, Hühnerfond, Glace (dunkle Sauce), Gewürze, Gänseleber, Piment d’Espelette und Butter mitspielen. Die Sauce gehört zum Erbe von Auguste Escoffier. Seit in Frankreich die Weiße Trüffel salonfähig ist, hobelt die Elite unter den französischen Köchen die Knolle aus dem Piemont über das mit Sauce Albufera servierte Hendl. In Paris bezahlt man dafür pro Person 150 Euro. Dies nur zur Orientierung, die Wertschätzung des Bresse-Gauloise betreffend.

Aber das Geld war es gewiss nicht, das Katharina und Patrick aufs Bresse-Gauloise brachte. „Wir mögen die Hühner“, sagt Katharina, „und wir füttern sie gerne.“ Hauptsächlich füttern sich die Hendln aber selbst: Sie grasen den Hügel ab, auf dem sie leben, dazu Insekten wie Heuschrecken und Würmer, die besonders im feuchten Herbst aus dem Boden kommen. Außerdem lieben sie Fallobst, das sie auf der Wiese finden. Denn nur selten schafft es ein Hendl, seine Flugkünste derartig zu aktivieren, dass es Äpfel oder Zwetschken vom Baum holen könnte. Eine Biogetreide-Mischung für Geflügel gibt es on top. Wenn sie durstig sind, stillen die Bresse-Gauloise den Durst im Stall mit frischem Wasser. Wein oder Bier gibt es nicht.

Wenn sie mich sehen, erwarten sie, dass es etwas zu essen gibt. Katharina Birkl

Patrick Birkl hat auf der University of Guelph bei Ontario im Bereich Geflügelhaltung (Thema: Feder-Pecken bei Legehennen) dissertiert und sagt mit einem Anflug von Bedauern: „Das Huhn ist bei uns als hochwertiges Essen ausgestorben.“ Katharina selbst war Krankenpflegerin und arbeitet auch jetzt noch im Krankenhaus in Radkersburg. Etwa 500 Hühner wurden im vergangenen November hauptsächlich an private Kunden ausgeliefert, für die der Preis von (verglichen mit den Hühnern, die von Züchtern aus der Bresse kommen, ohnehin sehr günstigen) 28 Euro pro Kilo kein Thema ist. Eine Vergrößerung des Betriebs, das Prinzip Economy of Scale, wie es in der Landwirtschaft oft und auf zerstörerische Weise angewandt wird, kommt für die beiden nicht in Frage. Obwohl die Nachfrage mittlerweile das Angebot weit überragt. Reich könne man davon nicht werden, fügt Patrick Birkl hinzu: „Aber eine Person kann von den Erträgen unseres Hühnerhofs leben.“ Patrick Birkl hat für Vier Pfoten gearbeitet und ist jetzt als Kontrollor für Biobetriebe unterwegs, wenn er sich nicht gerade am Hühnerhof um seine Bresse-Gauloise kümmert. Nur selten gönnt sich die Familie selbst einen Hühnerbraten. Bisher seien es zwei gewesen, seitdem man mit dem Hühnerhof im vergangenen Jahr begonnen habe.

Ein Besuch bei den Hühnern auf ihrer Wiese. Freudige Aufgeregtheit beim Federvieh. „Wenn sie mich sehen, erwarten sie, dass es etwas zu essen gibt“, sagt Katharina. Ein Hahn peckt sie von hinten in den Unterschenkel und duckt sich weg, als sie sich ihm zuwendet. Die Herren mit den imposanten Kämmen geben sich kämpferisch aggressiv, aber nur, solange man ihnen nicht in die Augen schaut. Katharina sagt: „Bei uns gibt es fünf männliche Bressehühner, unter denen die Hackordnung festgelegt ist.“ Und auch wenn die Hähne zwischendurch durchwegs entschlossen wirken, so fügt Katharina hinzu: „Die Hennen hacken mehr auf einander herum als die Hähne.“ Mit den Hühnern ist es wie mit den Menschen.

