Essen zwischen den Zeiten

In der Gewalt der Tsunamituchent. Über Nutzen und Notwendigkeit des Essens am Nachmittag.

Essen zwischen den Zeiten

Text von Alexander Rabl Fotos: Alexi Pelekanos, beigestellt
Die Geschichte ist wahr oder auch erfunden, jedenfalls handelt sie von Hubrich, der eines dienstäglichen Morgens merkte, dass ihn seine Betttuchent nicht aus dem Bett lassen wollte. Sie drückte ihn nieder mit der Gewalt eines Tsunamis und wie er auch strampelte und dagegen drückte, er war und blieb machtlos gegen ihre Wucht. Die Tuchent lag auf ihm und ließ ihn nicht los.
Seinen ersten Termin des Tages versäumte Hubrich noch leichten Herzens. Kann ja mal passieren, sagte er, ich kann ja sagen, dass die U-Bahn nicht gekommen ist, denn dass meine Tuchent mich nicht aus dem Bett ließ, das erzähle ich lieber niemandem, weil sie mich sonst für komplett krank halten.
Als es gegen zehn Uhr ging und Hubrichs Tuchent Hubrich immer noch nicht aus ihrer Umklammerung gelassen hatte, kriegte Hubrich eine kurze Aufwallung einer Panikattacke. Der nächste Termin des Tages war so, dass er ihn eher nicht versäumen wollte. Ein unter allen Umständen wahrzunehmender Termin war er. Wie Hubrich unter seiner schweren Tsunamituchent lag, merkte Hubrich in seiner Angst gar nicht, dass die Tuchent langsam von ihm abließ. Als er es gemerkt hatte, warf er sie in eine Ecke des Schlafzimmers, wo sie liegen blieb, erschlafft und kraftlos. Hubrich warf sich selbst ebenso aus dem Bett, streifte das morgendliche Hygieneprogramm und schaffte es gerade noch rechtzeitig eine halbe Stunde zu spät zu seiner Verabredung. Er wirkte so wie immer. Von seiner Betttuchent, die ihn drei Stunden lang festgehalten hatte, nichts zu erzählen, hielt er für ratsam. Der Tag ging in unziemlicher Hektik weiter. Dinge, die am Vormittag nicht zu erledigen gewesen waren, mussten getan werden. Das Frühstück hatte Hubrich ausfallen lassen, zum Mittagstisch kam er wegen der Gewalt seiner Tsunamituchent zu spät. Es war nämlich so, dass zu dieser Zeit die Restaurants keine Gäste mehr empfangen wollten. Frustriert stärkte Hubrich sich am Stehbuffet. Am Abend kriegte er Angst, die Attacke seiner Betttuchent könnte sich vielleicht wiederholen.
Hubrich ging an diesem Abend besonders spät zu Bett. Alles, was wir tun, sagte er sich, bevor er einschlief, tun wir aus Angst vor unseren Betttuchenten.
Am Morgen schien alles normal. Das Fenster des Schlafzimmers stand leicht offen und ließ den Gesang der Vögel herein. Es war ein schöner Morgen. Hubrich wollte seinen Morgengeschäften nachgehen. Hingegen seine Bettdecke umklammerte ihn mit nie erlebter Wucht. Dieses Mal kämpfte er nicht mehr, er fand sich damit ab und schlief eine Runde. Nach einer Stunde war Hubrich wieder wach und wollte aufstehen. Er versuchte, die gewaltig schwere Betttuchent von sich zu stemmen. Doch sie war mächtiger als er, klammerte sich an ihn, und drückte ihn nieder. Er probierte es mit einem Trick: Er würde so tun, als würde er nicht aufstehen wollen und unter einem kleinen Schlupfloch unter der Tuchent hervorschlüpfen. Aber als ob die Tsunamituchent dies geahnt hätte, was Hubrich vorhatte, verschloss sie alle Schlupflöcher. Gegen ihre Kraft wie auch gegen ihre Geistesgegenwart hatte Hubrich nun nichts mehr auszurichten. Vom aussichtslosen Kampf erschöpft schlief Hubrich abermals eine Runde.
Gegen zwölf Uhr mittags ließ die Decke von ihm ab. Seine Terminplanung hatte gegen ein Uhr ein Mittagessen vorgesehen. Aber unaufschiebbare Besorgungen duldeten keine Rücksicht auf den Hunger. Wieder stand Hubrich am Nachmittag vor verschlossenen Restauranttüren, später am Stehbuffet. Sollte er die Polizei anrufen? Sie würden ihn für verrückt erklären. Man würde ihn einweisen. Also tat Hubrich nichts. So ging alles ein paar Wochen wie gehabt weiter, Wochen, während denen es Hubrich immer weniger denkbar schien, jemals zu den mittäglichen Öffnungszeiten pünktlich in einem Restaurant zu erscheinen.
Das Stehbuffet, das den ganzen Tag offen war, hatte Hubrich hasslieben gelernt. Nachmittags war es fast leer. Bis eines Tages eine Eule in dem Stehbuffet auftauchte. "Unsereins schläft ja nicht in der Nacht", sagte die Eule, "man ruht ein wenig vormittags, da stellt sich auch der mittägliche Hunger erst gegen drei Uhr ein. Aber was für ein Desaster!" Die Eule musterte das Angebot in der Vitrine des Stehbuffets. "Und warum sind Sie hier?", fragte die Eule Hubrich. Hubrich hatte sich vorgenommen, niemandem von seiner Tuchent zu erzählen, deren Methoden im Lauf der letzten Wochen immer brutaler geworden waren. "Ich komme gerade von einer Insel und leide noch unter dem Jetlag, weshalb ich erst am Nachmittag Hunger kriege", log Hubrich. "Wäre es nicht was, wenn man zwischen 2 Uhr mittags und 6 Uhr abends einfach ganz normal essen könnte", sagte die Eule. "Es muss doch Plätze und Orte geben, wo man das kann." "Meine lieben Stammlokale pflegen die ausnahmslose Nachmittagsruhe", sagte Hubrich, während er in seine Schnitzelsemmel biss, Kalbswiener, immerhin. "Sie sagen, es sei außerdem ein Zeichen von dekadentem Verfall, außerhalb der klassischen Essenszeiten eine warme Mahlzeit zu begehren", sagte Hubrich, der noch die Abdrücke seiner Tsunamituchent im Gesicht trug und wie jeden Nachmittag hoffte, dass sie niemand bemerken würde. Die Eule lachte. "Dekadenter Verfall?", sagte die Eule. "Lieber dekadent als verhungert." Und dann erblickte sie ein Exemplar der aktuellen Ausgabe von A la Carte, das den Weg auf den Tresen des Stehbuffets gefunden hatte, und in dem ein Kompendium der Restaurants zu finden war, die nachmittags kochten und servierten.

