Intelligent Food

Wie die Kutteln sich auf unwiderstehliche Weise bei uns beliebt machen.

Intelligent Food

Text von Alexander Rabl Foto: StockFood
Und natürlich ist dieser Beitrag tendenziös. Betrachten Sie sich als vorgewarnt, dass Sie hier journalistische Objektivität genauso vermissen werden wie auch nur das geringste Maß an kritischer Reflexion. Denn folgende Ausführungen dienen der Verherrlichung und dem Lob der Kutteln, intelligente Lebensform unter den Nahrungsmitteln, Überlebende über Jahrhunderte dank perfekter Anpassung. Haben Sie schon Kutteln gegessen? Nur der Vollständigkeit halber sei angeführt, was das eigentlich ist. Kutteln stammen aus den Vormägen des Schafs, Kalbs oder Rinds. Nun wissen wir ja, dass die Bäuche den Hirnen in mancherlei Hinsicht gleichgestellt sind oder sogar überlegen. Der Bauch denkt mit. Manchmal denkt er sogar voraus. Bei Schafen und Rindern darf man davon ausgehen, dass sich in ihren Innereien geballte Intelligenz befindet.
Der Beweis? Um den Weg auf unsere Speisekarten zu schaffen – und wer würde bezweifeln, dass es das höchste Ziel der Innereien sein muss, es dahin zu schaffen –, legten sich die Mägen eine einfache Strategie zu: Sie präsentieren sich als ebenso preisgünstiges (das war früher in Zeiten, als Fleisch noch nicht im Sonderangebot aus dem Supermarkt kam, überlebenswichtig) wie wandlungsfähiges (das ist heute, wo man wenig mehr fürchtet als Langeweile am Teller, ein guter Ansatz) Lebensmittel. So wie jede Pflanze sich eine Strategie zulegt, um die Bienen anzulocken, die ihre Blüten bestäuben, so hat auch jede Speise ihren Trick: Austern schmecken so herrlich nach frischem Meerwasser, nach Jod und der großen weiten Welt, außerdem brauchen sie wenig Vorbereitung, daher müssen sie sich keine Sorgen machen, dass ihnen einmal die Esser abhanden kommen könnten. Auf der anderen Seite stehen die Kutteln.
Wenig Glamour haftet ihnen an, dafür im ungeputzten Zustand einige wenig attraktive Schichten an Talg und anderem, was ihnen den zweifelhaften Ruf als Hundefutter eingetragen hat. Kutteln aber, sensibel wie manche Mägen nun einmal sind, verlangen nach Hingabe, Wissen und Zeit beim Kochen und viel Wasser, um aus den wenig feschen Mägen irgendwann etwas zu machen, wonach Esser die Hälse recken. Und genau das tun diese im Osten wie im Westen, im Norden wie im Süden, wo jede Region, jedes Land sich was für ihre Kutteln überlegen durfte, weil kaum eine Speise so vielfältig gestaltbar ist wie eben die Kaldaunen, die Tripes (frz.) oder Trippa (it.). Das ist ihr Trick. Man könnte sie als Opportunisten abtun, weil die Guten sich mit Paradeisern und Parmesan genauso in den Teller legen wie mit Bohnen oder Kraut, aber das wäre hässlich und gemein. Wir kriegen jetzt aber Appetit und schalten zum Meister des Kuttelkochens nach Wien, in die Bar des Restaurants "Korso" bei der Oper.
Hier servierte Gerer einstens in goldgelber Panier (er selbst trug hingegen weiß) etwas, von dem unsere Sechserrunde trotz klarem Bewusstsein nicht erraten konnte, was es war. Frosch? Huhn? Als wir erfuhren, dass wir uns gerade gebackene Kutteln schmecken ließen, waren wir glücklich und weiser geworden. Beweis für intelligentes Essen: Es passt sich Wiener Vorlieben tadellos an und macht in seiner Panier jedem Schnitzel locker und ernsthaft Konkurrenz. Oder Italien, hier haben Kutteln, Trippa, gleich erkannt, welche Freude den Köchen, Essern und Marktstandlern in Florenz die Kombination von Gemüsen und geriebenem Parmesan macht, und sich für ein köstliches Gericht angeboten, dass seit langem zu den Unverzichtbarkeiten der Florentiner Küche gehört. Und wie leicht es doch ist, sich von einer Reisegruppe aus kenntnislosen Nebbochanten mit dem Hinweis zu absentieren, man habe in einem kleinen Restaurant einen Tisch gebucht, wo sie ausschließlich Trippa alla fiorentina servieren. Wer da nein sagt, muss anderntags gar nicht gefragt werden, wenn es mittags auf einen kleinen Happen Lampredotto an den Markt von San Lorenzo geht.
