Luxusgeschirr aus dem Hinterhof

Das Startkapital kam aus einer Fernsehshow, die Handwerkstraditionwar schon da – in den Tiefen des „Großen Basars“ in Istanbul: Soy Copper stattet Königshäuser, Kaffee-Nerds und Köche mit handgemachten Pfannen, Töpfen und Kännchen aus Kupfer und Silber aus. Man hört das Hämmern schon, bevor man in die winzige Gasse ­abzweigt. Ein Geräusch von völlig ebenmäßigem Rhythmus,…

Text von Anna Burghardt Foto: istockphoto

Das Startkapital kam aus einer Fernsehshow, die Handwerkstraditionwar schon da – in den Tiefen des „Großen Basars“ in Istanbul: Soy Copper stattet Königshäuser, Kaffee-Nerds und Köche mit handgemachten Pfannen, Töpfen und Kännchen aus Kupfer und Silber aus.

Man hört das Hämmern schon, bevor man in die winzige Gasse ­abzweigt. Ein Geräusch von völlig ebenmäßigem Rhythmus, kein Verkehrslärm, der dazwischendröhnen könnte. Den Weg zurück zu einem der Ausgänge von Istanbuls „Großem Basar“ würde man ohne Guide respektive gestreute Hänsel-und-Gretel-Brösel nicht finden. Momentaner Standort: irgendwo inmitten des im 15. Jahrhundert gegründeten Riesenmarktes, außerhalb des touristisch vielfrequentierten überdachten Shopping-Teils, in verwinkelten und mitunter von wackeligen, halb verrosteten Stahlbrücklein überspannten Gässchen. Hier finden sich Handwerker, die wie aus der Zeit gefallen scheinen. Unter anderem Männer, die in längst geschwärzten archaischen Gefäßen Silber erhitzen, das zu Barren wird, die zu Platten werden – Platten, die sich wiederum in glänzende Kochgeschirre für Luxusyachtkombüsen verwandeln oder in Pfannen, die in der Küche des Neolokals in ­Istanbul oder jener der Roca-Brüder in Spanien stehen. Geeignete Handwerker zu finden sei nicht leicht, sagt Emir Ali Enç, Gründer und Eigentümer des Unternehmens Soy Copper, das hier im engen Gassengewirr des „Großen Basars“ produziert. Ebenso schwierig sei es, diese Spezialisten dann noch auf genau die Arbeitsschritte einzuschwören, die für sein hochklassiges Kochgeschirr notwendig sind. Dennoch habe er, sagte er einmal in einem Interview, Männer wie „den Cristiano Ronaldo des Kupfer und Silber“ unter seinen Mitarbeitern.

Um in die Kellerwerkstatt von Soy zu kommen, heißt es Kopf einziehen und die paar Stufen Richtung Klong-klong-klong vorsichtig hinuntertrippeln. Was sich Besuchern neben dem gleichmäßigen Hammerschlag sofort ins Hirn brennt, ist das Blau. Unwirklich leuchtet es von den Wänden in diesem niedrigen Untergeschoß. Das Kupfer, das hier und dort aufblitzt – als runde Platte oder grifflose Pfannenrohform –, es bildet den stärkstmöglichen Kontrast zu jenem Blau, das so typisch sei für türkische Metallverarbeitungsbetriebe, wie Emir Ali Enç sagt. („Und wir dachten, so sieht man den Schmutz weniger.“) Ein grauhaariger Mann mit Karohemd sitzt im Türkensitz in der Nähe des Eingangs, wo Tageslicht und Kunstlicht ineinander fließen. Auf seinen Unterschenkeln ruht eine runde Platte, an den Rändern noch glatt, im Zentrum schon mit einem Kreis aus punktförmigen kleinen Dellen versehen. Dellen, durch die das Kochgeschirr um ein Vielfaches gehärtet wird. Stoisch schlägt der Handwerker den kleinen Hammer auf die Platte, immer und immer wieder, dreht diese dabei hochkonzentriert (oder doch in Trance?, es ist schwer zu sagen) langsam im Kreis. Hämmert somit ein dichtes Schneckenhausmuster aus Punkten in das ­Metall. So lange, bis die gesamte Kupferplatte mit Dellen übersät ist. Fast völlig regelmäßig, aber bei genauerem Blick eben doch mit jener Unschärfe, die am Ende signalisieren wird: reine Handarbeit – „pure human force“; das scheint zum Grundwortschatz von Emir Ali Enç zu gehören. Er hat Soy 2011 mit nur einem Mitarbeiter ein paar Gassen vom jetzigen Standort entfernt gegründet, das Startkapital von 15.000 türkischen Lira hatte er aus einer Fernsehshow. Als Diplomatensohn spricht er acht Sprachen, kann je nach Bedarf einem maghrebinischen Handwerker Anweisungen auf Französisch geben. Auch diverse Superlative zählen zum Vokabular dieses ungewöhnlichen Unternehmers, der schon einmal im T-Shirt mit „Superosman“-Schriftzug unter der Lederjacke herumläuft oder einen Topf als Helm bei einer Demonstration gegen die Regierung aufsetzt: Floskeln wie „der Ferrari unter den Töpfen“ oder „die Besten der Welt“ (egal, ob es um die Handwerker, auf der Brücke geangelte Fische aus dem Bosporus oder das Kochgeschirr selbst geht) fallen bei Emir Ali Enç immer wieder. Unbestritten sind jedenfalls die physikalischen Superlative der beiden Metalle, aus denen bei Soy Kochgeschirr wird: Kupfer und, in noch höherem Ausmaß, Silber haben die höchste Wärmeleitfähigkeit überhaupt. Auf die Flamme gestellt, werden Pfannen und Töpfe aus diesen Materialien sofort heiß. Drosselt man die Temperatur, kühlen sie sofort herunter. Eine Reaktionsfreudigkeit, an die man sich am Herd erst gewöhnen muss. Die Wandstärke der Stücke reicht von eineinhalb Millimetern bei den Cezve, den charakteristisch taillierten Kännchen für türkischen Kaffee, bis hin zu drei Millimetern für die größeren Pfannen, Bräter und Schneekessel. Ausgangsmaterial für die kupfernen Geschirre sind angelieferte großformatige Platten aus 999-Karat-Kupfer, aus denen schlussendlich über zwanzig Töpfe und Pfannen werden. Bei Silberkochgeschirr indes, das den weitaus kleineren Anteil ausmacht, werden einzelne Silberbarren bei Bedarf in einer Art überdimensionierter Nudelmaschine bei einem Partnerbetrieb zu einzelnen Geschirr-Grundplatten ausgewalzt. Die großen Kupferplatten werden zunächst in Vierecke geschnitten, die ungefähr den späteren Umfängen der geplanten Kochutensilien entsprechen, danach in kreisrunde Scheiben. Das jeweilige Gewicht: rund drei Kilo. In Form gebracht werden sie – bei gewünschtem runden Grundriss – von einem Dreher, der sich in Hüft­höhe an die Maschine gurtet und, sich schwer in den Gurt zurücklehnend, ­unter anderem mit seinem Körpergewicht arbeitet. Aus einer Cezve-Drehform und einer eingespannten Kupferplatte wird so mit Muskelkraft ein Mokka­kännchen, aus einer breiteren Form eine Kasserolle oder eine Bratpfanne. Die Griffe aus noch unbehandelter Bronze, die im Nebenraum in offenen Kisten lagern, sind Y-förmig oder dreizinkig, damit sie so wenig Hitze wie möglich übertragen. Auch die Nagelköpfe, die die Griffe auf den Stücken halten, weisen am Ende ein Hammerschlagmuster auf, das Emir Ali Enç an facettierte Diamanten erinnert.

