Barcelona 5.0

Ferran Adrià hat gemeinsam mit seinem Bruder Albert mitten in Barcelona eine Art kulinarischen Vergnügungspark der Extraklasse geschaffen. Den derzeit vier Restaurants soll nächstes Jahr ein weiteres Edelrestaurant folgen. Und diesen Sommer lockt ein Gourmetspektakel auf Ibiza.

Text von Hans Mahr Foto beigestellt

Wir sitzen im kleinen Vorgarten seines Tickets in Barcelona.

Albert Adrià grüßt Mitarbeiter und Freunde und erzählt von seinen ganz großen Plänen. Ein Telefonanruf, ein paar Mal „Si, si“ und der lockere Albert ist gar nicht mehr so locker. „Ferran ist im Anmarsch, wir testen heute alle unsere Lokale durch“, sagt er und fährt sich nervös durchs Haar. Denn Bruder Ferran ist nicht irgendwer, sondern der bekannteste Koch der Welt – und auch der einzige, vor dem Albert zittert. Ein bisschen jedenfalls.

Die ungleichen Brüder. Hier Ferran, nicht nur Koch-Genie, sondern auch Marketing-Genie. Sein El Bulli hat ihn weltweit bekannt gemacht, er war Stargast bei der Documenta in Kassel, kein TV-Bericht über die wichtigsten Köche der Jetztzeit kommt ohne ihn aus. Jetzt sitzt er im „Bulli Lab“, seit er das Bulli-Restaurant zugesperrt hat. In einem der unzähligen Hinterhöfe von Barcelona wälzt er Pläne und Theorien vom Ursprung des Kochens bis zur Zukunft des Essens. „Ich koche nur mehr für Freunde“, sagt er. Das öffentliche Kochen hat er an seinen Bruder übergeben.

Dort Albert. Eher scheu, zurückhaltend. Er hat für Ferran gekocht, vor allem für die Desserts war er im El Bulli zuständig. Doch seitdem sich der umtriebige Ferran zurückgezogen hat, ist der schüchterne Albert ins Rampenlicht getreten. So nach dem Grundsatz, einer muss es ja machen.

In fünf Jahren hat er ein kleines Imperium von fünf Restaurants im Süden von Barcelona geschaffen. Abseits der Touristenströme, zehn Minuten von den Ramblas entfernt. Bruder Ferran steht ihm mit Rat und Tat zur Seite. „Wenn er Zeit hat“, schränkt Albert ein. Aber man kann davon ausgehen, dass er nicht nur einmal pro Jahr testend von Lokal zu Lokal wandert.

Mit dem Tickets hat es begonnen, das zweite Leben der Adrià-Brothers. Ein Ecklokal mit 60 Sitzplätzen, ein wenig an die Kino-Vorräume erinnernd, mit kleiner Bar, ein paar Theken, mit Popcorn-Maschine und Designsesseln. Spaß sollten die Gäste haben, locker sollte es sein, ruhig ein bisschen lärmig, ein modernes Design-Wirtshaus. Also eigentlich das Gegenteil vom berühmten El Bulli – aber trotzdem gut, mit den populärsten Gerichten von damals. Falsche Oliven, die im Mund zerplatzen, die Mini-„Airbags“ mit Manchego, die Shrimps mit Green Peppers und das Milchferkel auf einer Mini-Ciabatta. Und das alles erschwinglich – um 60 Euro is(s)t man dabei.

„Wir waren vom ersten Tag an erfolgreich, die Bude war voll – und Gott sei Dank ist es bis heute so geblieben“, erinnert sich Albert. Kein Wunder, denn nur an der Avinguda del Parallel im Sant Antoni-Viertel von Barcelona konnten sich die eingefleischten El Bulli-Fans einen sentimentalen Nachschlag holen. Aber das Tickets war nur der Auftakt: „Ich wollte einen kulinarischen Vergnügungspark schaffen – mit verschiedenen Lokalen, in denen traditionelle Küche neu angeboten wird.“ Und so wuchs und wuchs das Adrià-Imperium Barcelona 5.0. Schräg gegenüber die Bodega 1900 mit viel Schinken und Wermut, auf der anderen Seite das Pakta mit raffinierter japanisch-peruanischer Küche und weiter oben, aber auch nur einen Steinwurf entfernt, Hoja Santa und Nino Viejo, ersteres mit mexikanischer Designküche und letzteres als Mex-Tapas-Bude.

„Das Fine Dining der alten Ära funktioniert nirgends mehr“, erklärt Albert. Die kalte Atmosphäre in den noblen Sterne-Tempeln, die unnahbaren Kellner mit leicht erhobener Nase und – wenn’s ganz blöd kommt – mit weißen Handschuhen, diese Distanz zwischen Küche und Gästen, die braucht heute keiner mehr. Da hat er recht, der Albert. Und recht hat er auch mit dem Business-Konzept. Denn es funktioniert: Fast 100.000 Menschen pro Jahr lassen sich von ihm in seinem kulinarischen Vergnügungspark verköstigen. Manche planen ein Adrià-Wochenende: Freitag japanisch, Samstag zu Mittag spanisch und am Abend mexikanisch oder ins Tickets.