Lampredotto kommt aus dem besonders zarten Labmagen des Rindes. Ich esse ihn auf einem Brötchen mit Salsa verde und trinke dazu ein Glas Chianti. Mehr als eineinhalb Euro muss ich dafür nicht bezahlen. Ein weiterer Beweis für Intelligenz: Kutteln schmeicheln sich bei uns Essern durch ihre Preiswürdigkeit ein. Wir trinken den Rotwein aus und schalten zu unserem Korrespondenten nach Lyon, der Hochburg des Innereienfressens. Ja: Fressen. Was in den engen Bouchons Lyons verdrückt wird, verträgt eine derbe Sprache. In der französischen Innereienküche kommt das Kuttelessen vergleichsweise harmlos daher im Vergleich zu echten Hämmern wie gefüllten Schweinsfüßen oder der auch von Hardcore-Innereienfreaks mit großem Respekt erwähnten Andouillette AAAAA, die einen Freund bei einem Abendessen in Paris einst erblassen und ohne Vorankündigung das Besteck zur Seite legen ließ. Er sprach an dem Abend nur mehr wenig. (Das der einschlägigen Küche zugeneigte Bistro heißt "Pharamond" und befindet sich hinter den ehemaligen Hallen, ist aber nach einem Besitzerwechsel nicht mehr so spannend.) In Frankreich nähert man sich den Kutteln auf viele Arten, zum Beispiel mit einem Topf, wo sie mit Kalbsfuß, Porree, Zwiebeln, Karotten und Kräutern mit Hühnerbrühe, Calvados und Cidre gegart und mit Weißbrot serviert werden.
Von Lyon zurück in die "Bristol"-Bar, angemessener Ort für die Kuttel-Safran-Gemüse-Kombi, mit der Herr Gerer beweist, dass intelligente Köche und intelligentes Essen eine der allerbesten Kombinationen ergeben. Das Grundrezept vieler Kuttelgänge ist im Wesentlichen so, dass die gekochten Kutteln julienneartig in Streifen geschnitten werden und mit Aromen, Gewürzen, Gemüsen, Wein und anderem noch mal je nach Beschaffenheit der Beigaben kürzer oder länger gebraten, geschmort oder einfach gekocht werden. Sie können das auch zu Hause versuchen, werden aber einsehen, dass die Beschaffung von sauber präparierten Kutteln in Österreich ein ungleich schwierigeres Unterfangen ist als zum Beispiel von Gillardeau-Austern.
Auch die Auster hat sich übrigens im Laufe der Zeit an der Kuttel ein Vorbild genommen und sich einer Vielzahl von Rezepten untergeordnet. Austern kann man zum Beispiel ganz appetitlich mit Kraut mischen. Doch darüber kann die Kuttel nur lachen, denn das Kuttelkraut aus dem Hause "Bristol" übertrumpft sie an Legendenhaftigkeit ganz nebenbei. Neuerdings sind dort Kutteln in Rotwein (Man greife dazu zu Barroso, äh, Barolo) mit Bohnen der Hit. Elegant und frühlingshaft nach Wiesenboden duftend treten die Kutteln am selben Ort auch in der Begleitung einer cremigen Sauce und mit Morcheln auf. Ein Sonntagsessen nach einer alten Idee Witzigmanns. Obwohl sie, die Kutteln, so intelligent sind, versagen sie vollkommen, wenn man sie nach der für sie angemessenen Weinbegleitung fragt. Sie sagen einfach nichts. Wir sagen, dass es je nach Laune und Sauce ein durchwegs ernsthafter Wein wie ein Wachauer Smaragd Chardonnay von Hirtzberger sein kann, dass Sie aber mit einem kampanischen Greco di Tufo, auch einem nicht zu charaktervollen Rhônewein ebenfalls ihre Freude haben werden, wobei mit "Sie" Sie gemeint sind, aber auch die Kutteln.