Wenn der Soy-Chef ein mit Silber ausgekleidetes, poliertes und somit fertiges Werkstück in die Hand nimmt, nennt er es „­Baby“. Einen Favoriten in seiner Kollektion hat Enç nicht, „ich liebe sie alle und behandle sie alle gleich“, sagt er, nennt aber dann doch ein „Juwel“ seiner eigenen Küche: eine Pfanne von 26 Zentimetern Durchmesser aus reinem Silber. Er selbst verwende, erzählt er, seine ­Produkte ziemlich oft. Und natürlich weiß er, welche Gerichte der anatolischen Küche traditionellerweise ein ganz bestimmtes Kupfergeschirr erfordern: Kuymak, eine Art Käsefondue mit Maismehl und Butter, ­üppiger geht es kaum, wird typischerweise in einer Pfanne mit zwei Griffen serviert. Ebenso Menemen, eine türkische Eierspeise mit Paradeisern, grünen Paprika und Zwiebeln, oder Beyran, eine deftige Frühstückssuppe mit Lamm, die aus Gaziantep im Süden der Türkei stammt. Perde pilavı, eine Art Ringkuchen aus Huhn und Reis im Teigmantel, wird in einer speziellen Form gebacken, und auch für süßes Gebäck wie den Engelshaarauflauf Tel kadayıf wurde ursprünglich ein flaches Kupfergeschirr verwendet. Nar eksisi, Granatapfelkonzentrat, sollte, meint der Soy-Chef, ebenso in Kupferkesseln gerührt werden wie Pekmez, die Trauben- oder Maulbeermolasse. „Und, natürlich: Kupfer für den türkischen Kaffee.“ Er wolle mit Soy Copper aber in Zukunft auch vermehrt typische Kupfergeschirre aus anderen Koch­kulturen als der türkischen auf den Markt bringen, in der Linie Soy Specialty Cookware, sagt Emir Ali Enç. Irgendwann war ihm, der als Diplomatensohn in zehn verschiedenen Ländern gelebt hat, aufgefallen, dass der Markt für hochpreisiges Kupferkochgeschirr von Firmen aus Belgien und Italien dominiert werde. Dabei ­gebe es dort gar keine Tradition der Kupferbearbeitung, anders als in der Türkei und Syrien. Wo es wiederum keine namhafte Kupfermarke gab. Der Name seiner Firma, Soy, habe auf Türkisch ­viele Bedeutungen: Wurzeln etwa, Herkunft. Wurzeln schlagen kann, wenn es nach diesem Unternehmer geht, ein Geschirr von Soy jedenfalls in der Familie des Käufers: dank einer Garantie, die über die Generation des Käufers hinausreicht.

Emir Ali Enç möchte deutlich mehr aus Silber erzeugen, jedes Produkt seiner Palette könne man aus massivem reinen Silber machen. Der Markt dafür sei da, wie er meint. Sein Kochgeschirr gehe jetzt schon an arabische Superreiche ebenso wie an die Küchen des britischen oder des dänischen Königshauses. Die teuerste Variante, ein großer Fischbräter mit Dämpfeinsatz aus reinem Silber, kommt locker auf über 10.000 Euro. Einsteigermodell von Soy Copper ist die Cezve für eine Person. Welches Modell auch immer gerade in der unscheinbaren Werkstatt erzeugt wird: Jeder Span, der abfliegt, ist Geld wert. Ab Werkstatt werden die hochpreisigen Stücke in schwarzen Plastiksackerln verkauft, mit denen man sich unauffällig seinen Weg durch den „Großen Basar“ in die Istanbuler Außenwelt bahnen kann: Es könnte auch Müll drin sein. Wer denkt denn schon an eine 5.000-Euro-Bratpfanne aus reinem Silber?

Soy Copper
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