Albert Adrià gerät in der lauen Abendluft von Barcelona ins Schwärmen: „Viele haben mir gesagt, so schnell kann man nicht fünf Restaurants hochziehen, innerhalb von nur fünf Jahren. Aber ich sage Ihnen, das ist wie eine Familiengründung. Wenn man die Kinder in kurzer Zeit hintereinander bekommt, dann hat man mehr Spaß damit und man ist noch immer jung, wenn sie Teenager werden.“

Abrupt springt er aus dem Sessel und läuft zur Straßenecke. Dort ist gerade Bruder Ferran vorgefahren. Ein Restaurant-Manager übernimmt das Parken und die Brüder umarmen sich. „Heute kosten wir uns durch alle Lokale“, sagt Ferran, der den ganzen Tag in seinem „Bulli Lab“ nicht unweit vom Restaurant-Zirkus verbracht hat. Und man merkt ihm an, dass er sich darauf freut. Die Brüder beginnen mit dem Schinken in der Bodega, mit einem Glas Wermut, wie sich’s in Spanien gehört.

Albert’s Assistentin Claudia soll mir zwischenzeitlich das neue, irgendwie noch halb geheime nächste Projekt im Adrià-Viertel zeigen. Sieben Häuser weiter, ein Altbau, außen bröckelt der Mörtel. Claudia sperrt die kleine Stahltür auf und lässt mich rein in die mehr als 1.000 Quadratmeter große Baustelle. Überall Plastikplanen, wo später Wände hinkommen sollen, noch alles Weiß in Weiß und viel Schutt am Boden. „Das wird eine ganz große Sache – in die hintere Hälfte übersiedelt das ,El Bulli Lab‘ von Ferran und im vorderen Teil entsteht“, Claudia macht eine dramatische Kunstpause, „da entsteht Alberts neuer Restauranttraum, das Enigma!“ Enigma, lateinisch/griechisch für Mysterium oder Rätsel.

Ein bisschen Licht ins dunkle Mysterium bringt der Chef selbst, als wir uns später bei neu-mexikanischen, kalorienreduzierten und trotzdem schmackhaften Burritos, Tacos und Moles im Hoja Santa treffen. Ein bisschen Dialektik ist notwendig, um das Enigma in die Adriá-Ideologie einzupassen. Denn der neue Traum ist die Antithese zu den einfachen „Spaß-lokalen“, die da rund ums Tickets entstanden sind. „Das wird der Höhepunkt unserer Küchenphilosophie – nur 24 Gäste, 40 Mann/Frau Personal.“ Wie auf einem Parcours sollen die Gäste von einer Cocktailbar zu den Vorspeisen wandern und weiter in das Allerheiligste, den Speisesaal, der wie ein heiliger Gral angelegt ist.

Sie können’s nicht lassen, die Adrià-Brüder, bei aller Ablehnung von Sterne-Lokalen. Ganz oben in der internationalen Küchenwelt mitzumischen, das liegt ihnen im Blut. Hinten werkt Ferran in seinem „Lab“, und vorne kocht diesmal Albert. Seit dem Zusperren vom El Bulli war es eigentlich klar, irgendwann musste mit dem Mythos „Adrià“ wieder etwas entstehen, das international Furore macht. Wo sich die Menschen zu Zehntausenden anmelden wie im El Bulli, um einmal im Leben im kulinarischen Himmel dabei sein zu dürfen.

Ferran und Albert arbeiten schon am Konzept für das Rätsel-Restaurant, das im kommenden Jahr („wann genau, wissen wir noch nicht“) aufsperren soll. Ferran: „Das Tasting Menu muss Rhythmus und Melodie haben, es muss eine Interaktion zwischen dem Chef und den Gästen geben.“ Und Albert, der im Enigma tatsächlich in der Küche stehen will, ergänzt: „Es geht auch ums perfekte Timing – zweieinhalb Stunden darf das Ganze dauern, länger nicht.“

Klingt doch gut, und tatsächlich gästefreundlich. Schließlich ist nicht nur die Zeit der kalten Sterne-Tempel vorbei, sondern auch die des endlosen Wartens und des endlosen Auftischens, bis der p. t. Feinschmecker nach Mitternacht erschöpft das Lokal verlassen kann. Doch zurück zu den Adrià-Brüdern. Wie viel soll diese kulinarische Enigma-Sensation denn kosten? „So um die 200 Euro“, schätzt Albert. „Wir wollen ja nicht nur für die Reichen kochen.“

Doch wer wirklich viel Geld hat und auch bereit ist, es für Speis und Trank der besonderen Art zu investieren, dem wollen die Brüder ein Über-Drüber-Super-Angebot machen. Albert gerät ins Schwärmen: „Wir denken an eine Adrià-Tour. In jedem der fünf Lokale Tickets, Bodega 1900, Pakta, Hoja Santa, Enigma gibt es ein paar Gänge – und die Gäste werden in einem Rolls Royce von einem zum nächsten gebracht.“ „Adrià-Experience“ soll es heißen, nur ein Tisch pro Tag, 500 bis 600 Euro pro Person. Das Gedränge wird trotzdem groß sein – bei nur vier Sesseln am Tag.

Doch trotz des angedachten Höhenflugs ist Albert später am Abend wieder am Boden angelangt. Hat er sich mit dem Adrià-Imperium 5.0. seinen Lebenstraum erfüllt, ist die Frage. Und die Antwort kommt wie aus der Pistole geschossen: „Ein Lokal möchte ich noch aufsperren – eine moderne Pizzeria. Da gibt’s eine originale Pizza Margarita und die Beilagen kann dann jeder selbst bestimmen!“

Avingua del Parallel 154
08015 Barcelona
www.ticketsbar.es

Pakta
C/Lleida 5
08004 Barcelona
www.pakta.es

Bodega 1900
Carrer de Tamarit 91
08015 Barcelona

Hoja Santa
Avenida Mistral, nº54-56
08015 Barcelona
www.hojasanta.es

Website für alle Restaurants: www.elbarriadria.com