Das Brauen ist des Müllers Lust

Einfach nur Gerste war gestern. Nach der Vielfalt an Hopfen und Hefen entdecken die Brauer nun auch die Möglichkeiten der unterschiedlichen Getreidearten. Und da vor allem die alten bis uralten Sorten.

Text von Florian Holzer Foto: Brauerei Hofstetten

Wir wöllen auch sonnderlichen, das füran allenthalben in unsern Stetten Märckthen unnd auf dem Lannde zu kainem Pier merer Stuckh dann allain Gersten, Hopffen und Wasser genomen unnd gepraucht sölle werden.

So schrieb am 23. April 1516 Leonhard von Eck in der Bayerischen ­Landesordnung, so wurde diese Regelung als „Bayerisches Reinheitsgebot“ bekannt, und so hatte diese Verordnung auf die weitere Entwicklung des damaligen Volksnahrungsmittels Bier eine unendlich große Auswirkung. Denn nicht nur, dass dem „braven“ Hopfen der Vorzug gegenüber den ­damals durchaus auch gebräuchlichen, aber eben etwas unheimlichen, ein klein wenig psychoaktiven und vor allem als „heidnisch“ geltenden Kräutern Sumpfborst, Schwarzes Bilsenkraut oder Wermut gegeben wurde.

Im Reinheitsgebot von 1516 (und in schon vielen ­anderen Brau-Verordnungen seit dem 14. Jahrhundert) wurde vor allem festgelegt, dass Bier aus Gerstenmalz und nur aus Gerstenmalz gebraut werden soll (ab 1548 war dann auch Weizen erlaubt, vorerst nur nördlich der Donau, ab 1602 generell). Warum? Weil es um den Hunger ging. Die Bestände von Weizen und Roggen mussten für die Versorgung mit Brot gesichert sein, und da Bier – selbst, wenn es dünner als heute war und wahrscheinlich auch nicht immer ganz sauber gebraut – als das sehr viel attraktivere Produkt erschien, musste diese Verführung in einen gesetzlichen Rahmen gefasst werden.

Für die damaligen Zeiten vom sozioökonomischen Standpunkt her absolut nachvollziehbar, nur gewöhnen sich die Menschen eben an so Dinge. Und irgendwann galt ein nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier als wahrhaft, edel und gut, ein nicht nach dem Reinheitsgebot gebrautes Bier als zumindest dubios und in Deutschland sogar bis vor gar nicht allzu langer Zeit als ver­boten. Und deshalb wird Bier auch heute noch hauptsächlich aus Gerstenmalz gebraut, obwohl es da doch so wahnsinnig viele andere Möglichkeiten gäbe.

Aber es tut sich was. Im Stift Schlägl etwa entwickelte man schon vor über dreißig Jahren das Goldroggen, ein obergäriges Bier, das zur Hälfte aus Roggenmalz gebraut wurde. Der hohe Kleberanteil des beliebten Schwarzbrot-Getreides war damals noch ein Problem, die Erfahrungen im Umgang mit dem „exotischen“ Malz waren gering; mittlerweile hat man das locker im Griff. Aus dem frü­heren Goldroggen wurde im Laufe der Jahre das Bio Roggen, und neben dem interessanten getreidigen Geschmack dieses Biers und dem leichten Kleben im Mundwinkel hat das Schlägler Roggenbier auch eine schöne Geschichte zu erzählen: Der Schlägler Roggen ist nämlich die älteste im österreichischen Zuchtbuch eingetragene Sorte, gehört zu den „Seltenen Landwirtschaftlichen Kulturpflanzen“ (SLK) und wird seit 1908 auf den landwirtschaftlichen Gütern des Stifts Schlägl angebaut.