Hähne und die Zuchthennen gehören zum Stammpersonal des Hühnerhofs, und manche tragen sogar Namen. Interessant: Hühner können übrigens sehr alt werden, wenn man sie in Ruhe lässt. Auf dem Hof von Patricks Eltern in Sankt Anton in Tirol, erzählt er, lebten Hühner, die schon sieben Jahre auf dem Buckel hätten. Während Industriehühner buchstäblich so lange Eier legen, bis sie im Burn-out sind und umfallen, geht es den Hühnern bei der Familie Birkl besser. Patrick sagt: „Manche legen dann noch hie und da ein Ei.“ Die Junghühner am Hühnerhof haben nicht mehr zu tun, als sich ausreichend an der frischen Luft zu bewegen und gut zu essen. Vier Wochen vor dem Finale beim Schlachter wird den Hendln eine feine Mischung aus geschrotetem Mais und Molke serviert, die gerne konsumiert wird, weil die naiven Hühner nicht wissen, dass diese Verpflegung einzig dazu dient, kurz vor dem Schlachten ihr Fleisch fetter und schmackhafter zu machen. Abends schlafen die Hühner mit vollem Bauch ein, morgens haben sie wieder Hunger.

Das milde Klima der Region ist, wie schon erwähnt, perfekt. Die Morgensonne geht über in die Ganztagssonne, gut fürs Gemüt und gut fürs Gras. Raubvögel kreisen, wenn überhaupt, eher unentschlossen über der weiß gefiederten Beute auf dem grünen Hügel.

Denn gleich in der Nachbarschaft zu den Hühnern grasen Katharinas und Patricks Zackelschafe. Die Hörner der Schafe wirken auf Füchse wie auch auf Greifvögel ap­petithemmend. Abends geht es ins Quartier, einen blitzsauberen, stets wie ein Heubad duftenden Stall mit ausreichend Platz für alle. Warum wir das hier erzählen? Es ist nicht nur die Rasse, es ist auch die Art, wie die Hühner aufwachsen. Das haben Patrick und Katharina auf ihren Reisen und bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Geflügel gelernt. Die Rasse alleine macht es nicht, die Haltung allerdings auch nicht.

„Die meisten Biohühner stammen von einer Einheitsrasse, der sogenannten Industrierasse“, sagt Patrick.„Die Bezeichnung ist JA757, während die meisten konventionell gehaltenen Mast-Hendln ROSS 308 sind.“ Namen, die so klingen, wie dieses Geflügel meistens auch schmeckt. Die Hühnerhof-Kunden seien alle glücklich und zufrieden, würden sich auf den Besuch der beiden freuen, wenn sie die Hühner (Leber, Magen und Haxen gibt es als Sonderwunsch getrennt verpackt dazu) persönlich liefern. „Mit der Post und anderen Lieferservices ­haben wir im Sommer keine guten Erfahrungen gemacht“, erzählt Patrick. Unter ausgewählten Küchenchefs aus der Umgebung seien die im Sommer zugestellten Kostproben sofort Kult gewesen. „Hans Peter Fink und Harald Irka etwa waren begeistert“, erzählt Katharina Birkl. Lukas Mraz habe als einziger Gastronom unter den Hühnerhof-Kunden anlässlich der Novemberschlachtung fünfzig Stück bestellt.

Manche Bresse-Gauloise-Novizen seien vom Hühnergeschmack angenehm schockiert, erzählt Katharina. „Die Österreicher wollen gar keine Hendln, die wie Hendl schmecken“, sagt sie. Zum Thema Geschmack eines noch: „Als Backhendl sind diese Hühner denkbar ungeeignet“, wie Katharina sagt. Sie würden den Hitzeschock im heißen Fett mit zähem Fleisch erwidern.

K & P Hendlhof
Petersdorf Nr. 80, 8350 Fehring
Tel.: 0664/467 70 64
www.hendlhof.farm