Adressen

In Wien
Fabios 1010 Wien,
Tuchlauben 6,
Tel.: 01/532 22 22
"fabios" befindet sich gerade wieder in ausgezeichneter Form. Und wer so gut in Form ist, macht auch zwischen Mittag- und Abendessen nicht schlapp. Eine Nachmittagskarte erwartet Spätankömmlinge in Wiens Herzeigeitaliener, die auch im Nachthemd eingelassen werden, solange es von Dries van Noten oder Helmut Lang stammt.
Meinl am Graben 1010 Wien,
Graben 19,
Tel.: 01/532 33 34
Das komplette Meinl-Feeling bietet die Mannschaft rund um Joachim Gradwohl und Hermann Botolen von 12 bis 18 Uhr. Besser kann man in Wien am Nachmittag nicht essen, weil man auch mittags und abends in Wien kaum besser essen kann.
Umar 1040 Wien,
Naschmarkt 76–79,
Tel.: 01/587 04 56
Die Qualität des Meeresgetiers beim "Umar" lässt Österreich der Bretagne (wie auch der Südsee) ein paar hundert Kilometer näher rücken. Am Nachmittag entspannt sich der Betrieb: Gelegenheit für einen großen Fisch ohne große Hektik.
Una 1070 Wien,
Museumsplatz 1, Museumsquartier,
Tel.: 01/532 65 66
Von den vielen austauschbaren Verpflegungsstätten im Museumsquartier, die allesamt durch sehr liberale Öffnungszeiten glänzen, sei das "Una" nicht nur wegen seiner wunderschön gestalteten Fliesen-Decke (nicht zu verwechseln mit: Tuchent) hervorgehoben, sondern auch wegen der jugendlich entspannten Küchenlinie mit Bio-Produkten und Pfiff.
Schwarzes Kameel 1010 Wien,
Bognergasse 5,
Tel.: 01/533 81 25
Litschauer Leberkäse mit Senf und Joursemmel, Hummercocktail, Tuna mit Sesam oder Wiener Schnitzel aus der Jausenküche von Christian Domschitz – sie können nichts anderes als lebensrettend sein.
Meixner’s Gastwirtschaft 1100 Wien, Buchengasse 64,
Tel.: 01/605 27 10
Am Sonntag Nachmittag seinen Kalbsbraten oder das gemischte Gebackene beim "Meixner" einzunehmen, gehört zu den ganz großen Privilegien, die diese Stadt und nicht nur der zehnte Bezirk zu bieten haben.
Plachutta Hietzing 1130 Wien,
Auhofstraße 1,
Tel.: 01/877 70 87
Am Wochenende werden die Hietziger Bürger, die sich am Gesottenen in der Rindsuppe laben, von jüngeren Spätaufstehern abgelöst, die dann auch gerne zur großen Portion Beef tatar greifen, um die Party der letzten Nacht besser zu verdauen.
Bar Italia 1060 Wien,
Mariahilfer Straße 19–21,
Tel.: 01/585 28 38
Außer Polentapizza und Antipasti serviert die gut konditionierte Crew der "Bar Italia" den hungrigen Mariahilfern noch jede Menge andrer gut portionierter Gerichte.
Do & Co in der Albertina 1010 Wien,
Albertinaplatz 3,
Tel.: 01/532 96 69
Nicht immer sind der frittierte Fisch oder die Calamari topfrisch, nicht immer der Thunfisch richtig gebraten. Doch ein sonniger Nachmittag mit Blick über den Burggarten ist auch dann ein Genuss, wenn man sich zum Essen nicht eine ganze Flasche Cava reinzieht.