Was in den 90ern noch eher ein ­Experiment war, wurde von den Brauereien mittlerweile aber als eine Möglichkeit der Identitätsschaffung erkannt: Von 2013 an beteiligte sich etwa die Zillertaler Brauerei an dem Projekt, eine ­uralte Tiroler Gerstensorte namens Fisser Imperial einerseits zu kultivieren, andererseits auf eine verwertbare Menge zu bringen und drittens daraus ein Bier zu brauen. Aus den ursprünglich 3.600 Kilo Korn, die 2013 zur Verfügung standen, wurden mittlerweile 200 Tonnen, die hohen Eiweißwerte dieser Urgerste bekam man nach einigen Experimenten in den Griff, etwa indem man eine gewisse Trübung einfach akzeptierte und aus der Fisser Imperial vorerst einmal ein Zwickl braute (mittlerweile gibt es auch schon ein „klares“ Helles).

Und auch Peter Krammer, Chef der Brauerei Hofstetten in St. Martin im Mühlkreis, brachte unlängst ein Bier auf den Markt, das aus der alten Gerstensorte Heines Haisa gebraut wird, geht bei diesem Alten Lager aber noch ein paar Schritte weiter: Seinen Ursprung habe das Projekt schon Ende der 90er-Jahre, erzählt Krammer, als nämlich Untersuchungen ergaben, dass das Wasser des uralten Brauerei-Brunnens zu hohe ­Nitratwerte aufwies. Was Krammer einerseits dazu veranlasste, für die Böden rund um die Brauerei ein Wasserschutzgebiet zu beantragen, andererseits die eigenen Äcker zu nutzen, um eine eigene Braugerste anzubauen. Klingt logisch, war es damals aber nicht.

2011 wuchsen schließlich die ersten Ähren, ganz anders, als man den Mühlviertler Landwirten generell nachsagt, fanden sich zwei Biobauern, die von der Idee begeistert ­waren und aus der Handvoll Körner drei alter Gerstensorten, die Peter Krammer von einer Linzer Gen-Bank bekam, über ein paar Jahre hinweg eine verwertbare Menge kultivierten. So etwas geht nämlich nicht von heute auf morgen. Zehn Tonnen sind notwendig, um damit in die Mälzerei Plohberger in Grieskirchen gehen zu können, und genau die Mälzerei ist der entscheidende Punkt beim Arbeiten mit „alten“ Getreidesorten.

Das klappt hier nämlich nicht ganz so problemlos wie bei moderner Gerste, die über die vergangenen 70 Jahre sowohl auf Ertrag als auch auf zuverlässige Keimung gezüchtet wurde. Alte Gerstensorten, erklärt Krammer, seien „schlanker“, hätten größere Oberflächen, mehr „Spelzen“ genannte Schale, weniger Mehlkörper. Das heißt einerseits, dass man deutlich mehr Körner braucht, um einen Sud machen zu können, andererseits aber, dass dieser Sud nach sehr viel mehr schmeckt, denn auch bei der Gerste steckt der Geschmack in der Schale. Einziges Problem: Die Keimung ist bei alten Sorten ein Glücksspiel. Bei den ersten Versuchen, die Peter Krammer in einer kleinen Privatmälzerei durchführen ließ, hatte er zwischen 20 und 30 % „ganzglasige“ Körner, also solche, die nicht keimten und bei denen sich die Stärke des Mehlkörpers nicht in Zucker verwandelte. Solch ein Malz gilt generell als nicht braubar, Braumeister schlagen die Hände über dem Kopf zusammen und verwerfen derartige Sude. Krammer blieb aber stur und meinte, wenn man schon mit einer Gerste wie vor hundert Jahren braut, eine alte, traditionelle Hopfensorte (Malling) einsetzt und das Ganze in einem altersschwachen Kupferkessel aus dem Jahr 1929 zu einem Sud werden lässt, dann müsse man auch die geschmackliche Erwartungs­haltung ändern. Sein Altes Lager aus der alten Gerstensorte Heines Haida habe zwar „klassische Bierfehler“, gesteht er, „es schmeckt aber trotzdem großartig. Wenn man sich beim Brauen mit alten Getreidesorten brautechnisch nicht zurück ins Jahr 1950 begibt, wird man keinen großen Unterschied zu modernen Bieren schmecken.“ Bei seinem Alten Lager merkt man den Unterschied definitiv, das hochfärbige Bier hat leicht gemüsige, an Sellerie erinnernde Aromen – von amtlichen Bierprüfern verschmäht, von Bierfreaks geliebt, die erste Charge war im Nu verkauft. Seit Peter Krammer bei Plohberger mälzen lässt, hält er den Anteil der ganzglasigen Körner jedenfalls bei acht Prozent, immer noch genug, um das spezielle ­Aroma des Bieres zu transportieren, immer noch genug, um Braumeistern die Haare aufzustellen.

