Kleine Esser, große Küche

Stundenlanges Sitzen, Rituale akzeptieren und niemals die Contenance verlieren. Spitzengastronomie bringt mitunter auch Erwachsene an ihre Grenzen. Wie geht es da erst Kindern? Und ist es heutzutage noch akzeptabel, dass manche Restaurants in London oder Paris Kinder unter zwölf Jahren als Gäste ablehnen?

Text von Alexander Rabl/Foto: Getty Images

Papa, gibt es Spaghetti oder Gnocchi?“ Papa fragt den Maî­t­re d’ des Zwei-Sterne-Restaurants in Barcelona. „Hätten Sie für die Elfjährige ­irgendwas?“ Man habe nichts, wird Papa beschieden. Ob man nicht doch improvisieren könne? Man könne nicht. „Außerdem gibt es nur das Menü für alle an einem Tisch“, so der Maî­t­re d’. Die Kleine ­allerdings hat keine Lust auf Texturen und dergleichen. Was tun? Das Kind mit dem Achtgängigen quälen und einen Eklat riskieren? Papa entscheidet sich anders, er steht auf und verlässt mit fünf anderen Gästen das Restaurant. Hans Mahr ist weitgereister Feinschmecker, schreibt darüber regelmäßig, u. a. auch im Magazin A la Carte. Die Story aus Barcelona erzählt er gerne, sie scheint ihm typisch, und er hält mit seinem Ärger nicht hinterm Berg.

Kinder im Restaurant, Kinder im sehr guten Restaurant, ein Fall für Kontroversen und Krisen? Falls dem Leser aber nach Aufregung ist, so müssen wir ihn enttäuschen. „Grundsätzlich gilt bei uns: Jeder wird gleich behandelt“, sagt Berthold Obauer, Maî­t­re und Restaurantleiter bei den Obauers im Salzburger Werfen. Wer bei Obauers einkehrt, nimmt das Miteinander aus Vierertischen, Pärchen und Familien auf angenehme Weise wahr. Obauer erzählt: „Für die Stimmung in einem Restaurant ist das cool, wenn Kinder da sind. Das Steife, keine Kinder, keine Hunde, ist nicht so unseres. Die Gäste sagen allerdings beim Reservieren, dass sie mit Kindern kommen.“ Obauer weiter: „Die Kleinen und die Jungen sollen auch auf den Geschmack kommen und lernen, was Genusskultur, ist und dass ein Restaurant mehr sein kann als bloß Essen und Trinken.“ Natürlich sehen viele der kleinen Gäste ein gutes Restaurant und sein Angebot nicht zum ersten Mal, wie Obauer sagt: „Unsere Gäste und ­deren Kinder haben ein Verständnis für das Funktionieren unseres Restaurants, das Ritual beim Essen.“ Und ein Angebot für die Kleinsten unter den Kleinen beziehungsweise die ­unter ihnen, die beim Essen noch ein bisschen zögerlich sind, gebe es natürlich auch. „Ein Kindermenü beginnt mit Butternockerlsuppe, dann gibt es ein Fischgericht oder Wiener Schnitzel, als Nachspeise Eis oder Schokoladendessert. Viele Sechsjährige essen aber gleich das sechsgängige Menü. Das fasziniert mich dann total. Die Eltern bringen ihre Kleinen auf den Geschmack, wenn es heißt: Jetzt isst du beim Obauer, jetzt isst du mal kein Schnitzel.“ Die Frage nach einer Belästigung anderer Restaurantgäste durch die Kleinen stelle sich eigentlich nicht, denn wie Berthold Obauer sagt: „Unsere Gästekinder sind mit Restaurants aufgewachsen, und sie wissen, wie man sich benimmt. Die Eltern merken selbst aber auch, wenn es einmal schwierig wird. Dann macht man halt einen kurzen Spaziergang. Und nachher passt wieder alles. Dass sich ein Tisch über Kinder beschwert, das haben wir noch nie erlebt.“ Obauer hat in Shanghai gearbeitet und davor im Steirereck in Wien, bevor er nach Werfen zurückkehrte. Er erzählt: „In China sind die Kinder total gedrillt. Im Steirereck wussten alle Gäste, es gibt gewisse Regeln, und es gab nie Probleme.“ In kulinarisch aufgeweckten Kulturen sitzen die Kleinen selbstverständlich am Tisch mit den Großen, und die Küche macht wenig Unterschied, höchstens bei der Portionsgröße. Ein Mal in Süditalien zu Gast, und man begann den Lärmpegel und die leichte Aufgeregtheit zu vermissen, wenn man wieder einen Betrieb im Norden aufsuchte. Da, wo man ein bissel strenger ist, in Deutschland und Österreich, war das vor ein paar Jahren noch anders.