Steirereck im Stadtpark 1030 Wien,
im Stadtpark,
Tel.: 01/713 31 68
Familie Reitbauer, Teil 1: Eine bestens disponierte Mannschaft sorgt dafür, dass Parkspaziergänger in der ehemaligen Meierei auch nachmittags nicht darben müssen. Aus einer kleinen Jause kann so unvermutet ein kleines Festessen werden.
Hansen 1010 Wien,
Wipplingerstraße 34,
Tel.: 01/532 05 42
Leo Doppler, erfindungsreicher Wirt und Weinkenner, hat als erster die Nachmittagslücke der Wiener Gastronomie erkannt und füllt sie auch heute noch ganz hervorragend.
Palmenhaus 1010 Wien,
Burggarten,
Tel.: 01/533 10 33
Am Nachmittag lichtet sich das Chaos in Küche und Service, man kann die Einmaligkeit der Location genießen und sich für eine kurze Zeit den Anschein geben, nicht in Wien, sondern, ja, in Paris zu sitzen.
Kent 1160 Wien,
Brunnengasse 67,
Tel.: 01/405 91 73
Der Kult-Orientale am Brunnenmarkt, der nicht nur das beliebte Frühstück bis in die späten Nachmittagsstunden anbietet. Eine der ersten Adressen, in denen der Begriff "Bobo" gefallen sein mag.
Zu den drei Hacken, 1010 Wien
Singerstraße 28, Tel.: 01/512 58 95
Die Wiener Küche, wie wir sie von unseren böhmischen Hausköchinnen kennen (wie? Sie hatten keine böhmische Köchin?), dazu eine Extraportion Innereien und eine extra-dicke Weinkarte.
Vikerl’s Lokal 1150 Wien,
Würffelgasse 4
Tel: 01/894 34 30
So lange die Übersiedlung nach Göttlesbrunn auf sich warten lässt, stehen am Sonntagnachmittag die "Vikerl"-Fans vor dem kleinen Lokal Schlange. Man erzählt von Kalbsbrüsten und gefüllten Hendln. Nein, man erzählt nicht nur, man schwärmt davon.
Schweizerhaus 1020 Wien,
Prater 116,
Tel.: 01/728 01 52
Eigentlich ein perfektes Nachmittagsessen: Alles, was dem "Schweizerhaus" zu seiner Berühmtheit und den Internisten seiner Stammgäste zu hohem Einkommen verhilft.
Le Salzgriess. 1010 Wien,
Marc-Aurel-Straße 6,
Tel.: 01/533 40 30
Mit den Franzosen ist es in Wien wie mit den Indern: Man ist froh, wenn man überhaupt einen findet und wenn der dann auch am Nachmittag kocht, fragt man sich nicht mehr lange.

Rund um und in Salzburg:
Schlosswirt 5081 Anif,
Salzachtal Bundestraße 7,
Tel.: 06246/721 75
Eine der raren Gelegenheiten: In der Saison bietet der Schlosswirt ein leicht reduziertes Nachmittagsangebot. Man darf mit Fritattensuppe, Eierschwammerlgulasch und Schnitzel rechnen.
Carpe Diem 5020 Salzburg,
Getreidegasse 50,
Tel.: 0662/84 88 00
Manche finden es nervig, die Kreationen von Jörg Wörthers Mannschaft aus essbaren oder gläsernen Cones befreien zu müssen. Über die superbe Qualität dieser Mikrokosmen des guten Geschmacks besteht hingegen Einigkeit.