Das kompletteste Bier-aus-altem-Getreide-Projekt ist aber wohl das Stiegl-Gut Wildshut im Dreieck zwischen Salzburg, dem Innviertel und Oberbayern. Hier besaß die Familie Kiener, Eigentümer der Stiegl-Brauerei, seit hundert Jahren einen großen Landwirtschafts­betrieb, der wohl irgendwann auch eine Brauerei und ein Gasthaus enthielt, in den vergan­genen Jahren aber primär als Bier­depot diente. 2012 startete Heinrich Dieter Kiener hier ein bemerkenswert ambitioniertes Projekt, ließ das Gehöft zu einer Vollholz-Brauerei mit Gastwirtschaft, Hotel, Yoga-­Bereich, Veranstaltungsräumen und Seminarbereich umbauen, stellte auf biologische Kreislaufwirtschaft um und entwickelte gemeinsam mit Chef-Braumeister Christian Pöpperl und Kreativ-Braumeister Markus Trinker ein wirklich einzigartiges Brauerei-Konzept: alte Getreidesorten aus eigenem Anbau, in einer eigenen Mälzerei vor Ort vermälzt und zu definitiv ungewöhnlichem Bier gebraut. Dass aus den Biertrebern auch noch Brot gebacken wird, beziehungsweise sie als Futter für die Mangalitza-Schweine dienen, deren Fleisch man wiederum im Kramerladen genannten Gasthaus vorgesetzt bekommt, versteht sich da fast schon von selbst.

Auf die Frage, wie man denn auf Brau-Getreide wie Nackthafer, Braunhirse, Emmer, Einkorn und dergleichen komme, antwortet der junge Brau- und Malzmeister Sebastian Essl denkbar pragmatisch: „So etwas lernen wir eigentlich in der Schule“, aber halt eher im theoretischen Teil. Und mittlerweile seien natürlich auch die ungewöhnlichsten Malze schon über den Fachhandel zu beziehen, „aber die wirklich ausgefallenen Sachen musst du selber machen“. Urgetreide-Malze hätten „das wirklich coole Aroma, da macht das Brauen so richtig Spaß“.

Ist aber auch knifflig. Mälzen könne man nicht aus Büchern lernen, so Essl, da helfe nur die Erfahrung, „jedes einzelne Korn ist anders“. Die Alpine Pfauengerste zum Beispiel, eine besonders robuste, alte und kleinkörnige regionale Sorte, die Pöpperl und Trinker in Zusammenarbeit mit dem Wildshut-Gutsverwalter Christoph von Hohberg aus wenigen Körnern zu einem derzeitigen Bestand von hundert Tonnen rekultivierten. Sebastian Essl darrt Chargen davon über selbst gestochenem Wildshuter Torf; oder Einkorn, die Urform des Weizens, der dem Bier ein ganz besonderes Nelkenaroma gibt; oder Schwarzhafer, den man zwar nicht mälzen kann, der aber dafür geröstet wird und vor allem dem dunklen Bier namens Männerschokolade besonders vollen Körper verleiht; oder der Laufener Landweizen, der sich gleichermaßen fürs ­Backen wie fürs Brauen eignet; oder die alte Braunhirse, aus der in Wildshut seit Kurzem ein glutenfreies Bier gebraut wird, das nicht künstlich von Gluten befreit werden muss. Alle miteinander finden ihren Weg dann in hochkomplexe Biere namens Sortenspiel oder Gmahde Wiesn. Die deutlich machen, was auch Peter Krammer sagt: „Die Getreidevielfalt, da tun sich beim Bier absolut neue Horizonte auf.“

www.stiftsbrauerei-schlaegl.at
www.zillertal-bier.at
www.hofstetten.at
www.biergut.at