Gibt es in Österreich ein Stadt-Land-Gefälle in puncto Lässigkeit? Fragen wir Silvio Nickol. Er und seine Frau Simone erwarten das zweite Töchterchen, das erste, Stella, ist gerade zwei Jahre alt. Er sagt: „Es bleibt den Gästen selbst überlassen, ob sie mit Kindern kommen.“ Für weniger erfahrene kindliche Gaumen gibt es dann Pasta und als Dessert Eis in der Küche. „Da bekommt dann jeder eine Kochhaube, und das mögen sogar die Kleinsten unter den Kleinen.“ Nickol und seine Frau als kulinarisch Erziehungsberechtigte – die Kinder sind natürlich zu beneiden. Er erzählt: „Stella ist unglaublich neugierig. Für ein Restaurant der Klasse eines Landhaus Bacher etwa ist sie noch etwas zu klein, als wir mit ihr dort ­waren, hat sie, glaube ich, nicht viel davon mitbe­kommen. Und zurzeit kann sie nicht länger als eine Stunde ruhig sitzen. Wenn sie dann drei Jahre ist, werden wir sie schon öfter in die guten Restaurants mitnehmen.“ Manchmal könnten einem die Kleinen fast leidtun, wenn sie zu einer Zeit, in der ihre ­Altersgenossen schon im Bettchen lägen, noch ­einem sechsgängigen Menü beiwohnen müssten. Silvio Nickol sagt: „Unsere Kleine liegt um acht im Bett. Da gehen andere erst ins Restaurant.“ ­Nickol weiß aus seiner Erfahrung als Gastgeber und Vater: „Ich finde es wichtig, immer die sogenannten Regeln aufzuzeigen, also Hände waschen, sitzen bleiben, schließlich: beim Essen auf den ­Geschmack kommen.“ Darum gehe es doch vor allem. Nickol erinnert sich aber auch an seine Zeit als Souschef in der Traube Tonbach, wo er gemeinsam mit Harald Wohlfahrt kochte: „Das war vor zwanzig Jahren, als in Restaurants dieser Kategorie kaum Kinder an den Tischen anzutreffen waren. Die Gäste nahmen sich dann meistens Babysitter.“

Susanne Dorfer, die das Landhaus Bacher leitet, erinnert sich: „Ein Mal gingen wir mit den Eltern in Wiens erstes Restaurant, das Steirereck, es war unheimlich nett mit Reitbauer senior. Er hat uns Kindern fast mehr Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen als den Eltern. Wenn man selbst Kinder hat, weiß man, wie man mit Kindern umgeht. Für Kinder, die nicht alles essen, gibt es im Landhaus ­Bacher Naturschnitzel oder so etwas. Und es gibt auch ein Kinder-Amuse, ein Butterschnitzel. Ich denke schon, dass immer mehr die Kinder ins ­Restaurant mitnehmen. Die Kinder unserer früheren Gäste kommen jetzt als Erwachsene – Stichwort: Gäste der Zukunft. Ich erinnere mich, wenn wir essen waren und meine Schwester dem Papa das Amuse weggegessen hat, während er die Weinkarte studiert hat.“ Ist Österreich besonders familienfreundlich? „Manche Restaurants im London oder Paris nehmen keine Kinder unter zwölf Jahren. Das halte ich jetzt aber nicht für diskriminierend, weil manchmal ist man nicht dafür eingerichtet oder der Platz für den Kinderwagen fehlt.“

Keine Kinder unter einem gewissen Alter? Da war doch mal was.

Der immer liebenswürdige Patron Thomas Riederer vertat sich einmal, als er vorschlug, keine Kinder unter 16 Jahren in sein Restaurant Tom am Kochen mitzunehmen. „Das kriegte jemand von der lokalen Ausgabe der Kronen Zeitung mit, mehr haben wir nicht gebraucht.“ Der Shitstorm war gewaltig. Riederer zog zurück und meinte, dass ein drei Stunden dauerndes Menü für Junge eher eine ­Zumutung als eine Freude darstellen würde. Das war 2013. Tatsächlich ist es so, dass die doch insgesamt eher konservativen Österreicher in Angelegenheiten um Kinder oder Hunde im Restaurant extrem tolerant sind.

Hans Mahr ist gerne mit Kindern unterwegs, und er sagt: „Vor ­allem in den feinen Restaurants gibt es zwei Möglichkeiten. Die einen, die das auch als Werbung sehen; und die anderen, die dazu keinen Zustand haben.“ Er erinnert sich mit Schrecken an das Ein-Sterne-Restaurant in Rovinji. „Das Menü um 100 Euro für das sechsjährige Kind. Man war da nicht flexibel. Wir sind gegangen.“ Und im Übrigen, fügt er hinzu, sei das Essen dort so, dass ein Kind danach nie wieder in ein Sternerestaurant gehen wolle. Dass es eben auch anders gehe, bewies Anne-Sophie Pic in Valence. Als Mahr mit Frau und Kind dort aß, kam die ­Küchenchefin selbst an den Tisch und schlug vor, für die Sechsjährige ein eigenes Menü zu komponieren. „Darunter ein grandioser Hamburger mit eckigen Pommes“, schwärmt Hans Mahr. Man bedankte sich für die Aufmerksamkeit, und Madame Pic erzählte, dass das nicht von Ungefähr komme: „Wir liegen am Weg von ­Paris in die Provence. Weit und breit kein anderes Restaurant, aber eine Menge Autobahnraststa­tionen. Wenn die Eltern mit den Kindern essen ­gehen wollen, die Kinder aber nicht zu Pic wollen, weil sie da schlechte Erfahrungen machen mussten, gehen die Eltern in die Raststation. Dann ­haben wir sie als Gäste verloren.“

Hans Mahr weiter: „Im Azurmendi in Bilbao waren wir erst vor Kurzem, da gab es gleich bei den Appetithäppchen für die Kinder ein spezielles Programm. Kinder mögen nicht unbedingt aufgespießte rohe Scampi. Es gab ein Kindermenü, fünf Gänge um 35 Euro. Die Begründung für dieses Entgegenkommen glich der von Pic: Wer am Sonntag mittags essen gehen will, muss die Kinder mitnehmen, sonst kommt er selbst nicht. Wenn man mit kleinen Kindern unterwegs ist, geht man dorthin, wo sich die Kinder wohlfühlen.“

Das Schlusswort überlassen wir Berthold Obauer: „Wenn es den Kindern bei uns nicht gefällt, dann kommen die Eltern auch nicht.“