Wachau
Jamek 3610 Joching,
Josef-Jamek-Straße 45,
Tel.: 02715/22 35
Ein Nachmittag beim "Jamek" mit Topfenhaluschka und Ried Klaus. Das mochten schon unsere Großeltern, und sie hatten ziemlich Recht damit.
Holzapfels Prandtauerhof 3610 Joching 36,
Tel.: 02715/23 10
Im "Prandtauerhof" isst man nicht nur am Nachmittag, sondern auch sonst so gut wie schon lange nicht.
Landhaus Bacher 3512 Mautern,
Südtiroler Platz 2,
Tel.: 02732/823 97
Sonntag wird im Landhaus durchgekocht, wie es gerne heißt. Manche verlängern den Nachmittag dann auch gerne in den Abend.

Graz
Frankowitsch 8010 Graz,
Stempfergasse 2–4,
Tel.: 0316/822 21 20
Manche sprechen von der Grazer Ausgabe des "Schwarzen Kameels". Lächerlicher Vergleich, werden die Grazer sagen, die Wien schon einmal als Grazer Vorort bezeichnet haben. Eines steht jedenfalls fest: Die Brote sind gut.

Innsbruck
Cammerlander 6020 Innsbruck,
Innrain 2,
Tel.: 0512/58 63 98
Kunterbuntes Durcheinander aller möglichen Kochstile. Die Innsbrucker nehmen’s mit Genuss zur Kenntnis.
Solo Pasta/Solo Vino
Universitätsstraße 15a/15b
Tel.: 0512/58 72 06
Teigwarenküche und Vinothek gehen hier ein architektonisch gelungenes Nebeneinander ein. Die Studenten aus der Umgebung schwänzen hier gerne mal eine Vorlesung.

Rund um Wien
Gut Oberstockstall 3470 Kirchberg am Wagram, Oberstockstall 1,
Tel.: 02279/23 35, Der perfekte Landausflug. Das war es vor fünfzehn Jahren und ist dieses freundliche Gut im Niemandsland immer noch.
Hanner 2534 Mayerling
Heinz-Hanner-Platz 1,
Tel.: 02258/23 78
Heinz Hanner kocht so gut und gerne, dass es ihm nichts ausmacht, das auch am Sonntagnachmittag (allerdings nur dann) zu tun. Im "Hanner legere", dem hauseigenen Bistro, gibt es auch an anderen Wochennachmittagen was Warmes und Gutes.
Stockerwirt 2392 Sulz im Wienerwald, Hauptstraße 36,
Tel.: 02238/82 59
Hier lockt die Wienerwäldlerische Wirtshausidylle. Nachmittagsesser sind im Vorteil: Sie müssen nicht mit mehreren hunderten hungrigen Mäulern um die Gunst der Küche buhlen. Der Nachteil: Diese zeigt zu fortgeschrittener Stunde kleine Erschöpfungssymptome.
Mörwald Kloster Und 3500 Krems-Stein, Undstraße 6,
Tel.: 02732/704 93-0
Leonard Cernko ist alles andere als eine Eintagsfliege unter den jungen Kochstars. Seine Hervorbringungen kann man auch am Sonntagnachmittag genießen.
Schickh 3511 Klein Wien,
Avastraße 2,
Tel.: 02736/72 18
Urgestein der Wachau-nahen Gastronomie. Die Marillenknödel zur Saison sind allein ein guter Grund hierher zu fahren. Flusskrebse und Backhendl ein paar weitere.
Jeitler 2833 Bromberg, Oberschlatten 1,
Tel.: 02692/82 67
Jeitler kocht von Jahr zu Jahr, von Monat zu Monat besser. Schneckenragout mit Spinat und gebackenem Kalbskopf – mehr braucht nicht gesagt zu werden.

Burgenland
Mole West 7100 Neusiedl am See,
Strandbad West Mole,
Tel.: 02767/202 05
Die Küche in der Mole zieht kräftig an.Kein Zweifel also, dass die Einkehr lohnt, auch wenn man mehr als Kaffee und Kuchen im Sinn hat.
Zur Dankbarkeit 7141 Podersdorf,
Hauptstraße 39,
Tel.: 02177/22 23
Der Ausflugsgasthofklassiker in Podersdorf belohnt Spätbesucher mit weniger Rummel und entspannten Gesichtern im Service.
Taubenkobel 7081 Schützen im Gebirge, Hauptstraße 33,
Tel.: 02684/22 97
First-Class-Küche mit dem kräftigen Schuss Internationalität, die ein Top-Sterne-Lokal zu brauchen scheint: sonntags auch nachmittags. Und in der nebenan gelegenen Greißlerei regionale Vorspeisen, Backhendl und Gulasch.

Steiermark
Wirtshaus Steirereck 8625 Turnau,
Pogusch 21,
Tel.: 03863/20 00
Familie Reitbauer, Teil 2: Hier wurde alles erfunden, das Bauernbrat’l, die Schildermalerei, die steirische Romantik, der begehbare Weinkeller, die gute Laune und das gemäßigte Völlern von vormittags bis in die späte Nacht hinein.