Kutteln gehören zu Florenz wie Michelangelos David. An allen Ecken und Enden, unter Brücken und auf kleinen Plätzen findet man die Wägen der Trippai, wo man Kutteln kochfertig oder zubereitet kaufen kann. Bei den Trippai gibt es auch die besonders zarte Variante des Lampredotto, der warm auf ein Panino gehäuft wird, und sofort – quasi im Vorüberstehen – verspeist wird. Ein Marktbesuch, zum Beispiel auf dem berühmten Markt bei der Kirche San Lorenzo, und ebendort ein Happen Kutteln, einfach mit einem Dash Olivenöl und Zitrone, gehören zu den kulinarischen Uffizien des Florenzreisenden.

Falls Sie jetzt Appetit bekommen haben:

Korso bei der Oper
Mahlerstraße 2, 1010 Wien,
Telefon: 01/51 51 65 46
Reinhard Gerer hat es als einer der ersten erkannt: Wenn ein Koch, der sich auskennt, sich der so genannten Küche des einfachen Mannes annimmt, entsteht mitunter Denkwürdiges. Dazu zählen im „Korso“ zweifellos das akurat geschnittene Kalbsrieslingbeuschel, das Gulasch, Kalbskopf oder die „einbrennten Hund“ (Erdäpfel mit Gurke), die er einmal, möglicherweise aus einer Laune heraus, zu einem Saibling servierte.

Obauer
Markt 46, 5450 Werfen,
Telefon: 06468/52 12-0
Mit Muscheln und Bergkäse hauen die Obauers Kutteln in den Topf und was da serviert wird, ist ein Beispiel für die nie versiegende Power der beiden Berg-fexe und alles andere als ein Essen für Anfänger. Schön zu wissen: Wie in allen besseren Läden des Speisens kosten auch in Werfen die Kutteln gut die Hälfte dessen, was man für Steinbutt & Co kalkulieren muss.

Loibnerhof
Unterloiben 7, 3601 Dürnstein,
Telefon: 02732/828 90-0
Mit Kalbsfuß und Gemüse kochen sie die Kutteln in Loiben, und das schmeckt, als würde man gerade an der Seine speisen und nicht an der Donau. Was für eine herrlichere Ouvertüre kann man sich vorstellen zu den gefüllten Kalbsbrüsten und gebratenen Welsen, die wir im Knoll’schen Veltliner und Riesling schwimmen lassen?

Meixner
Buchengasse 64, Ecke Herndlgasse, 1100 Wien
Telefon: 01/604 27 10
Berta Meixner, die in dieser Enklave für Aficionados des Wienertums kocht, hat ein Händchen für Inneren, und macht aus Kutteln, wenn sie auf der Karte stehen, Kleinode der Vorstadtküche.

Paris
Chez Georges
1, Rue du Mail,
Telefon: 0033/(0)1/42 60 07 11
Klassisches Bistro ohne Ausflüge ins Klischeehafte. Keine Standardkarte. Daher empfiehlt sich vorherige Anfrage, ob die köstlichen Kutteln gerade vorrätig sind. Hier wird mit purer Kraft gekocht, aus großen Töpfen serviert, und wenn auch nicht alles perfekt ist, was auf den Tisch kommt. Schmecken tut es.

Aux Lyonnais
32, Rue Saint Marc,
Telefon: 0033/(0)1/42 96 65 04
Hier kann man durchaus furchtlos dem einen oder anderen Exportartikel aus der Küche der lyonesischen Bouchons gegenübertreten. Denn hinter diesem Schmuckkästchen eines Bistros steht Alain Ducasse, der Allmächtige. Innereien, Kutteln und andere, werden mit derselben Liebe zur Klassik zubereitet wie Hechtnockerl oder Pot au feu.

Lyon
Le Garet
7, Rue Garet,
Telefon: 0033/(0)4/78 60 66 53
Wenige Bouchons gleichen so dem Ideal, das man sich von den kleinen Stuben macht, wo es authentische Kost und einfache Weine zu guter Stimmung gibt, wie dieses. An seiner Fensterfront kleben die Auszeichnungen der diversen Führer, drinnen nimmt man auf einfachen Holzstühlen an kleinen Tischen Platz. Hier ist der Platz, um auf Kutteln oder Andouillettes zu bestehen. Und kein Liebhaber der lyonesischen Küche wird dieses Lokal anders als beglückt verlassen.